Adler und Leopard Gesamtausgabe. Peter Urban
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"Sir, es ist Weihnachten! Wollen Sie nicht endlich zu Arbeiten aufhören und mit uns allen zu Abend essen?"
"Mein lieber Hill, der Stab ist vermutlich herzlich zufrieden, wenn ich nicht nach unten komme, weil ich den jungen Herren mit meiner schlechten Laune den Abend verderben oder schlimmer noch, einem von ihnen den Kopf abreißen könnte."
"Na ja, ich verstehe die jungen Herren ein wenig!", Rowland Hill lächelte den fast gleichaltrigen General entwaffnend an. "Glauben Sie womöglich, es macht mir Spaß mit Friedhofsmiene und der neunschwänzigen Katze unter dem Arm im Regen zu sitzen und sechstausend Mann stramm stehen zu lassen?", Arthurs Ton war überhaupt nicht ruppig, sondern amüsiert. Seine graublauen Augen blitzten Hill vergnügt an. Er mochte den Mann aus Shropshire gut leiden, denn er stand mit beiden Beinen fest im Leben und hatte einen Kopf der denken konnte. Hill seufzte aus tiefstem Herzen. Er war eine ehrliche Haut: ”Sir Arthur, dieses ganze Expeditionskorps und der Weser-Ems-Feldzug sind doch völliger Unsinn! Ich verstehe nur nicht, wer sich das ausgedacht hat und warum man gerade Sie diese Suppe auslöffeln lässt?" Arthur zog die dunkelblaue Feldjacke aus und schmiss sie nachlässig aufs Bett. Dann schob er seinen Kollegen aus Shropshire vor sich durch die Tür: "Kommen Sie, Hill! Die Gans, die da unten so verführerisch duftet, ist ein erbaulicheres Gesprächsthema als britische Außenpolitik! Außerdem werden wir diese kalte, feuchte Stadt schon bald verlassen dürfen."
Die Offiziere aus Wellesleys Stab staunten nicht schlecht, als sie ihren Kommandeur hemdsärmelig und allen Anscheins nach, in bester Laune auftauchen sahen. Er griff sich einen Stuhl vom Nachbartisch und quetschte sich zwischen den jungen Blygth und Westmorland. "Keine Angst, meine Herren“, amüsierte er sich, “ich werde Sie heute Abend ausnahmsweise einmal nicht beißen:" Rowland Hill schnitt die Gans auf und verteilte großzügige Stücke auf die Teller. Der Wirt, der von der Küche aus gesehen hatte, dass der britische General sich zu seinen Offizieren gesellte, eilte mit einem weiteren Teller und Besteck an den Tisch. Seine Frau brachte eine große Schüssel mit Rotkraut und eine weitere mit heißen Knödeln.
Vierzehn Tage später erhielt Arthur endlich den heiß ersehnten Marschbefehl zurück nach Hause. Mit diesem Schreiben waren noch haufenweise Neuigkeiten angekommen. Sein ältester Bruder Mornington war wieder in England. Richard beklagte sich bitterlich, dass man ihn wegen seiner Verwaltung Britisch-Indiens vor einen Untersuchungsausschuss zerrte. Er drängelte Arthur, ebenfalls um Vorladung zu ersuchen. Sein väterlicher Freund Charles Lennox, der Herzog von Richmond, schrieb, dass Cornwallis, der Richard als Generalgouverneur in Kalkutta hätte ablösen sollen, seine Amtseinführung nur um wenige Wochen überlebt hatte und bereits seit ein paar Monaten sechs Fuß tief unter indischer Erde begraben lag. Damit hatte Arthur endgültig das 33. Infanterieregiment geerbt. Von Robert Castlereagh erfuhr er, dass William Pitt, Bonapartes Sieg bei Austerlitz und den Zusammenbruch der dritten Koalition nicht überlebt hatte. Er war Anfang Januar in seinem Haus am Hyde Park gestorben. Seine letzten Worte waren gewesen: "Oh mein Land! In welchem Zustand lasse ich mein Land zurück!“ Und ein Brief von Sarah lag in der Post. Sie wollte wissen, ob er ihr böse war, weil sie seinen Antrag abgelehnt hatte und sich deshalb nicht bei ihr meldete. Arthur strich mit der Hand traurig über einen dicken Stoß Briefe. Er hatte sie nicht abgesandt, denn in jedem Einzelnen hatte er ihr von seinen Gefühlen für sie erzählt und von den Träumen einer gemeinsamen Zukunft…
Sergeant Dunn war geschäftig dabei, die Dokumententruhen zu packen und alles für die bevorstehende Abreise nach England vorzubereiten. Er kannte seinen General schon so lange, dass er, ohne sich umzudrehen wusste, was Arthur gerade tat:" Mein Junge, Sie sollten sich das alles nicht so zu Herzen nehmen! Wissen Sie, ich verstehe Lady Lennox! Sie ist gebildet und hat sehr lange studiert. Sie ist eine beeindruckende Frau. Sie hat einfach Angst davor, alles zu verlieren, was ihr im Leben wichtig ist. Sie sieht doch jeden Tag, wie Ehen in Ihren Kreisen aussehen. Da wird oft geheiratet, nur um Grund und Boden zu vergrößern, oder um der Politik Willen und dann sind alle Betroffenen kreuzunglücklich. Doch eine Scheidung kommt natürlich nicht infrage, denn das würde ja den Ruf der Familie schädigen. Und so zwingt man dann Menschen zusammenzuleben und den Schein zu wahren, obwohl sie miteinander schrecklich unglücklich sind."
" Was Sie sagen ist natürlich richtig, John aber ich verwandle mich doch nicht gleich in ein Ungeheuer, nur weil ich heirate! Grund, Boden oder Politik interessieren mich nicht, genügend Geld um eine Familie anständig durchzubringen habe ich inzwischen selber und der Herzog von Richmond hat ein solch miserables Verhältnis zu unserem Oberkommandierenden, dass es mir als Offizier eher schaden, als nützen würde, wenn ich seine Tochter heirate! Also kann Sarah mir wirklich keinen einzigen Hintergedanken unterstellen!"
"Und woher soll Lady Sarah das wissen, Sir Arthur? Aus eigenem Antrieb machen Sie den Mund doch nie auf! Ich kenne Sie jetzt schon seit fast zwanzig Jahren. Ich habe die ganze Zeit über unter Ihnen gedient und Sie tagtäglich erlebt. Deswegen durchschaue ich Sie inzwischen, obwohl Sie verschlossen sind, wie eine Auster. Sie haben sich sehr verändert haben. Wenn ich mich an den jungen Major zurück erinnere und heute den General vor mir sehe, kommen sogar mir manchmal Bedenken. Vielleicht hat Lady Sarah ja ähnliche Vorbehalte. Sir, mit Verlaub gesagt, Sie machen den meisten Leuten Angst."
Arthur seufzte leise. Er wusste, dass der alte John Recht hatte. Sein Sergeant war der Einzige, der es wagte ihm offen und unverblümt ins Gesicht zu sagen, was er dachte. "Mein Junge“, fuhr John Dunn fort, “Sie sollten mit sich selbst nicht so streng sein und auch andere Menschen nicht ständig überfordern. Die jungen Herren Ihres Stabes zittern vor Ihnen, die Soldaten zittern vor Ihnen. Sie können so doch nicht weitermachen." Arthur nickte: "John, Sie haben wie immer Recht, aber leider gibt es in unserer Armee nicht nur brave und anständige Männer, wie Sie oder Zahlmeister Seward. Die meisten verstecken sich in der roten Uniform vor Unannehmlichkeiten mit der Justiz! Wenn diesen Spitzbuben nicht strengste Disziplin aufgezwungen wird, verwandelt sie sich innerhalb von fünf Minuten in einen unkontrollierbaren Haufen von Marodeuren. Erinnern Sie sich noch an die beiden Tage nach dem Sturm von Seringapatam? Und die jungen Herren Offiziere verstehen so wenig von ihrem Handwerk ..." Arthur seufzte. Er hoffte, dass die militärische Reform, die der Herzogs von York anstrebte, die Qualität der Landstreitkräfte verbessern würde. Sie brauchten ordentliche Offiziersschulen und Ausbildungslager für die einfachen Soldaten. Den Posten eines Oberkommandierenden der Streitkräfte hatte man erst vor wenigen Jahren eigens für den jüngeren Sohn des Königs geschaffen. Obwohl der fette Freddie sich als Kommandeur auf dem Schlachtfeld weder durch sein militärisches Genie, noch durch Kühnheit ausgezeichnet hatte, so war er doch ein begabter Verwalter. Aber seine Aufgabe war eine Schwierige. Neben all den Neuerungen existierten auch noch alle traditionellen Institutionen des britischen Militärwesens weiter. Dies führte häufig zu Kompetenzstreitereien. Das Staatsministerium für den Krieg, das Staatssekretariat für den Krieg, der Großmeister der Artillerie im Range eines Kabinettsmitgliedes, die Regionalverwaltungen der Home Forces und der Yeomanry und ein ganzes Sammelsurium anderer Behörden und Einrichtungen verfolgten scheinbar frei und völlig unabhängig von Frederick von York ihre eigenen Interessen. Weil die Militärreform ständig in der Parlamentsvorlage scheiterte, wurden die besten Kandidaten auch weiterhin von der Yeomanry aufgesaugt. Sie dienten nur auf englischem Boden, unweit ihrer Geburts-oder Wohnorte. Durch die fehlende Versorgung für die Soldatenfamilien und das ungelöste Problem der Pensionen für ausgediente Soldaten, ließen sich für die regulären Truppen meist nur verantwortungslose und verzweifelte Gesellen anwerben Ansonsten kamen die Rekruten aus den Gefängnissen, nachdem Richter sie vor die Wahl gestellt hatten, des Königs Schilling anzunehmen, oder ans andere Ende der Welt deportiert zu werden. Und Englands Offiziere rekrutierten sich hauptsächlich aus den Söhnen der Grundbesitzer und der großen Adelsfamilien. Sie konnten sich ihre Dienstränge in den von ihnen gewünschten Regimentern einfach kaufen, wenn sie genügend Geld für eine hübsche Uniform auf den Tisch legten. Es fehlte ihnen meist an einer gründlichen Ausbildung. Viele waren nicht daran interessiert, sich in Eigenregie die Grundlagen des Soldatenberufs anzueignen. Und fast alle Generäle waren irgendwann einmal aus Gefälligkeit von irgendwem befördert worden, meist einem guten Freund der Familie, der einen Freund hatte, der jemanden kannte