Promise. Sarah L. R. Schneiter
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Natala überlegte kurz, ehe sie der Diebin zustimmte: „Das spielt jetzt keine Rolle, vielleicht wird ja gar Nate den heutigen Abend nicht mehr erleben, darauf lassen wir’s ankommen. Leben wir für den Moment, retten wir Sven und Dan und verpassen wir dem Drecksack einen Denkzettel, den er nie mehr vergessen wird.“
Etwa eine Stunde war seit dem Gespräch der vier vergangen, als Natala und Stanley gemächlich durch die Türöffnung in eine ziemlich heruntergekommene Bar traten, die am anderen Ende des Arbeiterviertels lag. Es war ein schäbig eingerichteter, großer Raum in dem eine lange Theke stand und der mit schlichten Holztischen und -stühlen bestückt war. Die Bar war kaum klimatisiert und schlecht besetzt: Bloß drei Männer, alle wie die Gangster aus Nates Bande im Western-Stil gekleidet, saßen an der Bar, die Wirtin schenkte eben einem der Gauner gelangweilt ein neues Bier aus. Alle wandten sich den Neuankömmlingen zu, deren Raumfahrerstiefel auf den Holzdielen des Bodens knirschten. Die beiden Schmuggler setzten sich etwas entfernt von den drei an die Bar und Natala winkte der Barkeeperin mit einem Kreditchip zu: „Zwei kleine Deronische, aber von den guten.“
„Wir haben hier nur gutes Zeug“, rief die Frau zurück, bevor sie eine Flasche unter der Bar hervornahm und den Whisky in zwei kleine Gläser goss.
„Das bezweifle ich“, murmelte Stanley seiner Kameradin zu.
Natala lachte, wurde jedoch rasch wieder ernst, als die Barfrau die Gläser vor sie stellte. „Zehn Lipos. Bei eurem Akzent würde ich sagen, ihr seid nicht von hier?“
Natala schob ihr den Chip zu. „Nein, wir sind im Transportgewerbe.“
Die beiden hoben die Gläser und nahmen einen Schluck, nachdem sie sich laut zugeprostet hatten. Die Barkeeperin grinste derweil und folgerte: „Also Schmuggler, hätt ich’s mir denken können.“
Ohne auf die Bemerkung einzugehen fuhr Stanley seinen Captain genervt und schon leicht lallend an: „Musst du allen verraten, dass wir Schmuggler sind? Die Typen da drüben könnten Bundesagenten sein!“
Natala trank den Whisky in einem Zug aus und stellte das Glas gut hörbar auf den Tresen. Langsam erhob sie sich, ihre Mundwinkel zuckten gereizt. „Hältst du die Leute hier etwa für dumm? Jeder in dem Raum hat in dem Moment, in dem wir durch diese Tür traten begriffen, was unser Job ist. Wenn du dich ab und an vor einen Spiegel stelltest, hättest du das längst kapiert.“
„Klar, aber das macht es besser, wenn du es jedem gestehst, dem du über den Weg läufst“, lamentierte er gestenreich, trank ebenfalls aus und erhob sich. „Gib es zu, du hattest einen zu viel und musst wieder allen unsere Lebensgeschichte erzählen. Irgendwann laberst du einen Bundesagenten zu und wir enden im nächsten Knast!“
„Quatsch“, schnaubte Natala. „Der Planet ist nicht mal in den Vereinten Systemen, da kann dir ein Bundesagent gar nix anhaben. Außerdem sind die Typen da drüben Gangster, auch das sieht man auf hundert Meter.“
„Es geht ums Prinzip, weil du immer den gleichen Fehler machst“, blaffte Stanley zurück und zeigte mit dem Finger auf sie.
Die Barkeeperin verlor langsam ihre Geduld, denn nun erklärte sie entschieden: „Hört sofort auf damit oder streitet euch wenigstens draußen weiter.“ Die drei Gäste waren sitzengeblieben und schauten gespannt zu; Barschlägereien gehörten auf Tenowia zum täglichen Unterhaltungsprogramm für Gesetzlose und diese drei schienen innig darauf zu hoffen, gleich eine gute Show zu haben.
„Halt dich da raus, das ist unsere Sache, Lady!“, fuhr Natala sie an, bevor sie sich erneut an Stanley wandte, während sie ihre Jacke, die sie über dem Arm getragen hatte, auf den Hocker warf. „Mir reicht’s, wir klären das jetzt.“
Er sah sie kurz ungläubig an und schrie sie mit einer unflätigen Geste: „Du bist so voller Kodikaikacke!“
„Ich werde dir deine Kodikaikacke sonst wo hinstecken! Na los, zeig, was du draufhast!“ Damit krempelte sie die Ärmel hoch und machte bedrohlich einen Schritt auf ihn zu. Stanley ballte seine Fäuste, balancierte seine Haltung und schlug Natala ohne zu zögern mitten ins Gesicht.
Anaata kletterte eben durch die schmale Öffnung des Lüftungsschachtes, der auf dem Dach des Gebäudes begonnen hatte und hoffentlich in Nates Büro führte. Es war für sie kein Problem gewesen, aufs Dach zu gelangen. Zwar hatten Nates Leute Stacheldraht um die Dachkannten des einstöckigen Lehmhauses gespannt, sodass niemand hochklettern konnte und gar einige Einbruchssensoren angebracht, doch Anaata hatte ihre eigenen Mittel und Wege. Sie war ein Cyborg, ein Mensch mit biotechnischen Modifikationen an ihrem Körper. Als sie bereits einige Zeit ihren Lebensunterhalt als Diebin bestritt, hatte sie sich einige Dinge implantieren lassen, die ihre Arbeit stark vereinfachten. Unter anderem trug sie ein Com in ihrem Kopf, um bei Anrufen mit ihren Gedanken kommunizieren zu können und sich das Sprechen zu sparen und sie konnte dank eines Antigravitationsimplantates die Gesetze der Schwerkraft für ihren Körper für einige Augenblicke außer Kraft setzen. So war sie in einem eleganten Salto aus dem Stand die vier Meter aufs Dach gesprungen, ohne sich mit Klettern aufhalten zu müssen. Es war zwar ziemlich anstrengend, ja, erschöpfend, aber das nahm sie für die Vorteile, welche ihr die Implantate boten, gerne in Kauf.
Stets, wenn Anaata irgendwo einbrach, fühlte sie sich völlig entspannt und kontrolliert, beinahe als wäre sie eins mit allem, was sie umgab. Alles Irrelevante fiel von ihr ab, es gab nur noch sie und das Ziel, sie hatte das Gefühl, allen überlegen zu sein. Nach kurzer Zeit war sie am Ende des Luftschachtes angelangt und sah durch die Lamellen der Lüftung hinunter: Sie war tatsächlich über Nates Büro, ihr Plan schien aufzugehen. War ja klar, der Boss hat die einzige Klimaanlage im ganzen Haus, dachte sie amüsiert, klappte die Lüftung auf und ließ sich nach unten fallen. Den Sturz bremste sie mit ihrer Antigravitation ab, indem sie sich im Fall wie eine Katze umdrehte und sanft auf allen Vieren auf dem Boden landete. Nun galt es, den Safe zu finden und das möglichst schnell, denn es konnte jederzeit jemand durch die Tür kommen. Zuerst verschloss sie den einzigen Eingang von innen, was ihr im Notfall einige Sekunden verschaffte, rasch zu flüchten.
Anaata atmete tief durch und sah sich in dem Raum um. Sie musste schelmisch kichern, als sie ein einziges Bild erkennen konnte, das einsam an der Wand hing, für so dumm hatte sie den Gangster nicht gehalten. Sie trat zu dem Gemälde, auf dem eine fruchtbare Landschaft zu sehen war, die zweifellos auf einem anderen Planeten mit besseren Lebensbedingungen liegen musste und hob es von der Wand. Tatsächlich war dahinter ein Safe mit einem teuren biometrischen Schloss in der Wand eingelassen. Anaata kannte dieses Modell und wusste, ihr bliebe niemals genügend Zeit, es zu hacken; sie musste den Safe mit brachialer Gewalt aufbrechen. Routiniert griff sie nach ihrer Umhängetasche und wühlte darin herum, bis sie den Kompakt-Laserschneider gefunden hatte. Sie nahm das kleine Gerät zur Hand, richtete es auf das Schloss des Safes und schaltete es ein. Der rote Laserstrahl fraß sich knisternd und funkenstiebend durch den soliden Stahl, in dem kleinen Büro begann es wie in einer Metallgießerei zu riechen. Nach weniger als einer Minute hatte sie es geschafft: Rund ums den Schließmechanismus klaffte ein kreisrundes Loch. Nachdem sie den Laserschneider wieder verstaut hatte, holte sie einen Hammer hervor, mit dem sie einige Male möglichst leise gegen das Schloss schlug, bis es nachgab um mit einem Scheppern in das Innere des Safes fiel.
Die Diebin verharrte einen Moment angespannt, ehe sie das Werkzeug vorsichtig in ihre schwarze Tasche zurücksteckte, jemand hätte das Geräusch hören können. Es blieb alles still, sie konnte einzig einige laute Rufe aus der Bar hören, die auf der Vorderseite des Gebäudes lag und Nates Bande gehörte. Endlich öffnete sie den Safe und linste hinein: Es waren einige Datacards darin zu erkennen, daneben lag ein abgewetzter brauner Jutebeutel. Sie nahm ihn hinaus, stellte ihn auf den Tisch und öffnete ihn.