Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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schalt und nörgelte... Er hatte seine Sorgen.

      In seinem Kohlenbergwerk schössen plötzlich aus schmalen Ritzen und Klüften dünne, aber kräftig vorgetriebene Brünnlein, die ihm und den Grubenleuten nicht gefielen ... Das ganze Gebiet des sogenannten kleinen Tales, unter dem sich die Kohlengruben hinzogen, war ein quellenreiches; kleine, kühle Bäche rauschten durch den Grund, und am Taleingang breiteten sich mächtige Teichspiegel hin. Es war von Anfang an viel darüber gemunkelt worden, daß sich bei diesem Unternehmen die Knickerei und Gewinnsucht des Rates in wahrhaft sündlicher Weise geltend mache; die Sicherheitsvorrichtungen seien äußerst mangelhaft, und in den Gruben werde der abscheulichste Raubbau getrieben.

      Um das Stadtgespräch kümmerte sich der Rat nicht. Er scharrte mit immer heißerer Gier die Reichtümer zusammen, die ihm die Gruben in den Schoß warfen, und beschnitt die Betriebskosten, wo er konnte. Da tauchte plötzlich das Gespenst in der Tiefe auf, der unheimliche Feind, der die Wasserstrahlen wie dünne weißliche Schwerter aus den Wänden trieb. Es stellte sich immer dringender heraus, daß mit großen Kosten verknüpfte Vorsichtsmaßregeln ergriffen werden müßten, um eine greifbare Gefahr abzuwenden, und das war's, was den Rat so finsterbrütend, so tief innerlich ergrimmt umhergehen machte.

      Die Majorin schien sich darum nicht zu kümmern. Sie hatte nie viel Worte gemacht, das wußte das Gesinde gar nicht anders, auch war ja das überflüssige, zeitraubende Sprechen überhaupt verpönt auf dem Klostergute. Aber die Leute wunderten sich doch, daß zwischen dem Herrn und seiner Schwester kaum noch der Morgen- und Abendgruß gewechselt wurde. Und mochte der Rat noch so verstimmt heimkommen und mit seinem finstersten Tyrannengesicht durch die Küche nach dem Eßzimmer schreiten, die Majorin fragte nicht; sie trug pünktlich das Essen hinein, nahm die Küchenschürze ab und setzte sich an den Tisch. Aber nur Veit führte das Wort – die beiden anderen schwiegen.

      Dagegen trat eine neue Gewohnheit der Majorin immer mehr in den Vordergrund – jeden freien Augenblick, den sie den Hausgeschäften abstehlen konnte, brachte sie im Garten zu. Sie hatte zwar dort auch ihre Beschäftigung, das Abpflücken der Erbsen und Bohnen, das Begießen der Gemüsebeete und des bleichenden Leinens. Aber die Mägde kicherten und meinten, die Leinwand würde niemals trocken, so oft rausche die Gießkanne drüber hin, und in der heißen Nachmittagssonne begieße doch kein vernünftiger Mensch das junge Gemüse. Es fiel ihnen auch auf, daß »die Frau« so oft auf der Gartenbank stehe und über Nachbars Zaun gucke – das war auch eine neue Mode und zu verwundern an der »Aparten und Stolzen«, die sonst keinem Menschen einen Blick gönnte, und immer tat, als mache sie sich aus der ganzen Welt nichts ... Lächerlich! Auf die Bank zu steigen, um immer wieder die dicke, watschelnde »Mohrin« anzusehen, denn nach dem kleinen Mädchen, das die Schwarze zu behüten hatte, guckte sie doch nicht. Sie konnte ja die kleinen Kinder nicht leiden.

      Heute war es den ganzen Tag über mit dem Rat kaum auszuhalten gewesen. Einer der Knechte, der die Kohlenfuhren nach der Bahn zu besorgen hatte, erzählte, der Herr sei nun doch gezwungen, der dummen Wassergeschichte wegen ›gelehrte‹ – Leute aus weiter Ferne kommen zu lassen – es sollte und müßte in den Gruben alles anders werden, und das koste ein Heidengeld.

      Bald nach dem Mittagessen war der Rat wieder nach dem kleinen Tale gegangen; Mosje Veit schwitzte in der Wohnstube unter der Zucht seines strengen Privatlehrers, der keinen Spaß verstand, und die Mägde, die in der Küche aufwuschen, steckten lachend die Köpfe zusammen; denn dort ging die Frau Majorin richtig wieder über den Hof nach dem Garten, wie allemal, wenn der Herr nicht zu Hause war ... Sie hatte nicht einmal ihren Kaffee getrunken, der noch in der Küche stand und kalt wurde. Es war überhaupt in den letzten Tagen, als habe sie Essen und Trinken nahezu verlernt; und das sah man ihr auch an – die Backenknochen standen ihr scharf aus dem weißen Gesicht, und die Kleider saßen gar nicht mehr so hübsch knapp, sie schlotterten recht auffällig um die Schultern ... Und die Leute meinten, wenn sie auch nicht spreche und ordentlich die Zähne zusammenbeiße, damit ja kein Wörtchen durchschlüpfe, sie ärgere und gräme sich doch im Stillen furchtbar über das viele Geld, das das Unheil in den Gruben kosten würde, denn – sie hätte ja keine Wolfram sein müssen.

      Nun ging sie langsam zwischen den Buchsbaumrabatten auf und ab. Ihre schlanken, weißen Finger pflückten mechanisch am Schürzenband und die Augen hingen tiefgesenkt am Boden. Sie, die sonst mit scharfem Blick nach jeder abgefallenen Obstfrucht suchte, sie bemerkte nicht, daß ihr Fuß an den ersten reifen Rosenapfel stieß, daß die goldgelben Frühbirnen wie herabgeregnet im Grase und zwischen den Kohlrabi- und Salatköpfen verstreut lagen und ganze Scharen von Wespen herbeilockten – ihre ganze Aufmerksamkeit schien sich im Ohr zu konzentrieren. Bei jedem Geräusch, das von fern her über den Zaun kam – ob sich die Enten klatschend in den Teich stürzten oder ein Menschenfuß auf dem kreischenden Kies eines nahen Weges eilfertig hinging – zuckte sie zusammen und hemmte aufhorchend den Schritt.

      Die Gießkannen brauchten heute nicht allzufleißig in Bewegung gesetzt zu werden, denn der Himmel war vom frühen Morgen an bedeckt gewesen. Aber die Wolkenschicht, die keinen heißen Sonnenstrahl hindurch lieh, war von einem festen, gleichmäßigen Grau und wölbte sich hoch wie eine granitene, kühle Domkuppel. Die Vögel schössen jubilierend droben hin, und eine köstlich erquickende, balsamische Luft wehte, ein wahrer Genesungsodem für Kranke.

      Die Majorin verließ plötzlich den geradlinigen Hauptweg, und auf die Gartenbank am Zaun tretend, schlug sie die rauschenden Syringen- und Haselzweige auseinander.

      Ein schwaches Rädergeräusch kam von der Platanenallee her. Jack, der Neger, schob einen eleganten Kinderfahrstuhl langsam über die Kiesbahn – der hellblaue Seidenschimmer der Auspolsterung und einer übergebreiteten Decke leuchtete herüber, und so bedeutend auch die Entfernung war, die Frau am Zaun sah doch ein blondes Köpfchen auf dem Polster liegen – fast wäre sie von der Bank gestürzt, ein solch jähes Aufschrecken ging durch ihren Körper.

      Das kleine Gefährt rollte noch einigemal auf und ab, dann kam es nicht mehr zurück, es mochte droben beim Atelier haltmachen. Die Majorin stieg von der Bank herab und ging auf dem schmalen Weg am Zaune hin. Sie machte dann und wann einen Versuch, das Gezweig in der Höhe ihres Gesichts auseinanderzudrängen; allein die seit langen Jahren geflissentlich gehegte und gepflegte Wildnis wies sie unerbittlich mit Dornen und Stacheln zurück ... Und die einzige Bank des Gartens war nicht verstellbar, ihre steinernen Träger fußten tief in der Erde; aber dort an der Mauer, die den tiefsten Teil des Gartengrundstücks, den großen mit Obstbäumen bestandenen Grasfleck, von der Straße abschloß, lagen unter vorspringender Bretterverdachung die Leitern, die im Herbst beim Obstbrechen benutzt wurden. Sie lehnte eine der Leitern an die Mauer und stieg so weit hinauf, daß sie gerade den Kopf über den seitwärts liegenden Zaun heben konnte.

      Wäre sie fähig gewesen, in diesem Augenblick an vergangene Zeiten zu denken, die Scham vor sich selber, der starre Wolframstrotz hätten sie von der Leiter jagen müssen; aber es war nur ein Gedanke, der sie beherrschte, der ihr das Blut stürmisch kreisen machte und ihre Bewegungen lenkte – der Wunsch, so nahe wie möglich in das kleine, blasse Kindergesicht zu sehen und sich mit einem einzigen Blick zu überzeugen, ob der Tod wirklich seine drohende Hand zurückgezogen habe.

      Sie sah in das Fichtenwäldchen hinein, und dort stand, kaum fünfzehn Schritt entfernt, der Fahrstuhl zwischen den Stämmen. Josés Gesicht war ihr zugewendet. Noch lehnte der kleine Kopf müde an dem blauen Polster, und das vorquellende goldglänzende Gelock hing um ein abgezehrtes Oval; aber der lebhafte Blick und das schöne Rot des kleinen Kirschenmundes bezeugten unwiderleglich, daß der Lebensstrom in dem schwer angefochtenen Kinderkörper dort gesunde.

      Außer Jack war niemand bei dem Knaben. Der Schwarze watete im Wiesengras und pflückte die Stengel des Löwenzahns, welche die Händchen des kleinen Kranken auf der Decke zu einer unförmlichen Kette verarbeiteten. Man sah, wie sich die Brust des Kindes in tiefen Atemzügen hob und die freie, von kräftigem Fichtenduft durchtränkte Luft gierig einsog. Auch ein stilles Lächeln der Freude ging über das Gesichtchen.

      »Geh,

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