Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte. Eugenie Marlitt

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Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Gedichte - Eugenie  Marlitt

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ist wie ein Gletscher an ihr vorübergegangen … Nein, für weibliche Schönheit und Liebenswürdigkeit hat er kein Verständnis! … Ich habe ihn auch längst vom Register der Heiratsfähigen für meine jungen Protegés gestrichen … Weshalb er sich heute großmütig opfert, das hat er ja eben deutlich genug ausgesprochen. Er ist innerlich befriedigt und beglückt durch die große Teilnahme und Aufmerksamkeit, die wir alle ihm heute an den Tag gelegt haben, und will alles, selbst das kleine Ding, das übrigens ganz nett gespielt hat, froh und heiter sehen … Ich rate Ihnen, liebste Lessen, künftig bei dergleichen Arrangements dem Takte und Talente unserer Quittelsdorf nicht allzu unbedingt zu vertrauen.«

      Die Hofdame biß sich auf die Lippen und warf heftig ihren Spitzenshawl über die Schultern. Draußen rollte der Wagen vor, der die Hofmeisterin und Helene in Begleitung der Baronin und des Grafen nach dem Festplatze bringen sollte.

      »Die alte Katze!« rief Fräulein von Quittelsdorf, nachdem sie der Oberhofmeisterin in den Wagen geholfen und darin für die Bequemlichkeit der Dame gesorgt hatte. »Sie ist wütend, daß man bei dem Arrangement nicht erst ihren hochweisen Rat eingeholt hat … Haben Sie nicht gesehen, Hollfeld, beinahe wäre Ihrer Exzellenz der falsche Scheitel auf die Nase gefallen, als sie so zornig mit dem Kopfe wackelte? Ich hätte mich vierzehn Tage lang nicht beruhigen können vor Lachen, wenn plötzlich unter dem Blumengarten der Haube der kahle Kopf zum Vorschein gekommen wäre!«

      Sie wollte sich auch jetzt ausschütten vor Lachen bei dem Gedanken. Ihr Begleiter aber schritt wortlos, als habe er von ihrem ganzen, langen Geschwätze nicht eine Silbe gehört, immer rascher vorwärts. In seinem ganzen Wesen lag eine auffallende Hast und Unruhe. Es schien ihm offenbar daran zu liegen, die vorausgegangene Gesellschaft so schnell wie möglich zu erreichen. Sein Blick eilte stets weit voraus und drang nach allen Richtungen hin in das Gebüsch; nur wenn der Schimmer eines weißen Kleides in der Ferne auftauchte, dann blieb er einen Augenblick stehen, als wolle er beobachten.

      »Nein, Sie sind doch zu langweilig, Hollfeld! Langweilig bis zum Sterben!« rief die Hofdame ärgerlich. »Sie haben zwar das Privilegium, stumm zu sein wie ein Fisch, um dabei doch für einen geistreichen Mann zu gelten … wo ich aber in diesem Momente Ihren Geist suchen soll, weiß ich wahrhaftig nicht … Weshalb, um Gotteswillen, rennen Sie denn so? … Und denken Sie, wenn ich bitten darf, doch an mein nagelneues Kreppkleid, das alle Augenblicke an den Büschen hängen bleibt, an denen Sie mich vorbeizerren wie ein armes Schlachtopfer!«

      Der sogenannte Nonnenturm, das einzige standhafte Ueberbleibsel eines ehemaligen Frauenklosters, lag tief versteckt in einem Eichen-und Buchenforste, auf dem Waldgebiet, das zu dem Gute Lindhof gehörig, sich meilenweit nach Osten hin erstreckte.

      Ein Fräulein von Gnadewitz, die Schwester jenes Ahnherrn mit dem Rade, hatte das Kloster erbaut, um mit noch zwölf anderen Jungfrauen für das Seelenheil des schmählich Dahingegangenen zu beten. Viele Jahre lang hatten die mächtigen Aeste der Eichen an die Zellenfenster geklopft und sich über die Mauer in den engen Garten geneigt. Sie hatten gesehen, wie manches junge, frische Menschenkind hastig den schmalen, stillen Waldweg dahergeschritten kam, in fieberhafter Ungeduld an dem schrillen Pfortenglöcklein reißend, als dürfe der verheißene Frieden da drinnen nicht um eine Minute verzögert werden … Sie hatten gesehen, wie dann hinter den nie wieder zu lösenden Riegeln der schweigende Mund der Nonne erblaßte, wie ihre wachsbleichen Hände krampfhaft das Kruzifix umschlossen, wie ihre wundgeriebenen Kniee immer wieder auf das Steinpflaster sanken, während der Blick angstvoll am Boden irrte – denn der heitere, blaue Himmel da droben, der sich auch draußen über den genießenden Weltkindern wölbte, rief glückliche Erinnerungen wach und hauchte Lebenslust und fröhliche Sehnsucht in die Brust, die unwiderruflich eingesargt war in das härene Ordensgewand.

      Die Reformation, welche die Klöster umstieß wie Kartenhäuser, war auch durch den stillen Wald geschritten und hatte mit gewaltigem Finger über die Mauern des dunkeln Hauses gestreift, das, um Verbrechen und Elend zu sühnen, dem Fluche seiner Entstehung zufolge, stets neues Elend umschloß … Und siehe da, selbst das Scheinleben entfloh nach allen vier Winden – ein Stein nach dem andern rollte herab neben die alten Eichenstämme, deren Wipfel ihn einst als zierlich gemeißelten Fenstersims oder als stattliches Glied der Mauer berührt hatten, und die nun jahraus, jahrein ihr Laub auf ihn streuten, bis er versank, weicher gebettet, als die Nonnenleichen da drunten, die der Sage nach samt und sonders in einem unterirdischen Grabgewölbe schliefen.

      Der Turm stieg viereckig, plump und schmucklos in die Höhe. Droben auf dem platten Dach, das eine steinerne Galerie umgab, endete die Treppe in einem engen viereckigen Raume, den eine schwere Eichenthür verschloß. Von dem Plateau aus genoß man eine reizende Fernsicht nach L. Diesem Vorzuge hatte wohl hauptsächlich der Turm sein durch aufbessernde Menschenhände gefristetes Dasein zu verdanken. Mächtige Eisenklammern umschnürten die Ecken, und zahllose Adern frischen Mörtels ringelten sich durch das geschwärzte Gemäuer, so daß der alte Bau von weitem aussah, wie ein riesiger Achat.

      Heute aber hatte sich der alte Bursche ausstaffiert wie ein junges Blut, das auf die Wanderschaft gehen will. Frische Reiser, d. h. vier kräftige Tannenbäume steckten auf seinem alten Hute, und darüber her wehten ungeheure Fahnen und schwammen wie helle Schwäne über den grünen Wogen der Baumwipfel. Er, der zwar bisher Tag und Nacht ein trautnachbarliches Gespräch mit seinen Kameraden, den Eichen, geführt hatte, nie aber auch nur fingerbreit von seinem würdevollen Standpunkte aus ihnen entgegengerückt war, er griff heute mit grünen Armen keck an ihr ehrwürdiges Haupt, es waren lange Guirlanden an den Mauern befestigt, deren anderes Ende unter den Zweigen der Bäume verschwand. Sogar ein langes weißes Taschentuch hing dem junggewordenen Springinsfeld aus der Tasche. Die beiden freien Zipfel des Tuches waren stramm an zwei mit Laubwerk bekleideten Tannenstämmen befestigt; es beschützte einige Fäßchen, eine ganze Batterie bestaubter, rotgesiegelter Bouteillen, zahllose Flaschen mit silbernen Köpfen in Eiskübeln und ein neben all diesen Herrlichkeiten stehendes hübsches Mädchen in Marketenderkostüm vor den Sonnenstrahlen …

      Elisabeth hatte willenlos und schweigend an Herrn von Waldes Arme den Saal verlassen. Sie hatte trotz der Ueberzeugung, daß sie gehen müsse, nicht den Mut gefunden, ihm zu widersprechen, zu sagen, daß sie bei ihrem Entschlusse beharre. Er hatte in einem so gebietenden Tone gesprochen, und – was ihr zumeist den Mund verschloß – er war für sie in die Schranken getreten und hatte ihr offenbar aus der Verlegenheit helfen wollen; jeder Widerspruch hätte in jenem Momente wie Trotz aussehen müssen, auch wäre durch eine Entgegnung ihrerseits das peinliche Aufsehen erhöht worden, dessen Gegenstand sie ohnehin schon geworden war.

      Hinter ihr streiften knisternd die seidenen Gewänder der Damen an die Wand des Korridors. Lachend und plaudernd folgte der Menschenschwarm in langem Zuge Herrn von Walde bis vor das Hauptthor, dann aber floh alles auseinander und begab sich auf die verschiedenen Waldwege, die nach dem Nonnenturme führten. Viele, die besondere Toiletterücksichten zu nehmen hatten, blieben auf dem breiten, gut gehaltenen Fahrwege. Herr von Walde hatte sicher keine Ahnung, daß seine Begleiterin ihr selbstgewaschenes und gebügeltes Mullkleid mit ebenso ängstlichem Auge behütete, wie die anderen Damen ihre teueren Toiletten, sonst würde er sie sicher nicht auf den schmalen, wenig betretenen Weg geführt haben, in der er plötzlich einbog.

      »Hier ist es gewöhnlich sehr feucht,« brach Elisabeth mit schüchterner Stimme das Stillschweigen, denn es war bisher kein Wort zwischen ihnen gefallen. Ihr Fuß zuckte, als habe er die größte Lust, zurück statt vorwärts zu gehen. Vielleicht dachte sie aber auch in diesem Augenblicke gar nicht an ihr Kleid und ihre dünnen Schuhe, und sah nur den engen, grünen Laubgang vor sich, durch den sie mutterseelenallein mit ihm gehen sollte, hörte bebend schon im Geiste seine Stimme, die plötzlich rauh, ungeduldig und herrisch wurde, denn das war ja stets der Fall, wenn er sich mit ihr allein sah.

      »Es hat lange nicht geregnet; sehen Sie die Risse und Sprünge in dem trockenen Boden?« entgegnete er ruhig weiterschreitend und einen Zweig abknickend, der Elisabeths Wange bedrohte. »Wir kommen auf diesem Wege schneller vorwärts und haben den Vorteil, auf

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