Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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als jegliche Glocke weiß solche Mär ein Weib zu verkünden. Kaum eilt die Winkelhüterin rufend davon, sind ich und der Lazarus schon von Menschen umringt. Ich weiß kaum, wie ich die Sache erzählen soll, und der Junge murmelt ein um das andere Mal: »Paulus«, und sonst sagt er kein Wort.

      Wir fragen ihn, wer Paulus sei? Statt auf die Frage zu antworten, versetzte er mit seltsam scheuem Blick: »Er hat mich hergeführt zum Kreuz.« Und laut und angstvoll ruft er: »Paulus!« Seine Zunge ist unbeholfen, seine Stimme fremdartig.

      Wir führen ihn ins Haus; die Hauswirtin stellt ihm zu essen vor. Traurig blickt er auf den Eierkuchen, wendet den Kopf nach allen Seiten und immer wieder zurück auf den Kuchen und rührt keinen Bissen an.

      Allmiteinander reden wir ihm zu, daß er essen möge. Seine mageren Hände strecken sich aus dem Lodenüberwurf hervor und nach der Speise aus, aber sie zucken wieder zurück, und der Junge zittert und hebt endlich an zu schluchzen. Später bittet er um ein Stück Brot, das er mit Heißhunger verschlingt. Dabei fallen ihm die schwarzen Locken über die Augen herab, er streicht sie nicht zur Seite. Zuletzt taucht er das Brot in den Wasserkrug und ißt mit gesteigerter Gier und trinkt das Wasser bis auf den letzten Tropfen.

      Wir stehen herum, und wir sehen ihm zu, und wir schütteln unsere weisen Häupter, und wollen fragen und fragen; und der Junge hört nichts und starrt in die Spanlunte, die an der Wand leuchtet, oder zum Fenster hinaus in die Dunkelheit.

      Noch in derselben Nacht haben ich und der Grassteiger den Knaben hinaufgeführt in den Hinterwald zu seiner Mutter Hütte. Ein paarmal hat er uns davon und die Lehnen hinanklettern wollen in den Wald. Stumm wie ein Maulwurf und scheu wie ein Reh ist er gewesen.

      Wir kommen zu des schwarzen Mathes Haus, die schwarze Hütte genannt. Da liegt alles in tiefer Ruh. Das Brünnlein flüstert vor der Tür; das Geäste der Tannen ächzt über dem Dache. In der Nacht hört man auf solche Dinge; am Tage ist, wenn einer so sagen dürfte, das stete Tönen des Lichtes, da wird dergleichen selten beachtet.

      Der Grassteiger hält den Knaben an der Hand. Ich stelle mich an ein Fenster und rufe hinein durch die Papierscheibe: »Adelheid, wacht ein wenig auf!«

      Da ist drinnen ein kleines Geräusch und ein verzagtes Fragen, wer denn draußen.

      »Der Andreas Erdmann von Winkelsteg ist da und noch zwei andere!« sage ich. »Erschreckt aber nicht. In der neuen Kirche hat sich ein Wunder zugetragen. Der Herr hat den Lazarus erweckt!«

      In der Hütte leckt mehrmals ein roter Schein an den Wänden, wie matte Blitze zu sehen. Das Weib hat an der Herdglut einen Span angeblasen.

      Sie leuchtet uns zur Türe herein, aber als sie den Knaben sieht, fällt der Span zu Boden und verlischt.

      Da ich endlich wieder ein Licht zuwege bringe, lehnt das Weib an dem Türpfosten und Lazarus liegt auf dem Angesichte. Er wimmert. Der Grassteiger hebt ihn empor und tut ihm die Locken aus dem Antlitz. Die Adelheid steht fast regungslos im Nachtkleide; nur in ihrer Brust ist Unruhe. Sie legt die beiden Hände über die Brust, sie wendet sich gegen die Wand und lechzt nach Atem, ich habe gemeint, sie bricht uns zusammen. Letztlich wendet sie sich zum Knaben und sagt: »Bist wohl einmal da, Lazarus?« – Und zu uns: »Tut euch ab dort auf der Bank, will gleich eine Suppe kochen!« – Und wieder zum Knaben: »Zieh die nassen Schuh' aus, Bub!«

      Er hat gar keine Schuhe an den Füßen; Sohlen aus Baumrinden hat er angebunden.

      Das Weib geht zum Bette, weckt das Mädchen, es möge schnell aufstehen, es sei der Lazarus gekommen. Das Mädchen hebt an zu weinen.

      Die Suppe steht fertig auf dem Tisch; der Knabe starrt mit seinen großen Augen den Tisch und die Mutter an. Und jetzt erst bricht das Mutterherz los: »Mein Kind, du kennst mich nimmer! Ja, ich bin alt geworden über die hundert Jahr'! Wo bist mir gewesen diese ewige Zeit! Jesus Maria!« Sie reißt das Kind an ihre Brust.

      Lazarus läßt es geschehen und starrt zur Erde; ich merke wohl, wie seine Lippen zucken, aber er sagt kein Wort. Er muß Bedeutsames erfahren haben; seine Seele liegt unter einem Banne.

      Als er hierauf seinen Lodenüberwurf austut, um auf das frisch bereitete Lager zu steigen, langt er aus diesem Übertuch in eine Handvoll grauer Körner und streut sie mit einem Wurf über den Fußboden hin. Kaum das geschehen, hebt er an, sich zu bücken und die Körner, Steinchen sind es, wieder aufzulesen. Er zählt sie in seiner Hand und sucht dann in allen Fugen und Winkeln, und hebt mit Sorgfalt jedes der Kornchen, und zählt und sucht wieder, und sucht mit Gelassenheit eine lange Weile auf dem Estrich der Hütte, bis er das letzte Stück hebt und ihm die Zahl in der Hand voll ist. Und selbunter haben wir den Jungen zum ersten Male lächeln gesehen. Danach tut er die Steinlein wieder in die Tasche seines Überwurfes und geht zu Bette. Er schläft bald ein.

      Wir sind noch lange am Herd gestanden bei der Spanlunte und haben unsere Gedanken ausgesprochen über das Seltsame, wie es mit und in diesem Kinde ist.

      Christmonat 1818

      Der Knabe Lazarus muß in einer wunderbar mächtigen Schule gewesen sein. Von seinem Jähzorne ist kaum eine Spur mehr, nur geht, wenn er erregt ist, ein kurzes, blitzartiges Zucken durch sein Wesen. Er wird auch wieder fröhlich und heiter. Von seinem Leben im Jahre seiner Abwesenheit will er nichts Rechtes aussagen. Paulus hätte ihm verboten, mehr zu reden, als nötig. Zuweilen erzählt er aber doch, nur sind die Worte unklar und verwirrt, schier wie Traumrednerei. Er spricht von einem Felsenhause und von einem guten, ernsten Manne, und von Bußübungen, und von einem Kreuzbilde.

      Lebhaft und bestimmt werden seine Worte nur, wenn er in der Lage ist, seine und des Mannes Ehre irgendwie verteidigen zu müssen.

      In der Gemeinde wird viel von dem »Wunderknaben« gesprochen. Einige glauben, Lazarus sei bei einem Zauberer in der Lehre gewesen und werde noch große Dinge vollbringen.

      Der alte Waldsänger sagt, er täte meinen, nun müsse bald der Messias erscheinen; Lazarus sei der neue Vorläufer, Johannes der Täufer, der sich in der Wüste genährt von Heuschrecken und wilden Schnecken.

      Gott walte es. Ein tätiger und herzenswarmer Pfarrer wäre für Winkelsteg der Messias. Aber es ist, wie der Holdenschlager gesagt hat, es will keiner herein in die verlorenen Waldtäler.

      Ich bin der einzige, der die Kirche verwaltet, läutet, Orgel spielt, singt und vorbetet, wenn Sonntag ist. Die Täuflinge und Toten müssen nach Holdenschlag wie vor und eh.

      Im Hornung 1819

      Was geht das mich an? Gar nichts geht's mich an. Aber ich bringe es doch nicht aus dem Kopf, was mir der Förster von dem jungen Herrn erzählt hat.

      Mit Verweichlichung seines Körpers sei es angegangen, mit losen, lockeren Spielen, Gelagen, Schlemmereien und Ausschweifungen gehe es weiter. Bah, wir sind Freiherr, wir sind Millionär, wir sind ein schöner, junger Mann, also dreinfahren! – So hat's der Förster ausgelegt. – Ei, der wird's so genau nicht wissen.

      Hermann soll in der Hauptstadt sein, weit von daheim und von seiner Schwester. Ja, selbunter wäre freilich alles möglich. – Gott schütze dich, Hermann! Es wäre auch nicht schön von mir, dem Schulmeister, wenn sein erster Schüler ein ...

      Heb dich weg, du häßliches Wort! Hermann ist ein braver, junger Mann. Was weiß der Förster.

      Im Frühjahr 1819

      Die Gegend altert schnell. Die Berge werden grau und kahl; der Wald wird verbrannt; in allen Tälern rauchen

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