Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band). Peter Rosegger

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Peter Rosegger: Romane, Erzählungen & Gedichte (Über 570 Titel in einem Band) - Peter  Rosegger

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Märtyrer besucht und habe gewähnt, in dem Lande ein still-beschauliches Leben führen zu können. Aber bald werden wir ausgesandt zur Arbeit. Ich weiß kaum mehr, durch welche Vermittlung, aber auf einmal sehe ich mich versetzt in eines der Länder, die gegen Abend liegen, an den Hof des Königs. Vielleicht ist es meine Abkunft, vielleicht die Erziehung, die ich genossen, vielleicht auch meine Gelehrsamkeit oder eine gewisse Klugheit, die ich mir nach und nach angeeignet, oder es kann meine Körpergestalt gewesen sein, die schön genannt war – oder all das zusammen oder noch ein anderes, was mich befördert hat, ich weiß es nicht.

      Ich habe nach einiger Zeit ein einflußreiches Amt in der Staatskanzlei erhalten. Und mein Wahlspruch ist gewesen: Sei ein geheimes Rad im großen Werkskasten des Staates und leite das Volk nach den Absichten Gottes.

      Geschmeidigkeit, Sanftmut, Heiterkeit und Duldsamkeit sind die Tugenden, deren ich mich zu befleißigen gehabt habe. So bin ich der Freund des Hofes geworden, der gerne gesehene Gesellschafter, der gesuchte Ratgeber; und wenn ich in der Schloßkapelle meine Messe gelesen habe, so sind die hohen Frauen vor dem Altare auf den Knien gelegen. Endlich bin ich Beichtvater des Königs geworden.

      Die Welt lächelt, und mir gefällt ihr Lächeln wieder.

      Leicht trage ich das Gelübde der Armut, denn ich wohne im Königspalast. Treu bleibe ich dem Gelübde der Entsagung, denn was ich genieße, das genieße ich Gott zuliebe.

      Da bricht eine bewegte Zeit an. In der Welt wütet die Empörung; auch in unserem Lande gärt ein Aufruhr. öfter als sonst versammelt der König die Großen des Reiches um sich, und angelegentlicher wird die Beichte, die er an jedem dreißigsten Tag mir ablegt.

      Da kommt eines Tages an mich ein Befehl; er ist mit großem Siegel verschlossen. Als ich ihn gelesen, lehnt sich etwas in mir auf. Nein, so kann ich nicht handeln, so mein Amt nicht mißbrauchen.

      Zur selben Zeit erhalte ich die Nachricht von dem Tode meines Vaters. Das bringt mich zu mir selbst. Kindesliebe, Schmerz, Sehnsucht, Heimweh, Schuldbewußtsein und Reue graben in meinem Gehirne.

      Da kommt plötzlich der Befehl, ich müßte mich einschiffen nach Ostindien!

      Das schmettert mich vollends nieder. Anstatt ins Vaterland, soll ich in einen fernen Weltteil reisen, warum? Zu welchen Zwecken? Wer fragt? – Die erste Satzung des Ordens lautet: ›Blinder Gehorsam!‹«

      Hier hat der Mann seine Erzählung unterbrochen. Mit den Fingern ist er sich über seine hageren Wangen gefahren bis herab zu den Bartstoppeln des Backens. Sein Auge, in welchem Unruhe und Müdigkeit gelegen, hat sich schwermütig empor zur Höhe gewendet. Da oben haben die finsteren Wolkenlasten nicht mehr hingejagt, sondern angefangen, sich an den Felswänden niederzusenken. Tiefe Stille und Dämmerung ist gelegen über dem Waldkessel der Wolfsgrube.

      Und endlich fährt der Einspanig fort: »Vier ewige Sommer habe ich mit einigen Gefährten in dem heißen Indien verlebt. Die Beschwerden sind groß gewesen. Nur in der Erfüllung des Berufes habe ich einigen Trost gefunden. Nicht mehr für besondere Vorteile eines Bundes haben wir gearbeitet, sondern für die gemeinsame Sache der Menschen, die Gesittung. Wir haben den Hindus den Pflug gegeben, auf ihre Berghöhen haben wir das Kreuz gepflanzt. Wir predigen ihnen die Gotteslehre der Selbstaufopferung und Liebe. Anfangs haben sie Mißtrauen und Verfolgung gegen uns, endlich aber öffnen sie ihr Herz. Als Boten des Himmels haben sie uns verehrt.

      Bereits haben wir in Dekan eine christliche Gemeinde zustande gebracht, da kommen abendländische Scharen, Engländer und Franken, bekriegen Teile des Landes und unterjochen sie. Da handelt es sich nicht mehr um die christliche Liebe, sondern um Reis und Gewürze. Und vorbei ist es gewesen mit dem Glauben der Hindus an unsere Lehre. Ermorden haben sie uns wollen. Auf ein fränkisches Schiff haben wir uns geflüchtet und sind zurückgekehrt nach Europa.

      Nun sehe ich endlich mein Vaterland wieder. Eine andere Zeit ist. Das Volk ist lau und droht mit dem Abfalle. Wir werden planmäßig verteilt in Stadt und Land.

      Da ich mich am Königshofe nicht bewährt habe, ich auch auf den Reisen verwildert und aus dem Gleise der gesellschaftlichen Verhältnisse gekommen bin, und da an mir ferner mehr Gewissensskrupel als Klugheit zu merken ist, so trifft mich das Los: ich werde den Volksmissionären zugeteilt. Kaum kann ich meine Geburtsstadt und das Grab meines Vaters besuchen, ehe ich fort muß in das Gebirge. Mit drei Genossen wandere ich von Gegend zu Gegend, um in bestimmten Pfarrkirchen sogenannte Missionen abzuhalten. Bei mächtigen Herren sind wir die Heiteren, Geschmeidigen, Duldsamen gewesen; bei den wilden Völkern die Apostel der Kultur, die strengen und liebevollen Lehrer des Christusglaubens. Hier aber, bei dem verknöcherten, trägen, leichtsinnigen und noch dazu durch neue Grundsätze verdorbenen Landvolke müssen wir erscheinen als Warner, als Richter der Sünde.

      Anfangs, da kommen sie mit Übermut und Neugierde zur Kirche herein, um die Wanderprediger zu sehen; aber als sie die dumpfen Worte von der Not der Seelen, von der Gefahr der Welt, von der Sterbestunde und von dem schrecklichen Gericht hören, da heben sie an zu erbleichen. Bald liegen sie zerknirscht vor dem schwarzverhüllten Altare, drängen sich zu unseren Beichtstühlen.

      Vor jeder Kirche haben wir ein hohes, kahles Kreuz aufgestellt. Christus ist für euch gekreuzigt worden, jetzt kreuziget euch selbst in Abtötung und Buße.

      Ich bin in Eifer geraten, der mich fortgezogen hat in dem, was unseres Amtes gewesen, und der mich fortgerissen hat in eine Schwärmerei, die ich bislang an mir nicht gekannt habe. – Mein beständiger Ruf war: Tuet Buße! –

      Wie lebendig und lustig es im Dorfe auch gewesen ist, wo wir eingezogen: es wird bald still in den Gassen und öde auf den Feldern und Wiesen.

      Der Roggen verdorrt, unser Weizen reift. – Aber wenn die Stunden der Begeisterung vorüber, so ist ein Dämon in mir, der mich abwenden will von dem heiligen Beruf. Ich habe diesen Dämon für den Teufel gehalten. Es wird aber was anderes gewesen sein. – Nicht wahr, jetzt kommt schon die Nacht?«

      Fast verwirrt hat mich der Mann angeblickt, als hätte er von mir die Beantwortung seiner Frage erwartet.

      »Die Nacht kann das noch nicht sein«, habe ich entgegnet, »der Nebel legt sich so über den Wald.«

      »Ja, ja«, fährt der seltsame Erzähler wie träumend fort, »es kommt die Nacht. Junger Freund, Ihr werdet sehen, es kommt die finstere Nacht.«

      Nun ist es eine Weile so still, daß man vermeint, den Nebel spinnen zu hören in dem Geäste der Tannen. Nachher erzählt der Mann weiter:

      »In einem großen Dorfe ist es gewesen. Ich sitze noch spätabends im Beichtstuhl. Die Kirche ist endlich leer geworden, und die Ampel des Altars legt ihren Schein schon an die Wände. Ein einziger Mann steht noch neben dem Beichtstuhl und scheint unentschlossen, ob er sich nähern oder auch die Kirche verlassen soll.

      Ich winke ihm. Er schrickt zusammen, tritt näher und sinkt auf die Knie vor dem Schuber des Beichtstuhles. Sein Bekreuzen ist ein krampfhaftes Zucken der rechten Hand über das Gesicht. Er sagt nicht das übliche Gebet; in wirren und hastigen Worten teilt er mir sein Bekenntnis mit. Dann faltet er die Hände so fest ineinander, daß sie zittern, und stammelt die Bitte um Lossprechung. – Ich will dem Geängstigten Worte des Trostes sagen. Aber unwirsch stoße ich mein eigen Herz zurück, denn die Satzung verlangt in diesem Falle unerbittliche Strenge.

      Und wie er stumm so dakniet, entgegne ich in ruhiger Weise: das Unrecht könne ihm nicht verziehen werden vor Gott, solange es nicht gutgemacht.

      – Gutmachen, das kann ich nicht mehr, versetzt er, mein Nachbar ist fortgegangen; ich weiß nicht, wohin. Er ist nicht zu finden.

      –

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