GUARDIANS - Das Vermächtnis. Caledonia Fan
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"Wenn Shujaa dabei ist, wäre es machbar. Er könnte uns immer Bescheid sagen, wenn sich jemand nähert."
"Vergiss das mal ganz schnell wieder", mischte sich nun Tanyel ein und richtete seinen ernsten Blick auf Yonas. "Das", er deutete auf Ahmad, "soll nicht umsonst gewesen sein, okay?"
Der blonde Teenager biss sich auf die Lippen. Daran hatte er nicht gedacht, dass Ahmad ja wegen seiner Entführung verletzt worden war. Er würde das wiedergutmachen, das beschloss er in diesem Moment. Und wenn er ganz allein ins Schloss gehen musste, aber Ahmad würde seinen Dolch wiederbekommen. Das wäre das beste Dankeschön, was er sich für den schwarzen Guardian vorstellen konnte. Er wusste, wo er zu suchen hatte und einer allein würde nicht so schnell entdeckt werden wie eine Gruppe. Ihm stand eine ganze Nacht zur Verfügung.
Diese Gedanken schossen ihm durch den Kopf, als er Tanyels Frage mit einem betretenen Nicken beantwortete.
Der Steward schien zufrieden damit. "Ich werde sie hierlassen, falls er danach fragt. Sein Holster hat Sadik mit ins Kutscherhaus rüber genommen. Es hat einen Riss und Gaz wird es reparieren, wenn er zurück ist." Er wickelte die Pistole wieder ein und legte sie auf den kleinen Tisch. "Ab mit euch zum Abendessen", meinte er dann mit einem vorwurfsvollen Blick auf Trajans angebissenes Brot, während er seine Jacke auszog. "Ich bleibe so lange hier, bis Issam kommt."
"Kann ich lieber bleiben?", bat Trajan. "Ich würde gern hier sein, wenn er aufwacht." Hilfesuchend schielte er zu Yonas und der beeilte sich zustimmend zu nicken.
"Trajan hat sein Abendessen bereits hier, weil ich mir sowas schon gedacht hab", unterstützte er die Bitte des Freundes. Dann griff er sich seinen Schulrucksack, der noch neben der Tür lag, und verließ das Krankenzimmer mit einem Nicken in Tanyels Richtung.
"Das klärst du besser mit Issam", antwortete der auf Trajans Frage und sah auf seine Uhr. "Er wird gleich kommen. Ich löse dich dann auf jeden Fall ab, ihr habt ja heute Abend noch Besprechung." Auch er wandte sich zum Gehen. Doch im Behandlungszimmer blieb er stehen und drehte sich noch einmal um.
"Jetzt zeigst du ein gutes Blau", meinte er leise, ohne Trajan dabei direkt anzuschauen. "Blau mit etwas Braun. Pass auf, dass es nicht wieder brauner wird."
Leise schloss sich die Tür hinter ihm.
Trajan sah ihm einen Moment mit gerunzelter Stirn nach. Er wusste genau, was Tanyel meinte.
Blaue Farbe stand bei der Wahrnehmung des Stewards für Ausgeglichenheit, Kühle, Berechnung und Entschlossenheit. Alles Eigenschaften, die innere Ruhe voraussetzten. Doch ein sehr dunkles Blau mit Tendenz zum lila stand auch für Rückzug, Frustration, Mutlosigkeit. Und Braun verriet Unsicherheit und Sorge bis hin zu nackter Angst bei dem Betreffenden. Je dunkler das Braun war, desto mehr Angst war im Spiel. Und genau das hatte Tanyel heute Nacht bei ihm gesehen.
Seufzend fuhr er sich mit der Hand durch das dichte Haar mit der widerspenstigen Stirnpartie. Er wusste, dass der Steward recht hatte mit seiner Bemerkung. Tief in sich spürte er Sorge. Ahmads Worte von vorhin, mit denen der Kamerad ihm aufgetragen hatte, Yonas nicht aus den Augen zu lassen konnte er einfach nicht vergessen. Es war ihm so wichtig gewesen ...
Mittwoch, 19:00 Uhr
Fast alle Guardians saßen bereits im Besprechungsraum. Als einer der wenigen Räume des Landsitzes, in denen nichts verändert worden war, atmete er noch den Charme und die Erhabenheit vergangener Tage. Die tiefen Fenster der Westseite ließen bei Tag viel Licht hereinfallen, während sich auf der gegenüberliegenden Seite ausschließlich die mehr als mannshohen Bücherregale aus poliertem Nussbaumholz aneinanderreihten. Der Kamin in der Mitte der dunklen Bücherschränke wirkte, als habe er sich dazwischengedrängt und den Platz darüber beanspruchte das große Ölgemälde, das Tariqs Eltern in liebevoller Umarmung zeigte. Sein arabischer Vater, mit Whiskyglas und Zigarre in der rechten Hand, hatte dabei schützend den linken Arm um seine zierliche, einen ganzen Kopf kleinere Frau gelegt, die sich vertrauensvoll an seine Schulter schmiegte und glücklich lächelte.
Ein verschnörkelter, bronzener Kronleuchter erhellte den vorderen Teil des Raumes. Der hintere, der durch zwei marmorne Säulen optisch abgetrennt wirkte und jetzt im Dunkeln lag, beherbergte den Billardtisch und einen storchenbeinigen Schreibsekretär.
Die Möbel waren so alt wie der Landsitz selbst. Besonders die Ledersitzgruppe, auf denen sich die Guardians schon niedergelassen hatten, zeigte bereits deutliche Abnutzungsspuren. Doch Tariq duldete keine Veränderung in dem Raum, der früher, in seiner Kindheit, als Salon gedient hatte. Und die anderen liebten die schweren Möbel ebenso wie den flauschigen Teppich darunter, obwohl der aufgrund seiner wilden Musterung ziemlich hässlich wirkte.
Das Schießtraining würde heute Abend ausfallen. Gaz, ihr Waffentrainer, war vor ein paar Minuten erst von einer dreitätigen Reise zurückgekommen. Tariq hatte ihn kurz über das Vorgefallene unterrichtet. Selbstverständlich saß er nun mit hier, denn der Chef hatte ja angekündigt, den gestrigen Einsatz heute auswerten zu wollen. Sein Bruder Sadik, Senad und Shujaa waren hingegen noch nicht wieder da. Das "Triple-S" genannte Observierungs-Team hatte am Nachmittag gleich nach dem Training den Landsitz verlassen, um das Schloss zu erkunden und Hinweise auf Rayan zu finden.
Yonas musste auch wieder an der Besprechung teilnehmen. Es war wie ein Spießrutenlauf für ihn. Niemand hatte ihm Vorwürfe gemacht, aber seine Entführung hatte diesen verhängnisvollen Einsatz überhaupt erst erfordert. Unbehaglich sah er zu Koll hinüber. Der grüne Guardian war so alt wie er selbst und gestern Abend beinahe erschossen worden. Weil er, Yonas, sich schlimmer verhalten hatte als ein Anfänger!
Scham und Neid hielten sich die Waage bei den Gefühlen, die ihn momentan beherrschten. Scham über seine eigene Unzulänglichkeit, Neid auf die Kampferfahrung und die Ausbildung seiner Kameraden. Er war nicht einmal sicher, ob er dieses Wort überhaupt verwenden durfte, wenn er von ihnen sprach. Schließlich gehörte er gar nicht zu ihnen.
Wütend ballte er die Hände zu Fäusten und nahm sich vor, beim Training in Selbstverteidigung künftig aufmerksamer zuzuschauen, um schneller zu lernen. Selbst wenn er keine Waffe trug und voraussichtlich auch nie eine tragen würde, denn Tariq hatte seine Bitte, ein Guardian werden zu dürfen, bereits zweimal abgelehnt. Ohne Begründung. Offensichtlich sah der Chef kein Potenzial bei ihm und das zu wissen tat weh. Einzig die Aussicht, Ahmads Dolch zurückzubringen, schaffte es, dass er sich ein wenig besser fühlte.
Trajan wollte ebenfalls nicht hier sitzen. Diese ganze Auswertung interessierte ihn nicht im Mindesten. Mühelos brachte er das leise Mahnen seines Gewissens zum Schweigen, dass diese Einstellung eines Guardians unwürdig sei. Viel lieber würde er hinten in der Klinik sein als hier, doch der Chef war unerbittlich gewesen. Tanyel hatte seinen Platz dort eingenommen und ihn einfach vor die Tür gesetzt.
Jetzt waren Schritte auf den Steinfliesen im Foyer zu hören, die sich näherten, und gleich darauf trat Tariq ein. Wie heute Morgen schon richteten sich die Blicke aller erwartungsvoll auf ihn. Verblüfft registrierten sie den geöffneten obersten Hemdsknopf und die aufgekrempelten Ärmel. Das war ungewöhnlich für den Chef.
"Wir fangen an", meinte er, während er die schwere Holztür mit den kunstvollen Schnitzereien hinter sich schloss. "Die anderen kommen später. Sie sind noch im Schloss, um sich da etwas genauer umzusehen. Sadik will sich selbst ein Bild machen, weil er ja gestern Abend mit Team Gelb bei einem Einsatz in der Stadt war. Euch beide bitte ich, besonders gut zuzuhören, wenn er dann wieder da ist und uns mitteilt, was er herausgefunden hat."
Er sah erst Rhea bei diesen Worten an und dann Nakoa, den ruhigen jungen Mann mit dem südländischen Aussehen. Die beiden gelben Guardians warfen einander einen kurzen