Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac
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Jetzt ließ sich ein zweiter Schlag mit dem Türklopfer hören.
»Das ist der geistvolle Andoche«, sagte Gaudissart.
Ein ziemlich pausbäckiger, dicker, junger Mann von mittlerer Größe erschien plötzlich, der von Kopf bis Fuß wie der Sohn eines Hutmachers aussah, mit einem Gesicht, dessen feine Züge durch ein steifes Wesen wie erstarrt schienen. Sein Antlitz, das trübe aussah, wie bei einem vom Elend bedrückten Menschen, erheiterte sich, als er den gedeckten Tisch und die Flaschen mit verheißungsvollen Köpfen erblickte. Bei Gaudissarts Ausruf funkelten seine blaßblauen Augen, sein dicker Kopf mit dem Kalmückengesicht bewegte sich nach rechts und nach links, er begrüßte Popinot in eigenartiger Weise, weder untertänig, noch achtungsvoll, sondern wie ein Mann, der sich hier nicht am Platze fühlt, aber es nicht zugestehen will. Er begann damals einzusehen, daß er gar keine literarische Begabung besaß; er wollte aber die Literatur ausschlachten, sich auf die Schultern geistvoller Leute stellen und mit ihr lieber Geschäfte als schlecht bezahlte Werke machen. Augenblicklich fing er an, nachdem er die Erniedrigung und Demütigung vergeblicher Schritte und Bemühungen ausgekostet hatte, wie die Männer der Hochfinanz eine Wendung zu vollziehen und eine gewollte Unverschämtheit zur Schau zu tragen. Er brauchte aber hierfür eine erste Grundlage, und Gaudissart hat ihn dazu auf das Inszenesetzen von Popinots Öl hingewiesen.
»Sie sollen für seine Rechnung mit den Zeitungen verhandeln, aber betrügen Sie ihn nicht, sonst gibt es zwischen uns beiden ein Duell auf Leben und Tod; er soll für sein Geld auch etwas haben!« Popinot blickte den »Autor« mit unruhiger Miene an. Die richtigen Kaufleute betrachten einen Autor mit einem Gefühl, das aus Schreck, Mitleid und Neugierde zusammengesetzt ist. Obwohl Popinot eine gute Erziehung zuteil geworden war, hatten die Gewohnheiten seiner Verwandten, ihre Anschauungen, die verdummenden Arbeiten im Laden und an der Kasse seine Intelligenz, die sich den Bräuchen und der Handlungsweise seines Berufs anpassen mußte, beeinträchtigt, ein Phänomen, das man gut beobachten kann, wenn man auf die Wandlungen achtet, die sich in zehn Jahren bei hundert Kameraden vollzogen haben, die als annähernd die gleichen die Schule oder die Pension verlassen haben. Andoche nahm dieses Erstaunen für tiefe Bewunderung.
»Vorwärts, wir wollen den Prospekt vor dem Essen in den Grund bohren, dann können wir ohne Hintergedanken trinken«, sagte Gaudissart. »Nach dem Diner liest es sich schlecht. Auch die Zunge will in Ruhe verdauen.«
»Herr Finot,« sagte Popinot, »ein Prospekt bedeutet häufig ein Vermögen.«
»Und für kleine Leute wie mich ist das Vermögen häufig nur ein Prospekt«, bemerkte Andoche.
»Sehr hübsch gesagt«, meinte Gaudissart. »Dieser Spaßvogel von Andoche hat Geist wie die vierzig Unsterblichen.«
»Wie hundert«, sagte Popinot, der über diesen Gedanken staunte.
Der ungeduldige Gaudissart ergriff das Manuskript und las mit lauter Stimme und emphatischer Betonung:
»Huile Céphalique!«
»Ich hätte es lieber ›Huile Césarienne‹ genannt«, sagte Popinot.
»Lieber Freund,« sagte Gaudissart, »du kennst die Leute in der Provinz nicht; es gibt eine chirurgische Operation, die diese Bezeichnung hat, und sie sind so dumm, daß sie glauben würden, dein Öl wäre gut für eine leichtere Entbindung; sie von da auf die Haare zu bringen, dazu müßte man sich die Lunge aus dem Halse reden.«
»Ich will meine Benennung nicht verteidigen,« sagte der Autor, »aber ich gebe Ihnen zu bedenken, daß Huile Céphalique Öl für den Kopf bedeutet und damit Ihre Ideen zusammenfaßt.«
»Also weiter!« sagte Popinot ungeduldig.
Der Wortlaut des Prospektes, so wie er noch heute in Tausenden von Exemplaren im Handel verbreitet wird, ist folgender (Zweites Belags-Dokument):
Goldene Medaille auf der Ausstellung von 1819.
Huile Céphalique
Patentamtlich geschützt.
Kein Kosmetikum kann bewirken, daß die Haare wachsen, ebenso wie kein chemisches Mittel sie färben kann, ohne Gefahr für den Sitz des Verstandes. Die Wissenschaft hat erst kürzlich festgestellt, daß das Haar eine abgestorbene Substanz ist, und daß kein Mittel ihr Ausfallen oder ihr Ergrauen verhindern kann. Um dem Dünnwerden des Haares und der Kahlköpfigkeit vorzubeugen, genügt es, die Haarzwiebel, aus der es herauswächst, gegen jeden äußeren atmosphärischen Einfluß zu schützen und dem Kopfe seine natürliche Wärme zu erhalten. Das Huile Céphalique wird nach den von der Akademie der Wissenschaften festgestellten Grundsätzen hergestellt und erzielt dasselbe maßgebende Resultat, das die Alten, die Römer, die Griechen und die nordischen Nationen, denen ihr Haarschmuck so kostbar war, erreicht haben. Gelehrte Untersuchungen haben ergeben, daß die Edeln, die sich einstmals durch ihr langes Haar auszeichneten, kein anderes Mittel angewandt haben; nur war ihr Rezept, das von A. Popinot, dem Erfinder des Huile Céphalique, so geschickt wieder entdeckt wurde, verloren gegangen.
Zu erhalten, anstatt einen vergeblichen oder schädlichen Reiz auf die Haut, die die Haarzwiebeln umschließt, auszuüben, das ist der Zweck des Huile Céphalique. Und in der Tat schützt dieses Öl, das das Abblättern der Schuppen verhütet und einen lieblichen Duft verbreitet, durch seine Ingredienzien, unter denen die Nußessenz die Hauptrolle spielt, auch gegen Erkältungen, gegen den Schnupfen und gegen alle Arten von Kopfbeschwerden, indem es das Innere in seiner natürlichen Wärme erhält. Dadurch werden die Haarzwiebeln, welche die den Haarwuchs erzeugende Flüssigkeit enthalten, weder von der Kälte noch von der Hitze angegriffen. Das Haar, dieser prächtige Schmuck, auf den Männer wie Frauen so viel