Schloss Frydenholm. Hans Scherfig

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Schloss Frydenholm - Hans Scherfig

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Juden, und er wußte, wie sie waren. In seiner Kindheit hatte sich in der Gegend von Zeit zu Zeit ein alter Jude gezeigt, der lange, zerlumpte Kleider trug, einen grauen Bart hatte und schwarze, funkelnde Augen. Er wanderte von Haus zu Haus und verkaufte Seife. Seine Ware führte er in einem hohen, rostigen Kinderwagen mit sich, und wenn man nichts kaufen wollte oder seine Seife gar kritisierte, geriet er in furchtbaren Zorn und schimpfte laut und grob. Dieser hitzige alte Mann war der Schrecken seiner Kindheit gewesen, und seine Mutter drohte damit, daß der Jude ihn holen würde, wenn er nicht artig sei. So waren die Juden.

      Die gemischten Bonbons waren nicht mehr so wie in Marius’ Kindheit, als er vom Kaufmann jeden Sonnabend eine Tüte voll gratis bekam. Damals waren die Bonbons angenehmer im Geschmack gewesen und schöner in Form und Farbe. Es ging eben abwärts, mit den Bonbons und mit allem anderen. Auf allen Gebieten machten sich Verfall und Degeneration bemerkbar.

      „Daran ist bestimmt das ,System‘ schuld“, sagt der Kommis. „Du wirst sehen, Marius, es sind die Sozialisten und Juden, die deine Bonbons verhunzen!“ Und die Leute im Laden amüsierten sich über Marius.

      Aber Marius war nicht mehr der Mann, über den man sich amüsieren durfte. Schon bald kam die Zeit, wo man mit Höschen-Marius und seinesgleichen rechnen mußte. Er lutschte Bonbons und hatte Rotz im Schnurrbart. Doch er ging selbstbewußt und würdig die weiße Dorfstraße entlang. Er stampfte in neuen Schaftstiefeln dahin und stieß seinen Stock grimmig in den Schnee. Wartet nur, die Zeit kommt, da die Köpfe rollen werden!

      11

      Noch im März staken die Fähren im Eis fest. Seeland war von Europa abgeschnitten. Und trotz Osterferien und Verkehrsschwierigkeiten trat das Folketing zusammen und beschloß, das Gesetz zu verlängern, das eine zentrale Warmwasserversorgung und Zimmertemperaturen von mehr als achtzehn Grad Celsius verbot.

      Draußen auf den eisfreien Meeren wurden die Schiffe des Landes von den Deutschen versenkt. Es war schon angenehmer, zu Hause zu sitzen, mochte das Eis auch Schwierigkeiten bereiten und das Heizmaterial knapp sein. Und doch war die Kälte für viele sehr schlimm, auch wenn die Ärzte im Rundfunk behaupteten, sie sei gesund.

      Pastor Nørregaard-Olsen sprach in seinen Sonntagspredigten über die alte, erprobte Wahrheit, daß dem Winter der Frühling folge. So sei es immer gewesen, und so werde es immer sein. Gott halte sein Wort. Er mogele nicht. Dem Winter folge der Frühling.

      Aber der Schnee stob über das Land, mächtige Schneewehen versperrten die Straßen. Der gelbe Linienbus fuhr zwischen Wänden von Schnee dahin. Die kleinen Gartenzäune und die mißhandelte Ligusterhecke der alten Emma waren begraben. Eigentlich müßte man in den Gärten schon säen und Zwiebeln stecken. Und die Bauern müßten mit der Frühjahrsbestellung anfangen. Alles verspätete sich in diesem Jahr. Man konnte bereits jetzt beginnen, über die Ernte zu jammern. Und das viele Eis, das das Land einschloß und es abkühlte! Die alte Emma war in ihrem Leben noch nie von Seeland heruntergekommen; doch nun fühlte sie sich plötzlich unsicher, wenn sie daran dachte, daß die Fähren festsaßen.

      Der gelbe Linienbus rollte zwischen weißen Wällen vorsichtig auf der glatten Straße dahin. Die Fahrgäste unterhielten sich über das Wetter und über die Mühen der Zeit. Sie kannten sich alle. Doch diesmal fuhr da ein Mann mit, den man seit langer Zeit in der Gegend nicht mehr gesehen hatte. Man wußte nicht sofort, wer es war, aber einer nach dem anderen erkannte ihn wieder, und die Leute guckten und flüsterten. Olsen, der als Diener auf Frydenholm gedient und den man des Mordes an Skjern-Svendsen verdächtigt hatte, saß in dem gelben Bus. Er war dicker geworden. Und er ging besser gekleidet. Er trug einen neuen Mantel mit Pelzkragen und eine Astrachanmütze. Ob er wieder nach Frydenholm kam? Ob er den neuen Grafen kannte?

      Das Land sah noch im März wie auf einer Weihnachtskarte aus, überall Schnee und an den Häusern lange Eiszapfen. Aber es war ein anderer Himmel als im Winter, das Licht war anders. Die Stare hätten längst kommen müssen. Die Lerchen müßten schon singen. Und in den Gärten müßten die Krokusse blühen und an den Wegböschungen der Huflattich. Statt dessen gab es eingefrorene Wasserleitungen und Verkehrsschwierigkeiten. Man hatte noch nicht eine Kartoffel legen können, und die Saat erfror in den Mieten. Nur die Katzen fühlten den Frühling und schrien vor Geilheit bei fünfzehn Grad Kälte.

      Der Linienbus mußte ganz dicht an den Schneewall heranfahren, um ein anderes Auto vorbeizulassen. „Das war sicher der Doktor“, meinte jemand im Bus. Ja, Krankheit gab es genug, obwohl das Radio sagte, es sei gesund, zu frieren. Der Doktor war ständig unterwegs. Auch er trug jetzt eine Pelzmütze. Er hielt vor den kleinen Häusern an, ging hinein und rieb sich die Hände, bevor er den Patienten berührte. „Na, wie geht es uns denn heute so?“

      Die alte Emma wußte nicht, wie es uns geht. Sie konnte nur für sich allein antworten. Ihr ging es ganz und gar nicht gut. Die verteufelte Gicht wurde immer schlimmer. Ebenso die Ischias. Das zog und zerrte im ganzen Bein, bis hinunter in den Fuß, es war, als sei der große Hauptnerv geschwollen.

      „Das ist doch Unsinn“, sagte der Doktor. „Es gibt keinen ,großen Hauptnerv‘. Das ist nichts als Aberglaube.“

      „So“, brummte Emma. „So. Man hat keinen Hauptnerv mehr? Dann ist es wohl auch Aberglaube, daß es weh tut?“ Sie blickte den Doktor zornig an, beleidigt, daß man ihr nicht ihren großen Hauptnerv gönnte. Aber Schmerzen hatte sie jedenfalls, ganz gleich, was die Wissenschaft dazu meinte.

      „Sie brauchen Wärme“, sagte Doktor Damsø. Emma fauchte: „Wärme! Mit dem Torf, den man heutzutage bekommt!“

      „Wissen Sie, Emma, Sie könnten es im Altersheim doch viel besser haben“, sagte der Doktor. „Es ist warm und gemütlich dort. Und Sie hätten auch Gesellschaft. Dort sind noch andere Damen. Und man würde dort auf Sie aufpassen.“

      „Ich kann selbst auf mich aufpassen!“

      „Sie dürfen das nicht als Armenfürsorge betrachten“, redete der Doktor ihr zu. „Das ist nicht so etwas wie in alten Zeiten. Sie haben einfach ein Recht darauf, ein Recht wie wir alle. Sie haben doch selbst dazu beigetragen, das Altersheim zu bezahlen. Es ist unser Recht, dort zu wohnen, wenn wir alt sind.“

      „Geht der Herr Doktor auch ins Altersheim?“ fragte Emma.

      „Ich? Nein, ich weiß nicht. Ich bin ja noch nicht so alt. Noch nicht. Man soll ja nicht über das Alter der Damen sprechen, das ist mir bekannt, aber Sie sind doch bestimmt siebzig, wenn Sie auch jünger aussehen.“

      „Ich bin achtundsiebzig.“

      „Ja, dann haben Sie es aber wahrhaftig verdient, gemütlich und behaglich in unserem Altersheim zu wohnen“, sagte der Doktor.

      „Ich habe mein eigenes Haus.“

      „Aber das Altersheim ist ja auf eine Art auch Ihr Haus. Es ist unser aller Haus.“

      „Und ich habe meinen Garten.“

      „Zum Altersheim gehört ein wirklich schöner Garten.“

      „Ich habe meine Sachen hier”, sagte Emma. „Ich will meine Sachen behalten.“

      „Im Altersheim gibt es doch auch Möbel. Dort sind sehr schöne Möbel. Ein Architekt hat sie entworfen. Sie würden sich dort bestimmt wohl fühlen.“

      „Ich will meine eigenen Möbel behalten“, beharrte Emma.

      Emma besaß nicht gerade prachtvolle Sachen. Sie waren nichts wert. Da war eine wurmstichige Kommode mit Fotografien, einer Muschel und einem gehäkelten Deckchen darauf.

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