Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1. Augustinus von Hippo
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18.
Dies aber sollt ihr wissen, daß alles, was körperlich gesehen wurde, nicht die Substanz Gottes war. Denn jenes sehen wir mit den Augen des Fleisches, wie aber wird die Substanz Gottes gesehen? Frage das Evangelium: „Selig sind, die ein reines Herz haben; denn sie werden Gott anschauen“84. Es gab Menschen85, welche, durch die Eitelkeit ihres Herzens getäuscht, sagten, der Vater sei unsichtbar, der Sohn aber sichtbar. Wie sichtbar? Wenn durch das Fleisch, da er Fleisch annahm, so ist es ganz klar. Denn von jenen, welche das Fleisch Christi sahen, haben die einen an ihn geglaubt, die anderen ihn gekreuzigt, und die an ihn geglaubt haben, wurden nach seiner Kreuzigung schwankend, und wenn sie nach der Auferstehung das Fleisch nicht berührt hätten, so würde der Glaube nicht zu ihnen zurückgekehrt sein. Wenn also der Sohn wegen des Fleisches sichtbar ist, so geben auch wir das zu, wie es denn katholischer Glaube ist; wenn aber vor dem Fleische, wie jene sagen, d. h. vor seiner Menschwerdung, so reden sie sehr albern und irren sehr. Denn jene sichtbaren Dinge sind geschehen auf körperliche Weise durch das Geschöpf, damit in ihnen ein Sinnbild gezeigt würde; gewiß wurde nicht die Substanz (Gottes) selbst gezeigt und kundgegeben. Möge eure Liebe als bescheidenen Beweis dies beachten: Die Weisheit Gottes kann mit Augen nicht gesehen werden. Brüder, wenn Christus die Weisheit Gottes und die Kraft Gottes ist86, wenn Christus das Wort Gottes ist, das Wort des Menschen aber87 mit Augen nicht gesehen werden kann, kann dann das Wort Gottes so gesehen werden?
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Vertreibet also aus euren Herzen fleischliche Gedanken, damit ihr in Wahrheit unter der Gnade seid, damit ihr zum Neuen Testamente gehöret. Deshalb wird das ewige Leben verheißen im Neuen Bunde. Leset das Alte Testament und sehet, wie dem noch fleischlichen Volke dasselbe befohlen wurde wie uns. Denn einen Gott zu verehren wird auch uns geboten. „Du sollst den Namen des Herrn deines Gottes nicht eitel nennen“ wird auch uns geboten ― das zweite Gebot. „Du sollst den Sabbat beobachten“ wird uns noch mehr geboten, weil uns die geistige Beobachtung geboten wird. Denn die Juden beobachteten den Tag des Sabbats knechtisch, zur Schwelgerei, zur Trunkenheit. Um wieviel besser würden ihre Frauen Wollarbeit verrichten, als auf den Söllern tanzen. Es sei ferne, Brüder, daß wir sagen, sie beobachteten den Sabbat. Geistig beobachtet den Sabbat der Christ, indem er sich von knechtlicher Arbeit enthält. Denn was heißt sich von knechtlicher Arbeit enthalten? Von der Sünde sich enthalten. Wie beweisen wir das? Frage den Herrn: „Jeder, der Sünde tut, ist ein Knecht der Sünde“88. Also wird uns auch geistig die Beobachtung des Sabbats geboten. Ferner werden alle anderen Gebote uns noch mehr befohlen und deren Vollziehung uns eingeschärft: „Du sollst nicht töten, du sollst nicht ehebrechen, du sollst nicht stehlen, ehre Vater und Mutter, du sollst deines Nächsten Gut nicht begehren, du sollst deines Nächsten Weib nicht begehren“89. Werden alle diese Dinge nicht auch uns geboten? Doch frage nach dem Lohne und du wirst finden, daß es dort heißt: „Damit die Feinde vertrieben werden vor deinem Angesichte und ihr das Land erhaltet, welches Gott euren Vätern verheißen hat“90. Weil sie das Unsichtbare nicht fassen konnten, wurden sie durch Sichtbares gehalten. Warum wurden sie gehalten? Damit sie nicht gänzlich zugrunde gingen und zu den Götzen abfielen. Denn sie taten dies wirklich, meine Brüder, wie zu lesen ist, uneingedenk der so großen Wunder, welche Gott vor ihren Augen wirkte. Das Meer teilte sich; ein Weg entstand mitten in den Fluten, ihre nachfolgenden Feinde wurden durch dieselben Gewässer begraben, durch welche sie hindurchgingen91, und als Moses, der Mann Gottes, aus ihren Augen weggegangen war, verlangten sie ein Götzenbild und sagten: „Mach uns Götter, die uns vorangehen, denn jener Mann hat uns verlassen“92. Ihre ganze Hoffnung beruhte auf einem Menschen, nicht auf Gott. Siehe, der Mann starb; ist etwa auch Gott gestorben, der sie aus dem Lande Ägypten befreit hatte? Und als sie sich das Bild eines Kalbes gemacht hatten, beteten sie es an und sagten: „ Das sind deine Götter, Israel, welche dich aus dem Lande Ägypten befreit haben“. Wie schnell haben sie eine so offenbare Gnade vergessen? Durch welche Mittel also sollte ein solches Volk gehalten werden, als eben durch fleischliche Verheißungen?
20.
Dasselbe wird dort im Dekalog des Gesetzes befohlen wie auch uns, aber es wird nicht dasselbe verheißen wie uns. Was wird uns verheißen? Das ewige Leben. „Dies ist das ewige Leben, daß sie dich erkennen, den einzigen wahren Gott, und den du gesandt hast, Jesus Christus“93. Die Erkenntnis Gottes wird verheißen; das ist Gnade um Gnade. Brüder, jetzt glauben wir, nicht schauen wir; der Lohn für diesen Glauben wird sein, daß wir schauen, was wir glauben. Das wußten die Propheten, aber es war verborgen, bevor es kam. Denn ein seufzender Liebhaber sagt in den Psalmen: „Eines hab’ ich vom Herrn begehrt, das will ich suchen“. Du fragst, was er begehrt. Denn vielleicht begehrt er ein Land, das von Milch und Honig fließt in fleischlichem Sinne, obwohl es geistig zu suchen und zu verlangen ist; oder er begehrt vielleicht die Unterwerfung seiner Feinde oder den Tod seiner Widersacher oder Reiche und Güter dieser Welt. Er brennt ja vor Liebe und seufzt viel und glüht und schmachtet. Sehen wir zu, was er begehrt. „Eines hab’ ich vom Herrn begehrt, das will ich suchen.“ Was ist das, was er sucht? „Daß ich wohne“, sagt er, „im Hause des Herrn alle Tage meines Lebens.“ Und denke dir, du wohnest wirklich im Haus des Herrn, worin wird dort deine Freude bestehen: „Daß ich betrachte“, sagt er, „die Wonne des Herrn“94.
21.
Meine Brüder, warum rufet ihr, warum frohlocket ihr95, warum liebet ihr, als weil dort der Lichtquell dieser Liebe ist? Was ersehnt ihr, frag’ ich euch? Kann es mit Augen gesehen werden, kann es berührt werden? Ist es eine Schönheit, welche die Augen ergötzt? Sind nicht die Märtyrer in hohem Grade geliebt worden, und wenn wir ihrer gedenken, brennen wir nicht vor Liebe? Was lieben wir an ihnen, Brüder? Die von den vielen Tieren zerfleischten Glieder? Was ist häßlicher, wenn du die Augen des Fleisches fragst? was schöner, wenn du die Augen des Herzens fragst? Was hältst du von einem sehr schönen Jüngling, der ein Dieb ist? Wie entsetzen sich deine Augen? Entsetzen sich etwa die Augen des Fleisches? Wenn du sie fragst, nichts ist schöner gebaut, nichts regelmäßiger als jener Leib; das Ebenmaß der Glieder und der Schmelz der Farbe reizt die Augen; und doch, wenn du hörst, daß er ein Dieb ist, bebst du im Geiste vor dem Menschen zurück. Du siehst anderseits einen gebückten Greis, der sich auf einen Stock stützt, sich kaum bewegen kann, von Runzeln überall durchfurcht ist; was siehst du da, was das Auge erfreuen könnte? Du hörst aber, daß er gerecht ist; die liebst ihn, du schätzest ihn hoch. Solche Belohnungen sind uns verheißen, meine Brüder; so etwas liebet, nach einem solchen Reiche verlanget, nach einem solchen Vaterlande sehnet euch, wenn ihr zu dem gelangen wollt, womit unser Herr kam, d. i. zu Gnade und Wahrheit. Wenn du aber körperliche Belohnungen von Gott begehrst, dann bist du noch unter dem Gesetze und darum wirst du eben dieses Gesetz nicht erfüllen. Denn wenn du siehst, daß diese zeitlichen Güter in Überfluß vorhanden sind bei jenen, die Gott beleidigen, dann werden deine Schritte unsicher und du sagst dir: Siehe, ich verehre Gott, täglich gehe ich in die Kirche, die Knie sind mir abgerieben vom Beten, und ich bin immer krank; andere morden, rauben, und sie frohlocken und leben im Überfluß,