Vorträge über das Johannes-Evangelium, Band 1. Augustinus von Hippo
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4. Vortrag.
Einleitung.
Vierter Vortrag.
Von da an, wo es heißt: „Und dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden von Jerusalem Priester schickten“ usw. bis dahin: „Der ist’s, welcher tauft im Heiligen Geiste“ usw. Joh. 1, 19―33.
1.
Sehr oft hat eure Heiligkeit gehört und sehr gut wißt ihr, daß Johannes der Täufer, je erhabener er war unter den von Weibern Geborenen und je demütiger zur Erkenntnis des Herrn, desto mehr sich würdig machte, der Freund des Bräutigams zu sein; für den Bräutigam eifernd, nicht für sich; nicht seine Ehre suchend, sondern die seines Richters, dem er wie ein Herold voranging. So war es nun den vorausgehenden Propheten vergönnt, von Christus das Zukünftige anzukündigen, ihm aber, mit dem Finger auf ihn hinzuweisen. Denn wie Christus von denjenigen, welche den Propheten nicht glaubten, vor seiner Ankunft verkannt wurde, so wurde er von ihnen auch als Gegenwärtiger verkannt. Denn er war zuerst in niedriger Gestalt gekommen und verborgen, und zwar um so verborgener, je niedriger; die Leute aber, aus Stolz die Erniedrigung Gottes verachtend, kreuzigten ihren Erlöser und machten ihn zu ihrem Verdammer.
2.
Aber der zuerst verborgen kam, weil er niedrig kam, wird er vielleicht dereinst nicht offenbar kommen, weil erhaben? Ihr habt soeben den Psalm gehört: „Gott wird offenbar kommen, unser Gott, und er wird nicht schweigen“96. Er schwieg, um selbst gerichtet zu werden; er wird nicht schweigen, wenn er anfangen wird zu richten. Es würde nicht heißen: „Er wird offenbar kommen“, wenn er nicht zuerst verborgen gekommen wäre; noch auch würde es heißen: „Er wird nicht schweigen“, außer weil er zuerst geschwiegen hat. Wie hat er geschwiegen? Frage den Isaias: „Wie ein Schaf zur Schlachtbank geführt ward, und wie ein Lamm vor seinem Scherer keinen Laut von sich gab, so öffnete er seinen Mund nicht“97. Kommen aber wird er offenbar und wird nicht schweigen. Wie offenbar? „Feuer wird vor ihm hergehen, und um ihn her gewaltiger Sturm“98. Jener Sturm hat die ganze Spreu hinwegzufegen von der Tenne, auf der jetzt gedroschen wird, und das Feuer hat zu verbrennen, was der Sturm hinweggefegt hat. Jetzt aber schweigt er; er schweigt als Richter, aber er schweigt nicht als Gebieter. Denn wenn Christus schweigt, was sollen dann diese Evangelien? was bedeuten die Stimmen der Apostel, die Psalmengesänge, die Aussprüche der Propheten? In diesem allem schweigt Christus nicht. Aber er schweigt jetzt, so daß er nicht straft; er schweigt nicht, so daß er nicht mahnt. Er wird aber in Herrlichkeit kommen zur Bestrafung und allen erscheinen, auch denen, die nicht an ihn glauben. Jetzt aber mußte er, weil er auch als Gegenwärtiger verborgen war, verachtet werden. Denn würde er nicht verachtet werden, so würde er nicht gekreuzigt werden; würde er nicht gekreuzigt werden, so würde er sein Blut nicht vergießen, der Preis, durch den er uns erlöst hat. Um aber den Lösepreis für uns zu geben, wurde er gekreuzigt; um gekreuzigt zu werden, wurde er verachtet; um verachtet zu werden, erschien er in Niedrigkeit.
3.
Indes weil er wie in der Nacht erschien im sterblichen Leibe, so zündete er sich eine Leuchte an, um gesehen zu werden. Diese Leuchte war Johannes99, von dem ihr schon vieles gehört habt; auch die gegenwärtige Lesung des Evangeliums enthält Worte des Johannes, zunächst, was die Hauptsache ist, das Bekenntnis, er sei nicht Christus. Es war aber eine solche Würde in Johannes, daß er für Christus gehalten werden konnte, und gerade darin zeigte sich seine Demut, daß er bekannte, er sei es nicht, obwohl man glauben konnte, er sei es. Also: „Dies ist das Zeugnis des Johannes, als die Juden von Jerusalem Priester und Leviten zu ihm schickten, um ihn zu fragen: Wer bist du?“. Sie würden aber niemand schicken, wenn sie nicht durch die Größe seines Ansehens dazu bewogen würden, weil er zu taufen wagte. „Und er bekannte und leugnete nicht.“ Was bekannte er? „Und er bekannte: Ich bin nicht Christus.“
4.
„Und sie fragten ihn: Was denn? Bist du Elias?“ Sie wußten nämlich, daß Elias Christo vorangehen sollte. Denn keinem war unter den Juden der Name Christi unbekannt. Von diesem glaubten sie nicht, daß er Christus sei; nicht aber meinten sie, daß Christus überhaupt nicht kommen werde. Während sie auf den Kommenden hofften, nahmen sie an dem Gegenwärtigen Anstoß, sie stießen sich an ihm wie an einem niedrigen Steine. Denn jener Stein war noch klein; zwar war er schon vom Berge abgerissen ohne Anlegung von Händen, wie der Prophet Daniel sagt, er habe einen Stein gesehen, losgelöst vom Berge ohne Hände. Aber was folgt? „Und es wuchs“, sagt er, „jener Stein und wurde zu einem großen Berge, und erfüllte die ganze Oberfläche der Erde“100. Sehe also eure Liebe zu, was ich sage: Christus war vor den Augen der Juden bereits losgelöst vom Berge. Unter dem Berge will er das Reich der Juden verstanden haben. Allein das Reich der Juden hatte nicht die ganze Oberfläche der Erde erfüllt. Dort ward jener Stein losgelöst, weil dort der Herr in der Zeit geboren wurde. Und warum „ohne Hände“? Weil die Jungfrau ohne männliches Zutun Christum gebar. Schon war also jener Stein losgelöst ohne Hände, vor den Augen der Juden, aber er war niedrig. Nicht mit Unrecht, weil der Stein noch nicht gewachsen war und den Erdkreis erfüllt hatte. Dies hat Christus dargestellt in seinem Reiche, d. i. der Kirche, womit er das ganze Angesicht der Erde erfüllte. Weil er also noch nicht gewachsen war, stießen sie auf ihn wie auf einen Stein, und es erfüllte sich an ihnen, was geschrieben steht: „Wer auf diesen Stein fällt, wird erschüttert werden; auf die er aber fällt, diese wird er zermalmen“101. Zuerst sind sie über ihn, den niedrigen, gefallen, als erhaben wird er über sie kommen; aber um sie, wenn er als erhabener kommen wird, zu zermalmen, hat er sie zuerst als niedrig erschüttert. Sie stießen an ihn, und sie sind erschüttert worden, nicht zermalmt, sondern erschüttert; er wird kommen als erhaben und sie zermalmen. Aber den Juden ist zu verzeihen, weil sie an den Stein stießen, der noch nicht gewachsen war. Wer sind die, welche an den Berg stießen? Ihr erkennet bereits, von welchen ich rede102. Die, welche die auf dem ganzen Erdkreis verbreitete Kirche leugnen, stoßen nicht an einen niedrigen Stein, sondern an den Berg selbst, was jener Stein geworden ist, indem er wuchs. Die blinden Juden sahen den niedrigen Stein nicht; welch große Blindheit, den Berg nicht zu sehen?
5.
Sie sahen also den Niedrigen und erkannten ihn nicht. Er wurde ihnen gezeigt durch eine Leuchte. Denn zuerst sprach jener, welcher als der Größte unter den von Weibern Geborenen aufgestanden war: „Ich bin nicht Christus“. Und auf die Frage: „Bist du etwa Elias?“ antwortete er: „Ich bin es nicht.“ Christus sendet nämlich den Elias vor sich her, und doch sagte er: „Ich bin es nicht“, und regte so in uns eine Frage an. Denn es ist zu befürchten, es möchten die, welche es nicht genügend verstehen, meinen, Johannes habe das Gegenteil gesagt von dem, was Christus gesagt hat. Denn als an einer Stelle im Evangelium der Herr Jesus Christus einiges von sich redete, entgegneten ihm die Jünger: „Wie also sagen die Schriftgelehrten“, d. i. die Gesetzeskundigen, „daß zuerst Elias kommen müsse?“. Und der Herr antwortete: „Elias ist schon