Am Ende des Schattens. Andreas Höll

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Am Ende des Schattens - Andreas Höll

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in den Kehlen. Doch wo zum Teufel steckte Fürstenau?

      Nach einer Weile erschien Natascha Sirina, die Patronin der Babuschka Bar, und servierte Wodka nebst Brot und einem Schälchen Kaviar. Sie lächelte ihn an und fragte: »Noch immer nicht da?«

      Er schüttelte den Kopf. Trotz der Hitze hatte sie sich wie gewöhnlich als russisches Großmütterchen mit Kopftuch und Schürze ausstaffiert, und diese Berufsuniform schuf einen reizenden Kontrast zu ihren Apfelbäckchen und der straffen Figur, die sich unter den Stoffschichten abzeichnete.

      Etwas abseits von Brodys Tisch kam plötzlich ein Mann ins Bild. Als er von einem Scheinwerfer aus dem Halbdunkel ausgeschnitten wurde, zuckte er kurz zusammen, hob reflexhaft die Hand vors Gesicht, ließ sie sinken, als habe er sich dadurch eine Blöße gegeben, schaute sich um und verfolgte dann missmutig den Lichtkegel beim Weiterwandern.

      Dolphin blickte auf die Uhr. Das akademische Viertel war längst vorbei.

      Von einem »langsamen Hinübergleiten in den Tod, infolge einer Überdosis eines früher weitverbreiteten Schlafmittels«, hatte der Gerichtsmediziner gesprochen, bei jener eilig einberufenen Pressekonferenz nach dem Ableben des Rittmeisters. Sie nahm Züge einer Haupt- und Staatsaktion an, und Journalisten von überall her drängelten sich neben Dolphin in einem Kellerraum des Reichstags.

      Die Todesursache war zweifelsfrei geklärt, nicht so das Motiv. Vor allem der Zeitpunkt warf Fragen auf, fiel doch der Selbstmord in eine Phase erbittertster Auseinandersetzungen zwischen der Republik und den immer stärker werdenden Nationalsozialisten. Und ausgerechnet eine Woche, bevor in Frankfurt am Main der weltweit erste Studiengang für Jazz unter Leitung eines ungarischen Juden die Arbeit aufnahm, war er aus dem Leben geschieden. Die völkische Presse triumphierte. Für sie war Curt von Westphal der Inbegriff all dessen, was hassenswert war an dem verjudeten System. Vor allem aber galt er ihr als Wegbereiter der entarteten Kunst. Ehrabschneiderische Kampagnen waren Teil eines Kulturkampfs, der schon lange tobte und Monate vor Einrichtung der Jazz-Klasse zu einem Schlagabtausch im Preußischen Landtag führte. Damals stellte ein Abgeordneter der Deutschvölkischen Freiheitspartei die Frage, ob die Regierung bereit sei, »die Verniggerung deutscher Musik durch dieses Konservatorium zu verhindern, und wie sie gedenkt, die Schülerschaft vor den Erziehungskünsten des triebhaft undeutschen Lehrers zu schützen«.

      Der Rittmeister hatte maßgeblich dazu beigetragen, die Akademisierung der angefeindeten Negermusik durchzusetzen, am traditionsreichen Hochschen Konservatorium, das einst Clara Schumann und Engelbert Humperdinck zu seinen Lehrern zählte, doch am Ende konnte er die feierliche Eröffnung nicht mehr erleben.

      Auf der Pressekonferenz hatte das nur am Rande eine Rolle gespielt. Bald ging es nur noch um von Westphals Aktenkoffer, über dessen Verbleib der leitende Kommissar aus ermittlungstaktischen Gründen keine Angaben machen wollte. Und dann war alles im Sande verlaufen. Nur Fürstenau hörte noch immer die Sandflöhe husten, doch der ließ ihn warten.

      Wieder streifte ein Scheinwerfer das Gesicht des Mannes. Er hatte helles Haar, das in dünnen Strähnen nach hinten gekämmt war, und ebenso helle, wimpernlose Augen. Widerwillig ließ er das Lichtspiel über sich ergehen, als müsse er die Berührungen einer Fliege ertragen. Die abrupte Art, wie er schließlich emporschnellte, um das Jackett abzulegen, hatte etwas Sprungfederartiges, das Dolphin irgendwoher bekannt vorkam. Jetzt stand er aufrecht und schien mit einem Mal bedeutend kleiner als im Sitzen. In weißem Hemd und Hosenträgern, die seinen sehnigen Oberkörper betonten, stand er da und schaute verstohlen hinüber zum Nebentisch, bevor er sich auf den Stuhl fallen ließ.

      Als Natascha noch ein Schälchen Kaviar brachte, erhob sich schräg gegenüber Louis Brody und brachte, offenbar sehr zur Erheiterung von Willy Fritsch, einen Toast aus, dessen Pointe schließlich auch den Schwergewichtler erreichte und seinen Brustkorb stoßweise vibrieren ließ.

      Dolphin musste an Ella denken. Was würde sie dafür geben, hier zu sein. Mit ihr hatte er Die Boxerbraut im UFA-Theater gesehen. Brody spielte, umschwärmt von Frauen, die Rolle des berühmten schwarzen Boxers Fighting Bob. Den Kontrapart gab Willy Fritsch als verträumter Fabrikantensohn Fritz Spitz, dessen Verlobte Helen ihm jedoch auf den Kopf zusagt, sie werde nur einen Boxchampion heiraten, worauf es Fritz mit einem Schwindel versucht und sich ihr gegenüber als Fighting Bob ausgibt.

      Wie hatte Ella sich über das pechschwarz angemalte Gesicht von Willy Fritsch amüsiert, die schwarzlockige Perücke und die muskulöse Gestalt, nachdem er sich einen aufblasbaren Bizeps umgeschnallt hatte. Und sie hatte sich zu Dolphin herübergebeugt und ihn geküsst, als am Ende der Schwindel aufflog und Helen plötzlich von ihrer Boxleidenschaft wie von jener für schwarze Männer geheilt war und mit ihrem Verlobten im Schlafzimmer verschwand.

      Dolphin überlegte, ob er Ella anrufen sollte. Dann verwarf er es. Es würde sie zu sehr verletzen. Er strich mit dem Zeigefinger über den Rand des Wodkaglases und steckte ihn, als wolle er den Geschmack prüfen, in den Mund.

      Aus dem Gewühl tauchte Natascha auf und steuerte den Tisch des Trios an. Unter großem Gebalze bezahlte Fritsch die Rechnung und verschwand mit seinen Zechkumpanen.

      Natascha schaute ihnen nach, drehte sich plötzlich um und nickte Dolphin kurz zu. Er hob das Glas und zwang sich dann, den Blick abzuwenden. Fürstenau schien in einer unklaren Beziehung zu ihr zu stehen, die immer unklarer wurde, je öfter er die russische Exilantin in ihrem Nachtlokal aufsuchte. Dolphin war sich nicht sicher, was Fürstenau für sie empfand. Ob er überhaupt wahrnahm, wie reizend sie aussah, wenn aus ihrem Mund slawische Vokale und Kaskaden von gerollten Rs strömten. Doch Fürstenau und die Frauen, das war ein eigenes Kapitel. Dolphin musste lächeln. Einmal hatte er Fürstenau bei einem Bekannten unterbringen müssen, als der von seiner eifersüchtigen Ex-Frau verfolgt wurde. Sie konnte ihm nicht glauben, dass seine einzige Leidenschaft die Arbeit war. So war sie auch nicht von dem Verdacht abzubringen, dass er viele Liebhaberinnen hatte, und diese Besessenheit führte letztlich zu seiner Flucht.

      Diese Episode hatte beide Reporter, trotz aller Peinlichkeit, miteinander verbunden. Das Seifenopernhafte konnte indessen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Fürstenau ein hartnäckiger Rechercheur war, der mitunter beträchtliche Risiken auf sich nahm, um tatsächliche Skandale aufzudecken, oder Vorgänge, die er für solche hielt. Mit konventionelleren Tugenden wie Rücksichtnahme oder Pünktlichkeit dagegen konnte er wenig anfangen.

      Es war seltsam, plötzlich den Gegenstand seiner Gedanken vor sich zu sehen. Wie üblich klopfte er ihm zur Begrüßung viel zu stark auf die Schulter, in jenem linkischen Überschwang, der, ohne es zu wollen, gleichsam Distanz schuf, rutschte auf die Holzbank gegenüber und erzählte von seinem Besuch bei Bettine von Westphal.

      »Warum die Witwe?«, fragte Dolphin.

      »Wer, wenn nicht sie«, entgegnete Fürstenau und winkte eine Kellnerin heran, um eine Flasche Mineralwasser zu bestellen. Ohne sie ein einziges Mal anzuschauen, machte er ihr im gleichen Atemzug klar, dass er keinesfalls Wodka wünsche, weder als Aufmerksamkeit des Hauses noch seitens alkoholisierter Damen an etwaigen Nebentischen. Er habe zu arbeiten, und fürs Erste genüge ihm Wasser und ein Teller Borschtsch. Als er seinen Kollegen fragend anschaute, bestellte Dolphin sich Blinis.

      Nachdem sie alles notiert hatte, drehte sie sich auf dem Absatz um und kreuzte für einen Moment den Weg des Mannes. Er hatte eine junge blonde Frau im Schlepptau und strebte der Tanzfläche zu. Er war nur wenig größer als sie. Doch in der Art, wie er sie um die schmale Taille fasste, sie an sich presste und die Arme um sie schlang, lag eine mühsam kaschierte Aggression, die Dolphin gleichermaßen abstieß und erregte. Die Blonde war nicht willfährig, im Gegenteil. Ihre Widerspenstigkeit schien Teil des Spiels zu sein. Sie löste ihre Arme aus der Umklammerung und schob ihn weg. Nur kurz duldete er den Befreiungsversuch, und wieder hielt er sie umklammert, bis sie sich wie ein störrisches Kind beruhigte.

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