Am Ende des Schattens. Andreas Höll
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Am Ende des Schattens - Andreas Höll страница 7
Der Saal war mit einer Täfelung aus Tropenholz und Ledersesseln ausgestattet, und nachdem man in ihnen versunken war, wies der Lord auf die Trophäen, die effektvoll illuminiert waren. Mit dem Stolz des Großwildjägers betrachtete er Löwen- und Leopardenfelle, Elefantenstoßzähne, Nashornkopf und Büffelschädel und klärte Dolphin darüber auf, dass es sich um die Big Five handelte. Ein fragender Blick genügte, um zu erfahren, dass sich die Größe nicht in erster Linie auf die Statur der Tiere bezog, sondern vorwiegend auf die damit verbundenen Gefahren bei der Jagd.
Besonderes Vergnügen bereitete ihm darüber hinaus die Tatsache, dass er seine Beute auf dem Boden der Südafrikanischen Union, notabene im früheren Deutsch-Südwestafrika, erlegt habe. So seien es auch Trophäen, die ihn für immer an das schmachvolle Ende von Wilhelm dem Zweiten erinnerten, der, obgleich ein Enkel Königin Victorias, die Niedertracht besessen hatte, das United Kingdom anzugreifen.
Lord Bakerfield gluckste und zeigte auf die Masken an der Wand gegenüber, die im Schein des Kaminfeuers lebendig wurden und darauf zu warten schienen, ob sich auch die präparierten Tiere regten. Helm-und Kopfaufsatzmasken, kommentierte er fachmännisch, die meisten aus dem letzten Jahrhundert, aber keine nach 1918, doch das Amüsante daran sei, dass auch sie aus einer ehemaligen deutschen Kolonie stammten.
Da ihm nicht verborgen blieb, dass sein Gast sich nicht vom Anblick der Objekte losreißen konnte, fragte er diesen, ob er raten wolle.
Dolphin zuckte zusammen. Wie stumme Zuschauer schienen sie die Szenerie zu mustern. Antlitze, deren Träger verschwunden und doch anwesend waren.
Nach einer Pause sagte er schnell: »Deutsch-Ostafrika«, und als der Verleger die Stirn runzelte, verbesserte er sich, nein, »Kamerun« müsse es heißen, was mit einem anerkennenden Nicken quittiert wurde. Schließlich ließ der Lord die Sekretärin kommen, nahm Mappe samt Füllfederhalter entgegen und legte Dolphin den Vertrag zur Unterschrift vor, bevor er ihn mit einem launigen good luck entließ.
5
Auch als er am folgenden Tag am Schreibtisch saß, ging ihm die Schwimmerin nicht aus dem Kopf. Wo steckte sie bloß? Dolphin schaute zum soundsovielten Mal hinüber zur Wand. Neben einer Weltkarte tickten dort fünf Uhren, die er jeweils mit einem Schild versehen hatte: Berlin, London, Sydney, Ottawa und Kapstadt. Er wollte seine Besucher beeindrucken, sie mochten darin das Reich des Daily Standard erkennen, in dem, gleich dem British Empire, die Sonne niemals unterging.
In London war es jetzt 14.57 Uhr. Er musste etwas tun, es wenigstens versuchen. Er rief den Chef vom Dienst an, um ihm mitzuteilen, dass er womöglich Adolf Hitler an einem Wochenende nach Berchtesgaden begleiten könne, als erster ausländischer Journalist überhaupt, doch der Redaktionsleiter befand sich in einer Besprechung. Dann wartete er auf seinen Rückruf.
Kein Geringerer als SA-Chef Röhm hatte Dolphin versprochen, den Führer, einen Duzfreund aus alten Kampftagen, um ein Exklusivinterview zu ersuchen, nachdem er den englischen Reporter in seine Lieblingsbars geführt hatte. Dort trugen junge Männer Perücken, Gummibrüste und Schminke, und Röhm ließ seinen Blick über ihre knochigen Körper gleiten, als er, wie aus einer Spendierlaune heraus, seine Berchtesgaden-Offerte unterbreitete. Würde er sich überhaupt noch daran erinnern, und mehr noch: Wort halten? Und falls ja: Befände Dolphin sich dann überhaupt noch in Deutschland?
Erneut griff er zum Hörer, nur um zu erfahren, dass der Chef vom Dienst bereits zu einem anderen Termin aufgebrochen sei.
Dolphin schaltete die Schreibtischlampe an, schaltete sie aus. Draußen fiel Schneeregen. Der Kippschalter ging ziemlich schwer. Welch lächerliche Kraft war nötig, um Licht in die Welt zu bringen. On, Off, er wiederholte das Spiel.
Er schaute zur Uhr. In makelloser Parallelität waren die fünf Uhrzeiger auf vier Kontinenten um eine Minute vorgerückt. Wie wäre es, wenn er in den großen Berliner Zeitungen, eine Suchanzeige schalten würde? Aber las sie überhaupt jene Rubrik im hinteren Teil des Blatts, mit dem für die Deutschen so typisch bürokratischen Terminus Anschlussgesuche? Ihm würde fürs Erste die Nummer ihres Anschlusses genügen.
Nach einer weiteren Stunde reichte es ihm. Er hatte das Gefühl, dass die Welt sich in einen Wartesaal verwandelt hatte. Die Schwimmerin war abgetaucht. Hugo von Ernst meldete sich nicht. Ebenso der Chef vom Dienst. Kein Zeichen, trotz mehrmaligen Nachfragens, vom Kaiser-Wilhelm-Institut. Offenbar war immer noch nicht klar, wann der Direktor zurückkehren würde.
Kurz entschlossen fuhr er ins Romanische Café. Wenn die Welt schon einem Wartesaal glich, konnte man ebenso gut den verheißungsvollsten in Berlins Kulturwelt aufsuchen.
Er bekam ein Tischchen in der Nähe der Kuchentheke zugewiesen, die von einer Säule im romanischen Stil flankiert wurde. Es wurmte ihn, dass er vom Kellner im Hauptraum platziert wurde, den die berühmten Schriftsteller, Maler, Schauspieler, Regisseure oder Journalisten Bassin für Nichtschwimmer nannten. Hier drängelten sich Leute, die seit Jahrzehnten nicht müde wurden, tagtäglich auf das Talent zu warten, wie der Schriftsteller Erich Kästner bemerkt hatte. Seinesgleichen residierte im Nebenraum. Dolphins Prominentenradar hatte erst kürzlich auf engstem Raum Dix, Remarque und Fritz Lang geortet. Verstohlen schaute er in diesen Bezirk, wo die Arrivierten sich lässig zuprosteten. Die Ungezwungenheit ihres Auftretens, die Gleichzeitigkeit fremder Blicke und scheinbarer Selbstvergessenheit, das alles trug zum Eindruck einer Natürlichkeit bei, die unverstellter nicht sein konnte. Man bewegte sich, als sei man im eigenen Wohnzimmer, nur mit dem Unterschied, dass dieses im Bewusstsein der Protagonisten in die Kulissen eines Filmstudios verlegt worden war.
Dolphin bestellte Kaffee und verlangte Ham and Eggs. Es verschaffte ihm Genugtuung, dass der blasierte Kellner ihn erst auf Nachfrage verstand.
Er strich über die kühlen Adern des Marmortischs. Bäche, Flüsse, ganze Deltas verzweigten sich, die ins Meer, ins Tiefe, ins Offene führten. Dann blätterte er in seinem Notizheft, in dem er Material für sein Berlin-Buch sammelte. Es sollte einen großen Atem haben. Und so hatte er es sich angewöhnt, auch die Nebensächlichkeiten festzuhalten, die Stimmungen und Gefühlsfarben, die er zum Ausschmücken seiner Geschichte brauchte. Es war wie bei einem Detektiv, jedes Detail konnte sich im Nachhinein als wichtig erweisen.
Schon lange war ihm klar: Wenn er den nächsten Schritt machen wollte, musste er etwas Größeres schaffen als die Artikel für den Standard. Er wollte nicht nur Zaungast am Bassin für Schwimmer sein.
In seinem Heft notierte er: Berlin im November 1930. Dann überlegte er fieberhaft, welches Thema er wählen sollte. Das Treffen mit Röhm? Ihm fehlte die Lust dazu. Er müsste vielmehr über die Schwimmerin schreiben und den Abend bei Hugo von Ernst. Die Spekulanten, Offiziere, Politiker, Künstler. Das Bassin, in dem Kaviarfässchen schwammen. Ihr nasser Bubikopf. Alles hatte sich im Glanz der Spiegel und Lüster gedreht. Der Rausch hatte sie in sein Schlafzimmer getragen, wo er sich, wie aus dem Nichts, in eine Nüchternheit verwandelte, die der Ausleuchtung in einem Operationssaal glich. Dolphin sah sie vor sich, wie sie sich systematisch perforierte, als wolle sie sich für etwas durchlässig machen, das sie noch nicht kannte. Mit ihrem Blick hielt sie ihn fest, wie sie ihn, hoch oben auf dem Barhocker balancierend, hatte bannen wollen mit der Leica. Er wusste kaum noch, was sie gesprochen hatten, all die Stunden. Sie hatte ein Netz aus Worten um ihn gesponnen, die immer noch nachklangen. Er wusste nicht, wer sie war und wo sie wohnte, niemand schien sie zu kennen, bis auf diese Schweizer Geliebte, die sie ganz hatte für sich haben wollen.
Dolphin klappte das Notizbuch zu, ohne eine Zeile geschrieben zu haben. Es war schwer, für solche Dinge eine Sprache zu finden. Er beschloss, zur Kuchentheke zu gehen, um sich ein Dessert auszuwählen. Über die Schlange davor war er nicht unglücklich, konnte man