Midrasch. Gerhard Langer

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Midrasch - Gerhard Langer Jüdische Studien

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Abwehr von fremder Vereinnahmung der Schrift und zur Stärkung der Autorität rabbinischer Gesetzgebung, sondern eng an die Struktur des Studiums gebunden. Zur Mündlichkeit gehört die Praxis des Auswendiglernens, des Memorierens, des lauten Lernens, des Lernens in Gemeinschaft, auch des Weitertradierens in Gemeinschaft (vgl. bEruvin 54b).

      Im Rahmen der Vorstellung einer Offenbarung am Sinai, die in erster Linie als eine mündliche Begegnung mit Gottes Wort erscheint, erhält der Midrasch eine ganz besondere Bedeutung. Auch wenn der Text selbst als Schrift bewahrt und geehrt wird, wird im Zuge der Auslegung – z.B. über die mündliche Vermittlung der Lehre von Lehrer an Schüler – die Ursprungssituation der Weitergabe der Tora am Sinai gewissermaßen nachempfunden, repräsentiert, der Text im Lehrer „verkörpert“ (vgl. dazu auch Fraade, Literary Composition, z.B. S. 45. In: Legal Fictions, S. 378).

      Das Memorieren, geistiges Aufnehmen und StrukturierenMemorieren, geistige Aufnehmen und Strukturieren des mündlich gelernten und wiederholten Stoffs wird vielfach in den Quellen erläutert. Damit verbunden sind auch methodische Fragen in Bezug auf die Sammlung und Verwendung eines Thesaurus an Überlieferungen, auf die man zugreifen und die man in unterschiedlichen Kontexten verwerten kann (vgl. z.B. David W. Nelson, Orality and Mnemonics in Aggadic Midrash, oder Jaffee, Torah in the Mouth bzw. Orality).

      Neben dem „ideologischen“ Aspekt von Mündlichkeit und Schriftlichkeit gibt es auch einen ganz praktischen. Mehrfach ist in den Quellen – außer im Bavli, wo man dies wohl bewusst vermeidet – von Notizbüchern und Gedächtnisstützen die Rede, die man auch als Korrekturen mündlicher Überlieferung verwendet (jMaʿaser 2,4,49d; jKilajim 1,1,27d).

      Die erstaunliche textliche Stabilität der Überlieferung von verschiedenen Werken wie etwa auch der halachischen Midraschim ist ohne schriftliche Vorlagen undenkbar, aber im babylonischen Talmud dominiert noch lange das mündliche Studium, was natürlich auch Auswirkungen auf die komplexe Textüberlieferung zeitigt. Mit Stemberger (Mündliche Tora) ist das Nebeneinander von schriftlichen und mündlichen Überlieferungen zu betonen. Texte werden mündlich weitertradiert, der mündliche Vortrag hat wiederum Einfluss auf weitere Textentwicklung etc.

      |44|Was herauskommt ist ein „zirkuläres“ Verständnis der Wechselbeziehung der rabbinischen Texte und ihrer mündlichen performativen Darstellung: Mündlichkeit, die in einer Textlichkeit gründet, die mündlich im Fluss bleibt. (Fraade, Literary Composition, S. 36. In: Legal Fictions, S. 369)

      Nicht zu unterschätzen sind neben der mangelnden Kenntnis des Schreibens die praktischen Probleme wie die Kosten des Materials, die großen Mühen der Niederschriften und Vervielfältigungen, die keineswegs einfache Handhabung der Rollen (zuletzt im 10. Jh. belegt), die mit dazu beitragen, dass man bis zu den Anfängen des Buchdrucks primär (aber natürlich nicht nur) mündlich kommentiert und weitergibt (auch dazu vgl. Stemberger, Mündliche Tora).

      3. Die Bibel ist ein vollkommener Text

      Nach rabbinischer Ansicht ist die Schrift ein von Gott stammender und in seinen kleinsten Details von ihm so gewollter Text. Diese Hermeneutische Prämisse des vollkommenen Texteshermeneutische Prämisse des vollkommenen Textes macht es geradezu notwendig, Abweichungen in der Schreibweise, Doppelungen, grammatische Unstimmigkeiten zu erklären. Die Tora ist bereits vor der Schöpfung vorhanden, die Welt selbst hat nur durch sie Bestand (BerR 1.1). Der Text ist durch seine Sprache, das Hebräische, bestimmt. Der den Rabbinen vorliegende Text entspricht überwiegend der protomasoretischen Version (vgl. Tov, Textual Criticism). Dabei ist weit mehr als nur bloßer Konsonantentext überliefert. „Häkchen“ und „Kronen“, Linierung der Torarolle, Zierstriche, Punkte auf bestimmten Wörtern (SifBem § 69 etc.), vor allem Abweichungen von Ketiv und Qere, also zwischen dem geschriebenen und (anders) gelesenen Wort, sind Gegenstand der Auslegung.

      Häufig tritt das so genannte al-tiqre („lies nicht!“) Motiv auf. Hier wird aus exegetischen Gründen eine alternative Lesart dem vorhandenen Text hinzugefügt.

      Hierzu nur ein Beispiel. In ShirR 1.5.3ShirR I.5.3 heißt es:

      „Töchter Jerusalems“ (Hld 2,7Hld 2,7): Die Rabbanan sagen: Lies nicht „benot Jeruschalajim“, sondern „bonot Jeruschalajim“ (= „die Jerusalem erbauen“). Das ist die große Versammlung von Israel, die sitzt und sie (die Israeliten) unterrichtet über jede Frage und Rechtsmeinung.

      Die textliche „Veränderung“ ist sehr gering und fördert doch eine grundlegend neue Bedeutung zutage.

      An einer Reihe von rabbinischen Belegen wird deutlich gemacht, dass die Buchstaben der Tora als Bausteine der WeltBuchstaben der Tora als Bausteine der Welt – an bestimmten |45|Stellen mit den Gottesnamen identifiziert – fungieren und daher wirkmächtig sind. Schreiber müssen sorgfältig auf Genauigkeit achten und dürfen keinen Buchstaben hinzufügen oder weglassen (bEruvin 13a etc.). Verschreibungen sehr ähnlicher und daher verwechselbarer Buchstaben können fatale Folgen haben. Hierzu ein Beispiel aus WaR 19.2//ShirR 5.11.2:

      Es steht geschrieben: „Höre Israel, JHWH, unser Gott, ist ein JHWH“. Wenn du das Dalet (von echad = einer) zu einem Resch machst (zu acher = ein anderer), zerstörst du die ganze Welt.

      „Du sollst dich nicht niederwerfen vor einem anderen (acher) Gott“ (Ex 34,4). Wenn du das Resch zu einem Dalet machst (zu echad), zerstörst du die Welt.

      Es steht geschrieben: „Du sollst meinen heiligen Namen nicht entweihen (jechallelu)“ (Lev 22,2). Wenn du das Chet zu einem He machst (zu jehallelu = preist), zerstörst du die Welt.

      „Jedes Leben preist (tehallel) JH“ (Ps 150,6). Wenn du das He zu einem Chet machst (zu techallel = entweihst), zerstörst du die Welt.

      Es steht geschrieben: „Sie verleugnen gegenüber (kichaschu ba-) JHWH“ (Jer 5,12). Wenn du das Bet zu einem Kaph machst (= kichaschu ka-JHWH = sie verleugnen wie JHWH), zerstörst du die Welt.

      Es steht geschrieben: „Sie haben gegenüber JHWH die Treue gebrochen (ba-JHWH baggadu), sie haben Bastarde geboren“ (Hos 5,7). Wenn du das Bet zu einem Kaph machst (= ka-JHWH baggadu = wie JHWH haben sie die Treue gebrochen), zerstörst du die Welt.

      Die Warnung vor der „Verwandlung“ des Dalet (ד) in ein Resch (ר) geht auf die Ähnlichkeit der beiden Buchstaben zurück. Im erstgenannten Fall würde aus dem echad (einer) ein acher (anderer). Weil man ja nur die Konsonanten schreibt, kann man aleph – chet – dalet leicht mit aleph – chet – resch verwechseln. Unsachgemäßer Umgang beim Schreiben oder gar absichtliche Falschschreibung hätten fatale Folgen. Das gleiche gilt auch für die Buchstaben Chet (ח) und He (ה), Kaph (כ) und Bet (ב). Aus einem Preisen würde ein Entweihen, aus einem bösartigen Handeln gegen Gott würde ein schlimmes Handeln Gottes. Änderungen in der Schrift, wie die von der paläohebräischen zur Quadratschrift, werden in rabbinischen Belegen durchaus als von Gott gewollte Entwicklungen dargestellt, die als Reaktion auf Israels Verhalten gelten (tSanhedrin 4.7).

      Der scheinbar nach vielen Seiten für die Auslegung offene Text, dessen bloßer Konsonantenbestand ohne Verseinteilung viele Verbindungsmöglichkeiten bietet, wurde nach BerR 36.8 bereits seit Esra (Neh 8,8) festgelegt, und nach bNedarim 37b sind auch „jene Wörter, die man liest, aber nicht schreibt oder schreibt, aber nicht liest, bereits Halacha an Moses vom Sinai“. Bereits Arnold Goldberg hat in seinem Aufsatz Die Schrift der rabbinischen Schriftausleger betont, dass die Schrift

      |46|eine genau definierte Menge graphischer Zeichen (ist). Das Artefakt

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