Tatort Ostsee. Harald Jacobsen
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Ein paar Minuten später schlich sie mit dem Hund die Treppe hinunter und verließ das Haus. Sophie atmete die Seeluft ein und dehnte ihre steifen Glieder, bevor sie durch den Obstgarten auf den Deich zu trabte. Sie konnte sich nicht erinnern, in den letzten Wochen so entspannt gewesen zu sein. Die Insel schien ihr gutzutun. Ein paar Möwen kreischten am Himmel und es versprach, ein sehr warmer Tag zu werden. Sie joggte auf dem Deich in Richtung Gold. Pelle jagte durch die Gegend. Zumindest der Hund ist vollkommen glücklich, dachte Sophie. Und sie würde es auch wieder werden. Die Entscheidung nach Fehmarn zu kommen, war die richtige gewesen. Sie würde jeden Morgen laufen und viel mit Tina quatschen. Das war viel besser, als irgendwo allein in einem Luxushotel vor sich hinzugrübeln. Sicher würde die Welt schon bald wieder ganz anders aussehen. Plötzlich begann Pelle aufgeregt zu bellen und stürmte davon.
»Pelle! Bleib hier! Lass doch das arme Karnickel!«
Er kam nicht zurück. »Fuß, verdammt noch mal!« Wütend sprintete Sophie hinter ihm her. Pelle sprang den Deich hinab zu einem schmalen Strandabschnitt. Er bellte noch immer. Plötzlich jaulte er laut auf. Sophie bekam Angst. So schnell sie konnte, stürmte sie ihm nach. Pelle stand zitternd am Strand. Ein paar Meter vor ihm lag etwas Schwarzes. Sophie hielt es für einen großen Plastiksack.
»Meine Güte«, keuchte sie atemlos. »Jetzt komm endlich her!« Er rühre sich nicht. Sie folgte ihm den Deich hinunter. Nein, es war kein Plastiksack. »Ein Neoprenanzug! Na, wie aufregend! Irgendwer wird ihn vergessen haben. Jetzt hab dich doch nicht so! Pelle! Was bist du nur für eine Memme!« Sophie erreichte ihren Hund und klopfte ihm liebevoll den Po. »Das ist doch nur …« Sie sprang reflexartig einen Schritt zurück. »Ach du Scheiße!«
In dem Neoprenanzug steckte eine Frau. Sophie sah sofort, dass sie tot war.
4
Hanjo starrte an die Decke. Er musste gar nicht auf die Uhr sehen. Es war 20 nach sechs. Er wachte jeden Tag um dieselbe Zeit auf, immer fünf Minuten, bevor der Wecker klingeln würde. Früher war er immer gleich aus dem Bett gesprungen und nach unten in die Küche gelaufen, um Wasser aufzusetzen. Er hatte Freya jeden Morgen ihres gemeinsamen Lebens den Tee ans Bett gebracht, 40 Jahre lang. Hanjo wirkte noch immer kräftig, doch er war erschöpft. Zu viel hatte sich nach Freyas Tod verändert. Er fühlte sich so unendlich einsam ohne sie. Er hatte auch nie wieder eine Tasse Tee im Bett getrunken. Es wäre ihm wie Verrat vorgekommen, als könne er einfach so weitermachen. Hanjo stieg mühsam aus dem schweren Eichenbett, in dem er nun schon seit vier Wochen allein schlief. Ihre Decke lag noch da. Er brachte es einfach nicht übers Herz, sie auf den Dachboden zu bringen. Nachts kuschelte er sich hinein und er glaubte, noch immer ihren Geruch wahrnehmen zu können. Auch der Kleiderschrank war nicht ausgeräumt. Er war noch nicht so weit. Gerade weil jetzt alles anders war, brauchte er ihre persönlichen Dinge noch eine Weile um sich. Sie waren sein Trost. Er hatte nicht verhindern können, dass der Krebs sie aufgefressen hatte, doch er konnte zumindest selbst entscheiden, wann er sich von ihren Sachen trennen wollte. Vielleicht nie. Hanjo schlurfte in die Küche und ließ Wasser in den Kessel laufen. Er hielt die Küche immer sauber, doch sie erschien ihm neuerdings glanzlos und alt. Sie hatten sie vor 28 Jahren eingerichtet und bis auf einen neuen Kühlschrank mit Gefrierfach, einer Mikrowelle und ein paar Kleinigkeiten war sie fast unverändert. Für Freya war es der wichtigste Raum im Haus gewesen. Hier hatte sie gekocht, Handarbeiten gemacht und Briefe geschrieben. Sie hatte nie den Wunsch nach einer modernen Einbauküche geäußert und ihm war die Küche auch nie altmodisch erschienen. Hier hatten sie glückliche Stunden verbracht. Er musste unbedingt Blumen auf den Tisch stellen. Aber alles war anstrengend und er vermisste sie so sehr. Zusammen hatten sie auch die schlimmen Zeiten ertragen. Sie hatten sich gegenseitig getröstet. Doch an die dunklen Stunden wollte er jetzt nicht denken. Er versuchte, sich an die schönen Momente zu erinnern. Er war immer mit guter Laune aufgewacht, selbst wenn es draußen stürmte und die Regentropfen an das Fenster prasselten. Er hatte sich auf den Tag gefreut, war dann mit dem Tee zurück ins Bett gekrochen und sie hatten sich aneinandergekuschelt. Heute würde die Sonne scheinen. Es würde ein wundervoller Sommertag werden, doch es bedeutete ihm nichts. Der Kessel lief über und das kalte Wasser spritzte über die Spüle. Hastig drehe Hanjo den Hahn zu. Er musste sich zusammenreißen. Seine Kite- und Surfschule war seine Existenz und das kleine Restaurant war Freyas Ein und Alles gewesen. Er durfte ihr gemeinsames Lebenswerk nicht vernachlässigen. Das gute Wetter garantierte immerhin viele Schüler und hungrige Touristen. Er würde viel zu tun haben und das sollte ihn ablenken. Der Wasserkessel pfiff. Hanjo schüttete die Ostfriesenmischung in die alte Tonkanne und goss den Tee auf. Er wartete drei Minuten, bevor er sich eine Tasse einschenkte. Etwas Warmes von innen, etwas Tröstliches, etwas Vertrautes. Hanjo sah auf das kleine eingerahmte Foto von Freya und seufzte. »Alles ist gut! Du musst dir keine Sorgen machen.«
Seit er sie verloren hatte, quälten ihn wieder furchtbare Träume. Es wäre nur eine Frage der Zeit, bis er sich wieder etwas besser fühlen würde, hatte der Arzt gemeint und ihm ein paar Tabletten verschrieben. Hanjo wusste es besser. Keine Medizin der Welt würde ihm wirklich helfen. Er selbst musste einen Schlussstrich unter sein altes Leben ziehen. Dann würde er auch die Decke nicht mehr brauchen und all die anderen Sachen, von denen er sich noch nicht trennen konnte. Doch vorher gab es noch ein paar Dinge zu erledigen.
Olli lag im Alkovenbett seines Wohnmobils und presste sich die Fäuste auf die geschlossenen Augen. Die Sonne schien durch die offene Dachluke. Eigentlich liebte er es, von Sonnenlicht geweckt zu werden, doch heute schmerzte es, wie ein Messer in seinem Kopf. Er hatte einen entsetzlichen Kater. Olli rollte sich auf die Seite. Seine Arme suchten nach ihr, vergeblich. Sie war weg. Er war ganz allein. Natürlich, dachte er. Sarah war nicht mehr da. Sein Herz zog sich für ein paar Sekunden zusammen und in seinen Augen brannten Tränen der Wut, wenn er an den gestrigen Abend dachte. Warum hatte sie das getan? Er hatte sie wirklich geliebt und er war vorher lange nicht mehr verliebt gewesen. Sarah war am Abend zu ihm ins Wohnmobil gekommen. Er hatte bereits auf sie gewartet und eine gute Flasche Rotwein entkorkt. Doch sie wollte keinen Wein, sie wollte sich nicht einmal setzen. Sie war in der offenen Tür stehen geblieben und hatte Schluss gemacht. Sie könne eben nicht mehr mit ihm zusammen sein, hatte sie gemeint. Erst hatte er gedacht, er habe sie falsch verstanden, dann glaubte er an einen schlechten Scherz. Er solle kein Drama daraus machen, hatte sie kalt erwidert. Er hatte zwei Gläser eingeschenkt und sie gebeten, zu bleiben und mit ihm zu reden. Er hatte doch nur wissen wollen, warum? Er hatte sie regelrecht angefleht. Sie würde sich freuen, wenn sie Freunde blieben und er ihr weiter beim Training helfen könnte. Sie hatte noch leise ›sorry‹ gemurmelt und war dann in die Nacht verschwunden. Er hatte eine Flasche Whisky geöffnet und den Abend mit Jack Daniels verbracht. Olli konnte sich nicht mehr erinnern, wann und wie er ins Bett gekommen war. Es war lange her, dass er sich bis zum Filmriss besoffen hatte. Mit zittrigen Beinen stieg er die Leiter hinunter. Es musste noch verdammt früh sein, aber an Schlaf war gar nicht mehr zu denken. Er stellte einen Topf mit Wasser auf den Gasherd, bevor er ins Bad ging. Die kalte Dusche hatte nicht den gewünschten Effekt. Er fühlte sich noch immer furchtbar und die Kopfschmerzen hatten auch nicht nachgelassen. Das Wasser war fast verkocht, als er wieder an den Herd kam. Olli goss den Rest in einen Becher und rührte löslichen Kaffee dazu. Dann öffnete er die Tür und setzte sich auf die Treppe. Der Himmel war strahlend blau und der Wind perfekt. Sarah mochte dieses Wetter genauso sehr wie er. Es würden wieder unzählige gut gelaunte Surfer durch die Wellen jagen. Olli campierte schon seit Saisonbeginn auf der großen Wiese. An den Wochenenden hatte er immer jede Menge Nachbarn.