Klausurenkurs im Bürgerlichen Recht II. Ulrich Falk
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Vgl. zur Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizont vor allem Fall 5 „Speisekarte“.
Zu berücksichtigen sind die wirtschaftliche und rechtliche Bedeutung des Vorgangs und die Interessenlage. Dazu gehören insb. die Art, der Grund und der Zweck der Gefälligkeit. Anhaltspunkte für den Rechtsbindungswillen bieten gewöhnlich ein erkennbar hoher Wert einer anvertrauten Sache, erhebliche Aufwendungen einer der Parteien oder die Gefahr beträchtlicher Schäden.[1]
Für den Rechtsbindungswillen – d. h. gegen ein bloßes Gefälligkeitsverhältnis – sprechen im vorliegenden Fall:
• | der beträchtliche Wert des überlassenen VW-Cabriolets, |
• | die besondere Bedeutung der Gebrauchsüberlassung für A, der sogar versuchte, das Kfz käuflich zu erwerben, |
• | die relativ lange Dauer der Überlassung, |
• | die lange Fahrtstrecke, |
• | die Relevanz der Verkehrssicherheit des überlassenen Kfz. |
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Allerdings gibt es nicht nur die strenge Unterscheidung zwischen Vertrag und völlig unverbindlichem Gefälligkeitsverhältnis. Dazwischen haben Rechtsprechung und Lehre das Institut des Gefälligkeitsverhältnisses mit rechtlichem Gehalt gesetzt.
Gefälligkeitsverhältnisse mit rechtlichem Gehalt stellen rechtsgeschäftsähnliche Sonderverbindungen dar, die als Schuldverhältnisse nach § 280 I BGB einzuordnen sind.[2] Es ist seit langem anerkannt, dass diese Gefälligkeitsverhältnisse zwar keinen Anspruch auf eine Leistung begründen, aber Schutzpflichten auslösen können, deren Verletzung den Schuldner schadensersatzpflichtig macht.[3] Diese Grundsätze sind auf die Rechtslage nach der Schuldrechtsmodernisierung im Jahr 2002 übertragbar. Ob solche „Schuldverhältnisse ohne primäre Leistungspflicht“ als eine eigenständige Kategorie anzusehen sind oder schlicht der Anwendung des § 311 II Nr. 3 BGB („ähnliche geschäftliche Kontakte“) unterfallen, wird weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung einheitlich beurteilt.[4] Diese Probleme der rechtsdogmatischen Einordnung sind jedoch im Wesentlichen terminologischer Art. Für die Anwendbarkeit des § 280 I BGB ist sie in der Regel unerheblich und kann in Klausuren oft dahinstehen. So ist es auch hier, weil im Ergebnis ohnehin ein (Leih-)Vertrag zu bejahen ist.
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Aufgrund der Bedeutung der Überlassung des Wagens für A, seinen hohen Wert, die lange Dauer der Überlassung, der Fahrtstrecke und der Relevanz der Verkehrssicherheit erscheint es kaum vertretbar, von einem Gefälligkeitsverhältnis ohne rechtlichem Gehalt auszugehen. Bei verständiger Würdigung der Interessenlage beider Parteien ist auch ein Gefälligkeitsverhältnis mit rechtlichem Gehalt nicht vorzugswürdig. Von Bedeutung sind nicht nur Sorgfaltspflichten. A hat ein veritables Leistungsinteresse, das nur dann geschützt ist, wenn eine vertragliche Bindung vorliegt. A muss sich auf die Zusage des B verlassen können, um die Teilnahme an einer 14-tägigen Rundfahrt, die ihn bis nach Wien und Rom führen wird, hinreichend zu planen (Hotelreservierungen, Urlaubsplanung als Arbeitnehmer usw.). Der dem A äußerst wichtige Zweck der Vereinbarung könnte bei Annahme eines Gefälligkeitsverhältnisses einseitig durch B vereitelt werden. Dieser könnte jederzeit nach freiem Belieben die Überlassung des Fahrzeugs beenden oder verkürzen. Eine jederzeitige Rückforderung ist dem Verleiher nach dem Recht des Leihvertrags dagegen verwehrt. Das ergibt sich in aller Deutlichkeit aus §§ 604, 605 BGB, die dem Ausgleich der Interessen von Verleiher und Entleiher dienen. Nach § 604 III BGB darf der Verleiher die Sache nur dann jederzeit zurückfordern, wenn „die Dauer der Leihe weder bestimmt noch aus dem Zwecke zu entnehmen ist“. Nach § 604 II 1 BGB ist die Sache zurückzugeben, „nachdem der Entleiher den sich aus dem Zweck der Leihe ergebenden Gebrauch gemacht hat“. Nach Satz 2 darf der Verleiher „die Sache schon vorher zurückfordern, wenn so viel Zeit verstrichen ist, dass der Entleiher den Gebrauch hätte machen können“. Gemäß § 605 BGB darf der Verleiher die Leihe nur dann kündigen, wenn er „infolge eines nicht vorhergesehenen Umstands der verliehenen Sache bedarf“ (Ziffer 1), oder der Entleiher einen vertragswidrigen Gebrauch von der Sache macht (Ziffer 2) oder verstirbt (Ziffer 3).
Diese Vorschriften bieten Maßstäbe für die interessengerechte Auslegung der von A und B getroffenen Vereinbarung. Die Bejahung eines Leihvertrags ist im Ergebnis klar vorzugswürdig.
2. Pflichtverletzung
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Der Leihvertrag (oder das Gefälligkeitsverhältnis mit rechtlichem Gehalt) verpflichtet beide Parteien gemäß § 241 II BGB zur gegenseitigen Rücksichtnahme und damit zum Schutz des so genannten Integritätsinteresses des anderen Teils. Daraus erwächst die gegenseitige Pflicht, Schädigungen des anderen zu vermeiden. Insb. haben beide Seiten die erforderliche Sorgfalt für die Gesundheit, das Eigentum sowie die sonstigen Rechte und Rechtsgüter des Vertragspartners walten zu lassen.[5] Im vorliegenden Fall bestand allemal die Pflicht des B, dafür zu sorgen, dass A beim Einstellen des Cabriolets in die Garage nicht an seiner Gesundheit geschädigt wird.
Neben diesen nichtleistungsbezogenen Schutzpflichten werden aus § 242 BGB leistungsbezogene Nebenpflichten hergeleitet. Daran hat die Einführung des § 241 II BGB durch die Schuldrechtsreform nichts geändert. Die Leistungsnebenpflichten betreffen die Vorbereitung, Durchführung und Sicherung der Hauptleistung.[6] Ihr konkreter Inhalt hängt naturgemäß von der jeweils geschuldeten vertraglichen Hauptleistung ab. Auch diese kommen im vorliegenden Fall in Betracht. Der Unfall geschah bei der Rückgabe des als Hauptleistung anzusehenden Leihgegenstands. § 280 I 1 BGB umfasst Schutzpflichten und leistungsbezogene Nebenpflichten gleichermaßen.[7] Deshalb kann an dieser Stelle noch offenbleiben, ob die fragliche Pflicht nun § 241 II BGB oder § 242 BGB zuzuordnen ist. Jedenfalls hat B seine Pflicht, A beim Zurückbringen des Wagens vor allen vermeidbaren Schädigungen zu bewahren, objektiv verletzt, indem er in der engen, dunklen Garage neben der Tür einen scharfzackigen Rechen derart stehen ließ, dass sich ein Mensch gravierend verletzen konnte.
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Hinweis zum Aufbau:
Die Unterscheidung zwischen Schutzpflicht und leistungsbezogener Nebenpflicht wird bei der Frage, ob das Haftungsprivileg des § 599 BGB anwendbar ist, virulent und wird nach dem hier vorgeschlagenen Aufbau deshalb erst später beantwortet. Dies widerspricht einem streng der logischen Prüfungsreihenfolge verhafteten Gutachtenstil. Befasst man sich jedoch bereits bei der Pflichtverletzung näher mit dieser Unterscheidung, hängen die Ausführungen und auch das Ergebnis gewissermaßen in der Luft. Eine Pflichtverletzung ist ohne Zweifel gegeben. Die Bedeutung der Unterscheidung kann an dieser Stelle nur schwer vermittelt werden. Aus sachlichen Gründen bietet es sich deshalb an, die Frage hier noch offen zu lassen.
Fernliegend ist die Prüfung von § 600 BGB. Der vorliegende Sachverhalt enthält keinerlei Anhaltspunkte für einen Mangel des verliehenen Oldtimers. Deshalb wird die Norm hier nicht in die Falllösung aufgenommen. Aufbautechnisch wäre