Internationales Privatrecht. Thomas Rauscher
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d) Vom domicile des Common Law Rechtskreises, das dort die Staatsangehörigkeit als das primäre Anknüpfungskriterium für das Personalstatut ersetzt, ist der gewöhnliche Aufenthalt ebenfalls zu unterscheiden.
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Die Bedeutung des domicile in den Common Law Staaten als räumliches Anknüpfungskriterium anstelle der auf dem europäischen Kontinent bevorzugten Staatsangehörigkeit erstreckt sich auf personen-, familien- und erbrechtliche Beziehungen. Dabei sind jeweils Rechte an unbeweglichen Sachen ausgenommen; sie werden dem Belegenheitsrecht unterstellt. Historisch geht dies zurück auf Joseph Story, der – wie übrigens auch noch v. Savigny (der an das Domizil anknüpfte, Rn 34) – den Schwerpunkt solcher Rechtsverhältnisse vorzugsweise räumlich bestimmte. Der rechtspolitische Grund für die Bevorzung des domicile als Anknüpfungskriterium besteht wohl darin, dass England als Seefahrernation sich kollisionsrechtlich mit dem Faktum der Auswanderung und Niederlassung von Staatsangehörigen in fremden Ländern zu befassen hatte. Noch stärker sind in den USA, in Kanada und in Australien die Argumente für eine räumliche statt einer staatsangehörigkeitsbezogenen Anknüpfung: Als Einwanderungsstaaten war diesen Ländern zunächst an schneller Integration großer Zahlen von Zuwanderern gelegen; die Gerichte sollten nicht mit der Ermittlung und Anwendung ausländischen Rechts belastet werden, eine sofortige Einbürgerung kam naturgemäß aber nicht in Betracht. Zudem handelt es sich um Mehrrechtsstaaten; Staatsangehörigkeit aber ist ein ungeeignetes Kriterium, wenn zwischen den Familienrechtsordnungen mehrerer Bundesstaaten (eines Gesamtstaates) zu entscheiden ist.
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Der Begriff des „domicile“[56] wird nicht in allen Staaten des Common Law-Rechtskreises vollständig gleich verstanden. Gemeinsam sind jedoch die folgenden Grundsätze: Jeder Mensch hat ein und nur ein domicile, das nicht an einem Ort, sondern in einem Gebiet einheitlicher Jurisdiktion (England, Florida, New South Wales, Ontario etc) besteht. Das erste domicile, sein domicile of origin, erwirbt ein Mensch durch Geburt als abgleitetes domicile von den Eltern (früher Vater). Ein Wechsel des domicile – hin zu einem domicile of choice – setzt zwei Kriterien voraus: Persönliche Anwesenheit (physical presence) und das Willenselement (mental attitude), dort für unbestimmte Zeit (for indefinite future time) zu bleiben.
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Der bekannteste Unterschied zwischen dem englischen und dem US-amerikanischen domicile-Begriff besteht in der sog revival doctrine, der das englische Recht im Gegensatz zum US-Recht folgt und die ein klassisches Produkt englischer Seefahrertradition ist: Verlässt eine Person ihr domicile (einerlei ob domicile of origin oder choice) mit dem Willen, es für immer (unbestimmte Zeit: intention to remain forever) aufzugeben, so verliert sie es. Vor Ankunft am Ziel kann dort kein neues domicile begründet werden, denn es fehlt an der physical presence. Treten während der Reise Rechtsfragen auf – zB löst der Tod des Reisenden den Erbfall aus – so kann er nicht ohne domicile sein. Um die (bei Seereisen bis tief in das 20. Jahrhundert oft beträchtliche Zeit andauernde) Lücke zu schließen, lässt die revival doctrine das domicile of origin wieder aufleben, auch wenn es schon Jahrzehnte lang durch Wahldomizile ersetzt war. Das US-Recht lässt hingegen das letzte domicile fortbestehen, bis ein neues begründet wird. Dieser flexibleren Sicht schließen sich andere Common Law-Staaten an und geben die revival doctrine auf.[57]
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Das domicile unterscheidet sich vom gewöhnlichen Aufenthalt ebenfalls durch drei Kriterien: Ein domicile wird willensabhängig begründet; es wird für Minderjährige (früher auch für Ehefrauen) abgeleitet bestimmt und es erfordert eine noch stärkere Dauerhaftigkeit des Verbleibs; während beim gewöhnlichen Aufenthalt länger befristete Aufenthalte genügen, wird ein domicile of choice nur bei vorbehaltlos dauerhaftem Bleibewillen begründet, insbesondere, wenn die Aufgabe des domicile of origin in Rede steht.
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e) Gewöhnlicher Aufenthalt, Wohnsitz und domicile lassen sich nicht linear vergleichen, sondern haben in den verschiedenen Kriterien teils Gemeinsamkeiten, teils graduelle oder diametrale Unterschiede, die jedoch durchaus sinnvoll sind: Die erforderliche Bindung an den jeweiligen Ort wächst vom Wohnsitz über den gewöhnlichen Aufenthalt zum domicile. Nur der (deutsche)[58] Wohnsitz kann (deshalb) sogar mehrfach sein. Ein Willenselement ist nur bei Wohnsitz und domicile erforderlich, wobei das Willenselement des Wohnsitzes weniger intensiv (niederlassen) als beim domicile (for an indefinite period) ist. Nur der gewöhnliche Aufenthalt kommt ohne die Figur der rechtlich abgeleiteten Bestimmung aus; rein tatsächliche, einen Willen nicht erfordernde Kriterien kann man auch bei Minderjährigen und Geschäftsunfähigen bestimmen, der nicht notwendig rechtsgeschäftliche Wille Erwachsener prägt deren Integration.
2. Parteiautonomie, Rechtswahl
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a) Der Parteiwille als Anknüpfungskriterium bedeutet Zulassung der Wahl des anzuwendenden Rechts. Die Freiheit zur Rechtswahl (Parteiautonomie) ist zu unterscheiden von der Freiheit, innerhalb des anzuwendenden Rechts bestimmte Rechtsfolgen autonom herbeizuführen (Privatautonomie). Zwar wird häufig ein Rechtsgebiet, innerhalb dessen die Privatautonomie nur geringe Einschränkungen erfährt, auch der Parteiautonomie eher zugänglich sein als Gebiete mit überwiegend zwingenden materiellen Regelungen. Jedoch besteht kein Gleichklang der Interessen. Parteiautonomie wird in jeder Rechtsordnung durch einzelne zwingende Normen begrenzt. Wo das anwendbare Recht gewählt werden kann, besteht dagegen generell das Risiko, dass sogar diese zwingenden Normen einer Rechtsordnung umgangen werden, indem man die Rechtsordnung insgesamt abwählt. Parteiautonomie wird daher – soweit überhaupt zugelassen – im IPR mit zwei Methoden begrenzt: Entweder wird sie nur in bestimmten sachbezogenen Fällen zugelassen oder das IPR gewährt sie umfassend, setzt aber Bestimmungen, die den Ausschluss zwingender Normen eines „eigentlich“ sachnahen Rechts verhindern, indem sie solche Normen gegen das gewählte Recht durchsetzen.
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So besteht etwa im materiellen Ehegüterrecht in zahlreichen Rechtsordnungen Wahlfreiheit zwischen verschiedenen Güterrechtsmodellen; dennoch sehen nur sehr wenige Kollisionsrechte (zB § 19 österreichisches IPRG) eine vollständig freie Wahl des Ehegüterstatuts vor; Art. 15 Abs. 2 wählt die erste Methode der Einschränkung und erlaubt die Rechtswahl nur zugunsten bestimmter als sachnah angesehener Rechtsordnungen, wobei hier der Gedanke der Selbstintegration in einer Güterrechtsordnung prägend ist. Sehr eng sieht auch Art. 22 EU-ErbVO eine Rechtswahl des Erblassers nur zu einem Heimatrecht vor, was einerseits eine Korrektur der Aufenthaltsanknüpfung erlaubt, andererseits Gestaltungsmissbrauch (Noterben, Pflichtteilsberechtigte) verhindern soll. Soweit die Rechtswahl zulässig ist, bestimmt sich anschließend der Umfang der Privatautonomie