Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht?. Charlotte Schmitt-Leonardy

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Unternehmenskriminalität ohne Strafrecht? - Charlotte Schmitt-Leonardy Schriften zum Wirtschaftsstrafrecht

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erneut ein Beispiel zu bilden: Das „Umetikettieren“ und Verkaufen von Fleisch, dessen Haltbarkeitsdatum – teilweise seit mehreren Jahren – abgelaufen war.[51] Zumindest in einem Fall standen die Vorwürfe im Zusammenhang mit einer großen Supermarktkette und der Anweisung der Geschäftsführung an ihre Mitarbeiter Verderbquoten unbedingt unter 0,3% zu halten. Aus den Strafbefehlen geht hervor, dass einer der Mitarbeiter an seinem ersten Arbeitstag die Umetikettierung vornahm; auf Anweisung seines Vorgesetzten. Aus dem Urteil gegen den Merchandiser lässt sich ebenfalls entnehmen, dass die Mitarbeiter auf unterschiedlichen Hierarchiestufen Drucksituationen ausgesetzt waren, bestimmte Verderbquoten nicht zu überschreiten.[52] In einer (angeblichen) Weisung der Geschäftsführung an ihre Mitarbeiter, Verderbquoten unbedingt unter 0,3% zu halten, kann eine strukturelle Handlungskoordination vermutet werden. Vermutet man, die Weisung habe den expliziten Zusatz „um jeden Preis“ beinhaltet, bejaht man eine vertikale Kommunikation und hat ein Individuum – die Geschäftsführung – als Anknüpfungspunkt. Geht man von einer Situation aus, in der lediglich der angestrebte Zustand einer geringen Verderbquote kommuniziert wurde, kann die Koordination strukturell, aber unpersönlich erfolgt sein. Es könnte also lediglich eine „kriminelle Routine“ Einzug gehalten haben, die – als Erfolg ausgewiesen – in Kontrollen eine positive Rückmeldung erhielt. Die kriminogene Situation könnte aber auch einer anderen Erklärung zugänglich sein: Die Geschäftsführung könnte explizit niedrige Verderbquoten und inexplizit von einer besseren Abstimmung von Ein- und Verkauf ausgegangen sein, während die entsprechende Abteilung ihre fehlerhafte Kalkulation oder ihre wenig innovative Verkaufsstrategie durch das kriminelle Vorgehen überdecken konnte, um weiter dem internen Konkurrenzdruck zu genügen. Die Kriminalitätsentwicklung könnte also nur entfernt mit der Unternehmensstruktur und stärker mit der Interaktion der Unternehmensmitarbeiter zusammenhängen.

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      Um weiter differenzieren zu können, ob Unternehmenskriminalität im Zusammenhang mit diesen gruppendynamischen Einflüssen als kollektivgesteuert anzusehen ist oder unternehmensgesteuert oder beides ist, wird im Folgenden die Hypothese der strukturellen Bedingtheit von Unternehmenskriminalität weiter verfolgt; zunächst durch einen genaueren Blick auf die in der strafrechtlichen Literatur inflationär verwandten Begriffe der organisierter Unverantwortlichkeit und der kriminellen Verbandsattitüde.

      Anmerkungen

       [1]

      Jäger MschrKrim 1980, 358 (358 ff.); Rotsch Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 25.

       [2]

      Vgl. z. B. Jäger in Der Spiegel vom 13.8.1990, S. 34–46.

       [3]

      Vgl. mit Hinweis auf die sogenannte „Radbruch'sche Formel“ BGH NJW 1995, S. 2728 ff.

       [4]

      Vgl. zu der sich aus § 27 GrenzG ergebenden Pflicht, „Grenzdurchbrüche unter allen Umständen, notfalls auch durch Tötung des Flüchtenden, zu verhindern“ BGHSt 39, 1 ff. – z. B. in BGH NJW 1993, 141 ff.

       [5]

      Siehe hierzu wieder die hervorragende Darstellung von Rotsch Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 34 ff.

       [6]

      Jäger Makrokriminalität, S. 191

       [7]

      Rotsch Individuelle Haftung in Großunternehmen, S. 35

       [8]

      Vgl. zu den im Zusammenhang mit dem DDR-Machtstrukturen stehenden Überlegungen zu einer „mittelbaren Täterschaft kraft Organisationsherrschaft“, deren drei zentralen Voraussetzungen waren, dass der Apparat aus einer Vielzahl von Mitgliedern besteht, er hierarchisch

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