El Niño de Hollywood. Oscar Martínez

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу El Niño de Hollywood - Oscar Martínez страница 8

Автор:
Серия:
Издательство:
El Niño de Hollywood - Oscar Martínez

Скачать книгу

dem Ohr, der andere in die Seite. (Die Blutstropfen am Boden häuften sich auf den nächsten Metern.) Er lief noch fünfzehn Schritte. Dann fiel er aufs Gesicht, drehte sich um, wollte sich verteidigen. Die Täter kamen näher und schossen noch drei Mal. In den Kopf und in die Brust. (Die Patronenhülsen fanden sich direkt neben der Blutlache, die sich auf dem Pflaster fortsetzte, so als hätte sich ein verwundetes Tier noch ein wenig weitergeschleppt.)

      Er hat gekämpft.

      Die Mörder flüchteten nicht in den Busch, sondern in den Ort San Lorenzo. Auf ihrem Tuk-tuk, einem jener Motorradtaxis, die einen Höllenlärm machen. Als würde eine Blechplatte vom Wind übers Pflaster geweht. Das alles spielte sich in etwa 50 Meter Entfernung von der Polizeidienststelle ab. Die Polizisten kamen erst zwanzig Minuten später an den Tatort. Es wurde keine Fahndung veranlasst und auch sonst nichts unternommen.

      Der Mann, der als Zeuge unter dem Schutz des salvadorianischen Staates stand und als liebre (»Hase«) oder yogui (»Yogi«) identifiziert wurde, der einunddreißigjährige Killer der Hollywood Gang, der sechsundvierzig Mitglieder der Mara Salvatrucha 13 ins Gefängnis gebracht hatte, war nach fast zwei Jahrzehnten des Mordens durch mehrere Kugeln tödlich getroffen worden.

      Wenn man Miguel Ángel zu seinen Lebzeiten fragte, wie viele Menschen er getötet habe, antwortete er mit der Ernsthaftigkeit von jemandem, der im Kopf nachrechnet, um die genaue Zahl zu nennen:

      »Sechsundfünfzig … Ich habe sechsundfünfzig Leute umgebracht. Sechs Frauen und fünfzig Männer. Zwei der Männer waren schwul. Ich habe zwei Schwule getötet.«

      Er sagte es ohne Angeberei, so als könnte jeder auf der Welt eine Zahl nennen, wenn ihm diese Frage gestellt würde.

      ZWEITES KAPITEL

       Der Anfang

      Ein Junge von elf Jahren versteckte sich zwischen Kaffeesträuchern, um zwei Männer zu beobachten, die sich mit Zuckerrohrschnaps betranken.

      Es war der 24. Dezember 1994, und in Atiquizaya, einer Ortschaft im Westen El Salvadors, der die Stadtrechte zuerkannt worden waren, herrschte Festtagsstimmung. Die beiden Männer leerten mehrere Flaschen, bis sie, wie ein heißer Nachmittag, die schwere, bleierne Müdigkeit überfiel, die dieser Schnaps bewirkt. Einer der Männer, ein Tagelöhner auf einer Kaffeeplantage, sackte in sich zusammen, entgegen der Anweisung des anderen, seines Vorarbeiters, beim Trinken aufrecht stehen zu bleiben. Das alles beobachtete der Junge von seinem Versteck zwischen den dichten Kaffeesträuchern aus. Er wartete geduldig darauf, dass der Schnaps seine Wirkung tat. Nachdem die letzte Flasche geleert war, machte sich der Vorarbeiter allein, ohne Schnaps und ohne Begleiter, auf den Weg nach Hause.

      Der Junge folgte ihm heimlich.

      Auf einem Feldweg zu der asphaltierten Straße, die in die Bezirkshauptstadt Ahuachapán führt, hielt der Junge den Moment für gekommen. Er trat zwischen den Sträuchern hervor und schlug dem Vorarbeiter mit einem Knüppel auf den Kopf. Der Mann stürzte zu Boden, und der Junge machte sich daran, sein Vorhaben zu Ende zu bringen. Er warf Steine auf den Kopf und den Nacken des am Boden Liegenden. Nicht sehr große Steine. Steine von einer Größe, die ein unterernährter Junge von elf Jahren hochheben kann.

      Um sich zu vergewissern, dass er den Vorarbeiter auch wirklich getötet hatte, versteckte sich der Junge wieder zwischen den Kaffeesträuchern und bewachte den leblosen Körper die ganze Nacht. Der 25. Dezember brach an. Im ersten Sonnenlicht näherte sich ein kleiner Lieferwagen auf seiner täglichen Route, und die Insassen sahen den blutüberströmten Körper in zerfetzter Kleidung auf dem staubigen Weg liegen. Sie stiegen aus und stellten fest, dass der Mann noch atmete. Sie legten ihn in eine der Hängematten, die sie immer bei sich hatten, um ein Schläfchen zu halten, wo immer sich zwei Bäume fanden, und brachten ihn ins Krankenhaus nach Ahuachapán. Der Junge hinter den Sträuchern war untröstlich. Seine Kräfte hatten nicht ausgereicht, um zu töten. Miguel Ángel Tobar war bei seinem ersten Versuch auf der Kaffeeplantage mit dem gescheitert, was ihm später so gut gelingen sollte.

images

      Wir alle wurden 1932 halb tot geboren.

      In jenem Jahr waren in El Salvador alle verrückt nach Kaffee. Die ersten Samen kamen nach 1850 aus Indien, nach dem Jahr des wirtschaftlichen Zusammenbruchs durch den Preisverfall des Indigos, des natürlichen Farbstoffs, der die Haupteinnahmequelle für El Salvador darstellte. Dieses Fiasko stand unmittelbar im Zusammenhang mit einem Experiment, das im privaten Labor eines jungen Chemiestudenten auf einem Hinterhof eines Londoner Hauses durchgeführt wurde. William Henry Perkin, ein achtzehnjähriger Schüler von Professor August Wilhelm von Hofmann, dem Direktor des Royal College of Chemistry, des ersten Chemie-Instituts von London, experimentierte mit verschiedenen chemischen Substanzen. Der Auftrag seines Lehrers bestand darin, einen synthetischen Ersatz für Chinin herzustellen, dem Medikament gegen die Malaria, unter der die Kolonialbeamten des britischen Reiches so sehr zu leiden hatten.

      An einem Nachmittag im April also mischte der junge Perkin den Inhalt eines Fläschchens mit dem eines anderen, erhitzte die Verbindung, schüttelte, rührte. Das Ergebnis war definitiv kein Mittel gegen die Malaria, doch es geschah etwas anderes, etwas Wunderbares: Nach und nach verfärbte sich die Flüssigkeit blauviolett. Das erschien dem jungen Perkin merkwürdig, und er notierte die Formel der Verbindung in seinem Heft. Als sein Professor die Aufzeichnungen sah, war ihm sofort klar, dass Perkin eine große Entdeckung gemacht hatte: die des ersten synthetischen Farbstoffs.

      Bis zu jenem Tag waren fast alle Farbstoffe natürlichen Ursprungs gewesen, von zerriebenen Insekten oder Harzen tropischer Bäume. Auch das aus der Frucht der jiquilite gewonnene Indigo wurde jahrhundertelang von Ureinwohnern und später in großen Mengen von den Europäern verwendet. Perkins zufällige Entdeckung sparte eine Menge Geld. Nun konnte man alles färben, was man wollte – zumindest blau und himmelblau –, ohne lästiges Verschiffen und ohne all die Probleme, die der Export in der damaligen Zeit mit sich brachte. Perkin wurde berühmt und reich, bekam vier Auszeichnungen für herausragende Leistungen in der Chemie und mindestens acht Ehrendoktortitel. Er gründete ein bedeutendes Farbstoff-Unternehmen und wurde 1906, ein Jahr bevor er an Lungen- und Blinddarmentzündung starb, zum Sir ernannt.

      Während Perkins Geschäfte florierten, machte auf der anderen Seite der Welt das kleinste Land Amerikas seine härteste Krise durch. Nach und nach starben die üppigen jiquilite-Sträucher ab. Die Haziendas verödeten, und in dem neu gegründeten Staat El Salvador herrschten Hunger und Armut. Die Eliten und der Staat hatten alles auf den Export der Früchte jener Sträucher gesetzt, die jetzt verdorrten. Wenn man auf ein einziges Produkt setzt, ist es schwierig, auf ein anderes umzusteigen.

      Gerardo Barrios, der erste Präsident El Salvadors und Kämpfer für die Unabhängigkeit Zentralamerikas, der am Ende erschossen wurde, hatte eine Idee. Er schlug vor, das bestehende Exportsystem für landwirtschaftliche Produkte zu nutzen, um etwas anderes zu exportieren: Kaffee. Von dem Moment an waren alle Salvadorianer plötzlich verrückt nach Kaffee.

      Doch Kaffee ist launisch. Seine Sträucher sind von mittlerer Größe und tragen nur in einer gewissen Höhe Früchte. Sie brauchen Unmengen von Wasser und vertragen sich mit keiner anderen Nutzpflanze. Bei zu viel Schatten gehen sie ein. Bei zu viel Sonne gehen sie ein. Vor allem aber brauchen sie viel Aufmerksamkeit. Im Unterschied zu der robusten jiquilite benötigt man für die Pflege der Sträucher und für die Verarbeitung seiner Früchte eine große Anzahl von Arbeitern.

      Die salvadorianischen Eliten besaßen das Kapital, die technischen Mittel und die modernsten Maschinen, um Kaffee zu produzieren. Nur zwei Dinge besaßen sie nicht: Land, um zu säen,

Скачать книгу