El Niño de Hollywood. Oscar Martínez

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El Niño de Hollywood - Oscar Martínez

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sie während der letzten zweihundert Jahre übersehen hatten: die Ureinwohner.

      Als eine Art Schutzmaßnahme hatte die spanische Kolonialregierung den Ureinwohnern Gemeindeland auf den Berghöhen und an den Hängen zur Verfügung gestellt. Hoch gelegenes Land. Schlechtes Land. Jedenfalls in dem Moment schlecht zu gebrauchen, als man es ihnen überlassen hatte. Und beim Aufbau des salvadorianischen Staates blieben die Ureinwohner außen vor. Nun aber wurden ihr Land und ihre Arbeitskraft gebraucht.

      Während der Präsidentschaft von Rafael Zaldívar im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts wurde ein Dekret erlassen. Die Rechtskonstruktion des Gemeindelandes, also des Landes, auf dem die Indios wohnten und arbeiteten und sich vor der spanischen Regierung in Sicherheit wähnten, wurde mit einem Federstrich beseitigt. Das meiste Land fiel dem Staat zu, und der verkaufte es an Personen, die es dann bestellen durften.

      Das Problem der Anbaugebiete war damit gelöst, es fehlten nur noch die Arbeitskräfte. Viele der nun landlosen Ureinwohner mussten sich auf den Kaffeeplantagen für einen Hungerlohn verdingen. Doch der Kaffee benötigte noch mehr Arbeitskräfte. Ein Gesetz wurde verabschiedet, das es grundsätzlich unter Strafe stellte, erwerbslos zu sein. Das »Gesetz gegen Faulenzerei« erlaubte es, jeden Einwohner, der älter war als zwölf Jahre, einzusperren und wie einen Sklaven zu unentgeltlicher Arbeit zu zwingen, wenn er nicht nachweisen konnte, dass er auf einer Plantage arbeitete. So gingen die Ländereien und auch die Ureinwohner in die Hände der Großgrundbesitzer über.

      Anfang des 20. Jahrhunderts, in der Zeit also, in der die meisten Haziendas entstanden und der meiste Kaffee angebaut wurde, kamen mehr und mehr Menschen aus ganz El Salvador, die Arbeit auf den Plantagen suchten, in den Westen des Landes. Zerlumpte, hungrige Menschen, die nach den liberalen Dekreten von Präsident Zaldívar ihr Land verloren hatten. Aber diese Menschenmasse war nie das, was sie laut offizieller Darstellung war: fröhliche Arbeiter, glückliche Ureinwohner, die sangen und ihre typischen Landestrachten trugen, während sie die Kaffeesträucher abernteten. Nein, es war ein zerlumpter Haufen voller Hass. Hass gegen die Mestizen: Vorarbeiter, Verwalter, Plantagenbesitzer und Bauern, denen es etwas weniger schlecht ging als ihnen und denen die Indios die Schuld an dem Landraub gaben.

      Die Jahrzehnte vergingen, bis 1932 Elend und Hass ihren Siedepunkt erreichten. Die Wut der indigenen Bevölkerung war nicht mehr zu kontrollieren, auch wenn einige kommunistische Führer die allgemeine Unzufriedenheit für ihre politischen Zwecke nutzen wollten. Der Hass der Ureinwohner, die vierzig Jahre lang gedemütigt und gezwungen worden waren, fremde Sträucher zu pflanzen, wo früher ihr Mais und ihre Kürbisse gewachsen waren, die versklavt, misshandelt und vergewaltigt worden waren, er ließ sich nicht länger unterdrücken.

      Am 23. Januar 1932 schreckte der nordamerikanische Missionar Roy McNaught in einem Dorf im Westen El Salvadors um Mitternacht aus seinem Schlaf. In seinem Bericht schreibt er, Hunderte Ureinwohner hätten den Posten der Nationalgarde, das Telegrafenamt und das Rathaus gestürmt. Weitere hundert hätten mit Knüppeln und Steinen die riesigen Zedernholztüren des Hauses von Señor Redaelli, dem reichen Plantagenbesitzer des Dorfes, zertrümmert. Die Aufständischen hatten Feuerwaffen bei sich – Pistolen und alte Jagdgewehre – und erschossen aus nächster Nähe erst Redaelli selbst, dann seine Frau und seine Töchter. Danach stürmten sie den Schnapsladen, betranken sich und zogen mit ihrer Wut in die nächsten Dörfer.

      Mindestens sechs Ortschaften im Westen El Salvadors wurden von den Aufständischen besetzt. Fast immer war die Vorgehensweise dieselbe: den Posten der Nationalgarde, das Telegrafenamt, den Schnapsladen stürmen und die Häuser der reichen Plantagenbesitzer überfallen, die sie jahrzehntelang mit Füßen getreten hatten. Blut jedoch floss nur wenig. Laut dem US-amerikanischen Historiker Erik Ching, dem Mann, der mit diesem Thema vielleicht am besten vertraut ist, ermordeten die Ureinwohner während des Aufstands nur um die hundert Personen.

      Sie hatten den Staat überrumpelt. Doch was in den darauffolgenden Wochen geschah, ist als die blutigste Epoche El Salvadors in die Geschichte eingegangen. Und das will viel heißen, wenn von El Salvador die Rede ist. Der durch einen Militärputsch an die Macht gelangte Präsident, General Maximiliano Hernández Martínez, rief seinen Kriegsminister, General Calderón, zu sich. Der Befehl war klar und deutlich: Schlagen Sie den Aufstand nieder und sorgen Sie dafür, dass so etwas nie wieder passiert.

      Auf einem vergilbten Foto posieren Männer in Jagdkleidung neben einem Karren voller Leichen von Ureinwohnern. Auf einem anderen sieht ein junger Mann voller Entsetzen auf eine Reihe lebloser Körper. Alles Indios. Auf einem dritten Foto liest ein Priester Francisco Sánchez, einem der Ureinwohner, die die Bewegung angeführt hatten, aus einem schwarzen Buch vor. Auf einem weiteren sieht Sánchez, unerschrocken wie immer, direkt in die Kamera, Minuten vor seiner Erschießung. Das nächste Foto zeigt Feliciano Ama barfuß und gefesselt. Ama war das Oberhaupt des bedeutendsten Verbandes der Ureinwohner im Westen El Salvadors und einer der Anführer des Aufstands in der Stadt Izalco. Auf einem weiteren Foto hängt Ama wie eine makabre piñata auf einem sehr traurigen Kindergeburtstag an einem Baum im Stadtzentrum von Izalco. Sie ließen ihn dort hängen, bis er verfaulte, als abschreckendes Beispiel dafür, was mit den Indios passierte, wenn sie nicht gehorchten. Wenn sie keinen Kaffee ernteten.

      Zur Erinnerung an diese blutigen Anfänge des Landes feiert die rechtsgerichtete Partei ARENA (Alianza Republicana Nacionalista) seit 1982 bis zum heutigen Tag auf dem Massengrab Hunderter von Leichen von Ureinwohnern in Izalco den Beginn ihrer Wahlkampagne. Dort habe ihr Kampf gegen den Kommunismus seinen Anfang genommen, sagen sie. Und voller Inbrunst singen sie die provokanteste Strophe ihrer Hymne: »El Salvador wird das Grab sein, in dem die Roten enden!«

      Mindestens 15.000 Menschen, in der Mehrzahl junge Männer, wurden so im Jahre 1932 innerhalb weniger Monate im Westen El Salvadors ermordet. Und bis zum Jahresende waren es noch viele mehr. Keiner der Morde wurde in die offiziellen Statistiken der Tötungsdelikte aufgenommen.

      Roque Dalton, der berühmteste Dichter El Salvadors, Mitglied der Widerstandsbewegung Ejército Revolucionario del Pueblo (Revolutionäre Volksarmee) in den Siebzigerjahren, später auf Befehl der Anführer eben jener Bewegung wegen Rebellion ermordet, schrieb über das Massaker an den Ureinwohnern das Gedicht Todos (»Alle«):

      Wir alle wurden 1932 halb tot geboren

      wir haben überlebt, aber halb lebendig

      jeder von uns mit dreißigtausend Toten auf dem Konto

      was die Zinsen anwachsen ließ

      die Rendite

      und heute den Schatten des Todes auf jene wirft,

      die noch geboren werden

      halb tot

      halb lebendig

      Wir alle wurden 1932 halb tot geboren

      Salvadorianer sein heißt halb tot sein

      das, was sich bewegt

      ist die Hälfte des Lebens, die sie uns gelassen haben …

      Auf den Plantagen wurde weiter Kaffee angebaut und geerntet. Es wurde exportiert und verdient, immer mehr verdient, und die Haziendas wurden zu kleinen Feudalstaaten. Sie hatten sogar ihre eigene Währung, ihr eigenes Lebensmittelgeschäft, das »Geschäft zum Anschreiben«, und ihre eigenen Regeln. Und sie hatten, wie El Salvador in jenen Jahren, auch ihre eigenen Diktatoren. Die Vorarbeiter wurden zu Halbgöttern. Sie nahmen sich, was sie wollten, auch das, was sich zwischen den Beinen einer Erntearbeiterin befand. Und wenn sich jemand widersetzte, fand er sich am nächsten Morgen mit durchgeschnittener Kehle in irgendeinem Straßengraben wieder.

      Die Reichen wurden in den Jahrzehnten

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