Augusta - Ihre Ehe mit Wilhelm I.. Helmut H. Schulz

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plagte sie verständlicherweise, heftiges Heimweg nach Weimar und nach dem so herben wie lieblichen Thüringen, nach der Begrenztheit und Überschaubarkeit des Daseins. Sie war von Klassikern erzogen worden, mit einem Bild vom Menschen, in Naturrechten gleich geboren, wenn schon nicht in der Realität, so doch als Weg und als pädagogisches Ziel. In diesem System sollten auch Fürsten gute Gründe für Existenz finden. Am Preußenhof galt der Einzelne nichts, sondern nur die Kategorie, Kaste, Militär, Beamter, Kammerherr, Lakai, und so fort. Wilhelm, ihr Mann, sah sich als Soldat; er war es wirklich und nicht nur von Berufs- und Standes wegen, sondern aus Berufung. Sein ganzes Leben hing fest mit allem Militärischen zusammen. Selbst als kommandierender General tat er wirklichen Dienst, wie es einem General zukam. Seiner Frau blieb der Spielraum ihres Salons. Sie hatte später erst täglich Teestunde mit interessanten Leuten; in der ersten Zeit ihrer Ehe sammelte sie noch, wie jeder Salon, angelte aber nicht nach großen Geistern. Das wäre ihr auch verwehrt gewesen. Wilhelm stieß unregelmäßig zu den Gesellschaften seiner Frau, ließ sich Tee geben, hörte den Reden und Gegenreden zu, ohne sich selbst an den Gesprächsgegenständen zu beteiligen, von denen er glaubte, nicht davon zu verstehen, um mitreden zu dürfen. Nicht so seine junge Frau. Augusta war an dieses offene, ungeschäftsmäßige Gesellschaftsklima gewöhnt, und sie dachte nicht im Traum daran, eine Meinung deshalb zu unterdrücken, weil diese falsch sein könnte, und einer Korrektur durch besser Unterrichtete bedurfte. Ja, aus diesem Grunde - unter anderem - wurden doch Salons geführt. Ihrer Art nach griff sie lebhaft ins Gespräch ein, widersprach einem Professor Curtius auf seinem Gebiet antiker Grabungen, ließ ihr Urteil dankbar richtig stellen, fiel einem Flügeladjutanten ins Wort und gefiel sich als anregender Mittelpunkt ihres eigentlich noch bescheidenen Kreises. Noch fiel hier kein politisches Wort; man war nur sozusagen angeboren liberal. Dieser Umgang war dem Ehegatten ein Gräuel. Er saß wie auf Kohlen, wollte und konnte gar nichts tun, als diese Leute aus dem Hause zu jagen, falls er einen Skandal in Kauf zu nehmen bereit war.

      Die Geschichtsschreibung hat Wilhelm gelegentlich den letzten Preußen genannt, da Preußens Könige seit dem Soldatenkönig so etwas wie Heerkönige sein wollten und gewesen sind, mehr oder minder, aber die europäische Welt und selbst die preußische hatte sich geändert. Auch eingeborene Preußen waren seit den Napoleonischen Kriegen nicht mehr nur Untertanen, Hintersassen, Abhängige. Augusta mag es kaum für erstaunlich, ihren Erfahrungen widersprechend, empfunden haben, dass sich alle Leute in ihrer neuen Umgebung nach den Zeiten Friedrichs des Großen zurücksehnten, da solches Modelldenken durchaus ihren eingelernten Übungen entsprach. Anscheinend gedachten diese Preußen die feudale Monarchie zu erhalten, und zugleich etwas anderes an deren Stelle zu setzen. Sie waren vielleicht ein wenig ratlos diesem Widerspruch gegenüber geworden, eine konstitutionelle Monarchie zu wünschen und andererseits den autarken Staat des vergangenen Jahrhunderts zu konservieren. Auch fand sie im Brandenburger einen ganz anderen Menschenschlag, als den lebhaften, offenen Thüringer. Mitunter verstand sie nicht einmal, was der gewöhnlichste ihrer Untertanen überhaupt wollte. Sie erschienen ihr verschlagen und mürrisch, und sie gedachte einer vielleicht öfter gehörten Bemerkung ihres großen Erziehers, des alten Geheimrates, dass ein gar raues Volk an der Spree lebe.

      Wilhelm verstand etwas vom Soldatentum; er dachte und fühlte ganz in den Ehrbegriffen des Offizierskorps. Nichts aber verstand er von der Kultur, wie man sie anderswo als in Preußen pflegte. Selbstredend aber hatte die Klassik als Lebensgefühl alles Lebendige in Deutschland durchdrungen und untilgbare Spuren hinterlassen. Als Künstlerin musste Augusta von dem klaren Baustil Preußens begeistert sein, der den Menschen hier entsprach. Die gerade Straßenführung, die am Zeichentisch erdachten Stadtviertel, die Villen Schadows und die Parks von Lenné, damit konnte sich Preußen überall sehen lassen. Nein, ihr Gatte war kein Banause, er kannte und liebte das Theater, die Musik, er war selbst in seiner Jugend an Liebhaberaufführungen beteiligt gewesen, soweit sie einem Prinzen erlaubt sind. Es fehlte ihm nicht an Verständnis für die modernen Wissenschaften, dem neueren Ingenieurwesen, ohne das ja übrigens keine Armee inzwischen mehr auskam. Klassisch war in Berlin wie in den preußischen Provinzen alles; Preußen konnte auf einen Humboldt, einen Kant verweisen. Die Oper Unter den Linden, das alte neue Schauspielhaus, die Preußische Akademie und die Singakademie trugen den Ruf Berlins als Kunststadt weit hinaus, wenngleich es verglichen mit Paris, London oder Wien immer noch bloß ein Nest genannt werden musste. Aus der Enge seiner Verhältnisse heraus hatte Preußen sich und damit anderen den Weg der Neuerweckung klassischer Vorbilder bereitet, philologische Leistungen und historische Forschung gefördert, zu schweigen vom aufblühenden literarischen Leben Berlins der nachfrederizianischen Zeit.

      Augusta war mit der klassischen deutschen Antikenrezeption aufgewachsen; sie hatte den Geist des Hellenismus mit Goethes Augen sehen gelernt. Mit wem aber hätte sie hier reden können, beispielsweise über die merkwürdige Beobachtung, dass die Franzosen der Antike anderes entnommen hatten, als die Deutschen. Die Bürgertugenden Robespierres wurzelten eher in der römischen Staats- und Stadtgeschichte als im kulturellen Hellenismus. Was hier Theorie, Geist, das war dort Aufruhr geworden, ins Gesellschaftliche umgeschlagen. Nun ja, Hirngespinste, über die sie sich mit einem Humboldt hätte austauschen können; seltsam, wie wenig im Grunde seit dem Jahre 1815 verändert worden war.

      Diese Teegesellschaften nun endeten meist mit einer Verstimmung zwischen den Gatten. Zuerst verstand die Prinzessin wohl nicht einmal, was Wilhelm gegen ihre Soireen einzuwenden hatte. Nun, ein besonderes Vergnügen war es offenbar nicht, Prinzessin von Preußen an der Seite dieses Generals zu sein. Und schließlich hielt sie doch alles in den engen Grenzen, die ihr gezogen waren, und die sie respektierte. Aber Augusta hört auch genug vom modernen literarischen Treiben Berlins, ohne daran teilhaben zu dürfen. Bis in die Jahre des Biedermeiers schossen die Salons aus dem Boden. Und übrigens war es auch um den Olympier zu Weimar einsam geworden, wie es der Zeitengang mit sich brachte. Schiller, Herder, Merk, Knebel, die Freunde waren dahingegangen, das Krisenjahr 1805 hatte den bitteren Verlust Schillers gebracht; 1817 die für Goethe kränkende Entfernung aus dem Theater Weimars. Diese Jahre bezeichnen seinen Rückzug aus Ämtern und dem offiziellen Leben der Stadt. Auch hatte der große Heide, wie Goethe nicht nur von seinen Gegnern bei Gelegenheit spöttisch apostrophiert wurde, in dem zurückliegenden Jahrzehnt nicht die glücklichste Hand bei der Behandlung der Jungen gehabt, etwa eines Fichtes, er verstand die dichtende Jugend immer weniger.

      Die Fichteaffäre hatte im Grunde wieder in Berlin, bei dem alten Hundezeug, ihre Wurzel. An den schier unsterblich scheinende Nicolai erinnerten sich alle nur zu gut, die Curtius und die Humboldts, allein diese Affären boten nur noch Stoff zur Heiterkeit. >Richtig, das geschah vor Ihrer Zeit, königliche Hoheit. Es ist wirklich schade, die bürgerlichen Salons haben Preußen ja eigentlich kulturell zu dem gemacht, was es heute ist, mehr oder weniger. < Beiläufig hatte Nicolai einst eigenhändig eine Schrift gegen Kant verfasst, da ihm allmählich die Autoren davonliefen. Er gab ihr einen seiner ellenlangen geschraubten Titel: Neun Gespräche zwischen Christian Wolff und einem Kantianer über Kants metaphysische Anfangsgründe, der Rechtslehre und der Tugendlehre. Der Buchhändler hatte sich also nicht mehr und nicht weniger vorgenommen, als über den Stand der gesamten spekulativen Philosophie, über Rechtsphilosophie und Ethik auf einigen Seiten abschließend zu urteilen. Das Werk ging 1798 in die lesende bildungshungrige Welt, fand aber natürlich kein Echo. Die etwas von der Kant’schen Philosophie verstanden, hielten es für überflüssig, öffentlich auf den Blödsinn Nicolais zu antworten; und die nichts davon verstanden, lasen Nicolais Buch nicht. Dieser Misserfolg forderte den Buchhändler zu einem Nachschlag heraus. Über meine gelehrte Bildung, über meine Kenntnis der kritischen Philosophie und meine Schriften dieselbe betreffend, und über die Herren Kant, J.B. Erhard, Fichte. Von Friedrich Nicolai. Eine Beilage zu den neun Gesprächen zwischen Christian Wolff und einem Kantianer. Unter diesem größenwahnsinnigen Titel wurde das Buch 1799, also ein Jahr später, auf den Buchmarkt gebracht. Dass ein Eleve vor dem Lehrer bestrebt sein muss, Schulwissen nachzuweisen, leuchtet ein, nicht aber dass ein Buchhändler auf eine Bildung pocht, die er nicht haben konnte und nicht zu haben brauchte. Er sollte Bücher verkaufen, nicht sie beurteilen; wissenschaftliche Kritik gehört nicht zu seinen Aufgaben. Unser Stichwort ist jedoch in diesem Titel verborgen; es heißt Fichte, dessen Aufnahme in die Preußische Akademie der gerissene

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