Geliebter Unhold. Billy Remie

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Geliebter Unhold - Billy Remie Chroniken der Bruderschaft 4

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Jagd und das Stellen ihrer Beute. Gut möglich also, dass sie so lange auf den Überresten des Gebäudes sitzen bleiben würde, bis ihr Herr antanzte.

      Das Problem war jedoch, dass das Biest sie nicht sehen, nur wittern konnte, was ihm wohl das Gefühl des Versagens vermittelte, denn es brüllte und schlug mit dem schweren Schwanz auf, kratzte mit den Krallen über den Boden, sodass die Decke über ihren Köpfen bebte und Staub und Geröll herabrieselte. Stunde um Stunde verging. Xaiths flammende Leuchtkugel spendete etwas Licht, wurde aber zunehmend schwächer. Dicke Spinnen, so groß wie Hände, krochen durch den Lärm und die Vibrationen in der Erde aus ihren Löchern, Schaben und Nager huschten umher.

      Sollte das ihr Grab sein?

      Jin saß an einem Regal gelehnt, das in die Lehmwand eingearbeitet worden war und dessen Bretter bereits von der Feuchtigkeit zerfressen und herabgefallen waren, während er die Dielen im Blick behielt, die über den Balken lagen. Einige waren durch den Aufprall der Trümmer gesplittert, aber die Decke schien Stand zu halten. Zumindest noch.

      Tageslicht sickerte durch die Ritzen, doch nicht genug, um die tiefe Dunkelheit zu vertreiben. Hin und wieder konnte er das violette Schimmern eines Federkleids, ebenso von Schuppen erkennen.

      Ein leises Schnarchen weckte seine Aufmerksamkeit, mehr ein lauteres, schnurrendes Einatmen.

      Er blickte an die gegenüberliegende Wand zu den drei anderen. Xaith hatte den Kampf gegen die Erschöpfung vor Stunden verloren, und Jin hatte es nicht über sich gebracht, ihn wach zu halten. An seiner linken Schulter lehnte der Kopf des unbekannten Jungen, unter dessen schmutziger Fischermütze schwarze Strähnen hervorlugten. Er trug lumpige Kleidung, ein weites Hemd und eine weite Weste darüber, und in seinen Armen ruhte ein Kind.

      Alle drei schliefen, trotz des anhaltenden Lärms, tief und fest. Die Ringe unter ihren Augen zeugten von den Strapazen der langen Reise. Und vielleicht sogar von noch mehr.

      Xaith sah… furchtbar aus. Nicht im Sinne von hässlich. Wenn er eines nicht war, dann hässlich, ganz gleich was dieser Dummkopf über sich selbst dachte. Nein, er wirkte ausgelaugt, wie ein Sklave, der dreißig Jahre Zwangsarbeit vollrichtet hatte. Sein schwarzes Haar war gewachsen, die Enden seiner Spitzen sahen ausgefranst aus, als würde er sie nur mit dem Dolch abschneiden, wenn sie zu lang wurden. Er hatte sie zu einem lockeren Zopf zusammengebunden, dünne Strähnen rahmten sein Gesicht ein. Ein schmales, langes Gesicht mit scharfen Kanten und nun hohlen Wangen, die schattig und fahl wirkten. Die zahlreichen Pickel und Beulen von damals hatten seine Haut gezeichnet und pockenartige Narben und Krater auf seiner Haut hinterlassen. Er war gewachsen, noch mehr in die Höhe geschossen, dazu schlank wie eh und je. Schwarzes, offenes Hemd, das einen flachen, aber wohlgeformten Oberkörper preisgab, als wollte er mit diesem Streifen nackter Haut beweisen, dass er nicht überall so vernarbt war wie in seinem Gesicht.

      Er hatte sich kaum verändert, seine geschlitzten, grüngelben Drachenaugen bargen noch immer diese besondere, dicke Mauer – und diesen geflüsterten Ruf nach Hilfe. Letzteres würde er natürlich vehement abstreiten, doch Jin brauchte ihn nur anzusehen und wusste sehr genau, was in ihm vorging. In diesem leicht zerbrechlichen, schreckhaften, zarten Geschöpf, das sich gerne mit Granit ummantelte, aber das unsichere Herz eines Fluchttieres besaß.

      Ein Junge, der viel zu früh gelernt hatte, dass die Welt grausam zu einem war, wenn man in den Augen der Gesellschaft nicht »schön« war. Was so viel hieß wie, wenn man nicht wie eine Marmorstatue aussah und das Lächeln der Sonne besaß, versteckte man sich lieber und schaufelte Kohle. So oder so ähnlich hatte er es mal ausgedrückt.

      Jin betrachtete ihn und spürte den alten Schmerz, den er immer gespürt hatte, wenn er Xaith betrachtete. Xaith hatte so sehr gelitten, Drachenaugen und übersät mit Pickeln, niemand hatte mit ihm spielen wollen, er war gehänselt und ausgeschlossen worden, hatte angefangen, Abneigung gegen alle gesellschaftlichen Formen zu empfinden. Je mehr er sich verschloss, je mehr hatte man ihn mit Verachtung gestraft. Er hatte gar nichts richtig machen können.

      Aber nicht nur Kinder waren grausam, viel schlimmer waren diese überfürsorglichen Eltern, die ihre Sprösslinge panisch weitergezogen hatten, wann immer Xaith in die Nähe kam.

      So auch Jins eigener Vater.

      Er erinnerte sich an ihre erste – die wirklich allererste – Begegnung, damals im großen, dunklen Thronsaal des Blutdrachenkönigs. Xaith, der kleine Prinz, hatte auf dem Schoß seines Vaters gesessen, winzig im Vergleich zu König Desiderius, aber seine beeindruckende, mystische Präsenz hatte seine kindliche, winzige Gestalt wieder wett gemacht.

      Als Jins Vater mit dem König eine Unterredung führte – über Handel und Zusammenarbeit – war Xaith vom Schenkel seines Vaters gerutscht, hatte Jin mit großen Augen angesehen, Abneigung im Blick, als wollte er sagen: »Bleib mir bloß fern.« Doch er war nicht grob, das hatte Jin gleich bemerkt, er trug lediglich einen schweren Schild vor sich her, dahinter war er unsicher, zerbrechlich. Das Herz lag ihm auf, nicht in der Brust, so leicht berührbar, so leicht zu verletzen, es genügte ein falscher Blick. Und Verletzlichkeit verwandelte sich bei Xaith sofort in Hass – auf die Welt und insbesondere auf sich. Es war so unheimlich leicht, in ihm zu lesen.

      Vom ersten Moment an hatte Jin das Bedürfnis verspürt, ihm näherzukommen, seine Hand zu nehmen und ihn mit Freundlichkeit zu überschütten, ihm zu zeigen, dass die Welt und ihre Völker schön waren, wollte ihn lächeln sehen, hatte sich ausgemalt, sein einziger Freund zu werden.

      Doch als er damals einen Schritt auf ihn zumachte und Xaith ihn zwar argwöhnend ansah, aber nicht zurückwich, hatte Jins Vater ihn gepackt und hinter sich geschoben.

      Eine Geste, die leicht so missverstanden werden konnte, dass der Vater den Sohn festhielt, damit er nicht auf den König zulief, denn es war nicht erlaubt, die Stufen zum Thron zu betreten. Doch Jin wusste es besser, sein Vater wollte nicht, dass er sich mit Xaith anfreundete. Und Xaith hatte es auch gewusst, Hass war in seine Augen getreten und er hatte sich umgedreht und war fortgegangen.

      Kaum waren sie aus dem Thronsaal getreten, hatte Jins Vater ihn an den Schultern genommen und auf ihn eingeredet. »Halte dich von dem jungen Prinzen fern, er ist gefährlich, hörst du?«

      »Wieso sollte er gefährlich sein?«

      Das konnte er ihm auch nicht erklären, niemand konnte es ihm erklären. »Er ist es eben einfach, er ist seltsam, das sagen alle. Spiel mit Vaaks, der ist ein Mensch, so wie du.«

      Natürlich hatte er mit Prinz Vaaks gespielt, er hatte seine Kindheit mit ihm verbracht, aber dadurch auch am Rande mit Xaith, wenn auch auf eine völlig andere Weise als erhofft, denn Xaith sah in ihm keinen Freund, sondern nur den Jungen, der ihm seinen Bruder wegnahm.

      Es war lange her, zu lange, nun waren sie erwachsen, zumindest ihre Körper waren es, und doch hatte sich nichts geändert, der alte Groll, der tiefsitzende Argwohn und die Eifersucht waren genauso präsent wie vor Jahren.

      Dabei war alles, was Jin je wollte, Xaiths Gesicht zu nehmen, sodass er ihm nicht mehr entweichen konnte, und ihm eindringlich zu erklären, dass er nicht seltsam oder anders oder auch nur einen Hauch hässlich war, ganz gleich was ein paar oberflächliche, neidvolle Betrachter behaupteten.

       Du bist nicht allein in der Dunkelheit, Xaith, viele von uns sind mit dir dort, selbst die, die wie die Sonne lächeln. Wir trauen uns nur nicht, uns bemerkbar zu machen.

      Wie oft hatte er ihm etwas in der Art sagen wollen, doch wann immer Xaiths geschlitzte Pupillen in seine Augen blickten, wann immer sie sich gegenüberstanden, verabschiedete sich sein Mut fluchtartig wie ein verängstigter Deserteur, und er bekam keinen Ton mehr heraus.

      So

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