Vier Jahre für Lincoln. Stillwell Leander

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Vier Jahre für Lincoln - Stillwell Leander Zeitzeugen des Sezessionskrieges

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mir der Gedanke jedoch absurd, dass man blindlings in einen Rauchschleier schießen solle, ohne ein konkretes Ziel vor Augen zu haben. Schon seit ich groß genug war, eine Muskete zu halten, hatte ich zuhause in den dichten Wäldern hinter unserer entlegenen Farm Eichhörnchen, Kaninchen und anderes kleines Getier geschossen. Tatsächlich jagte ich schon, als ich noch zu klein war, um eine Muskete anzulegen und stattdessen von einer Stütze (wie etwa einem Baumstumpf, Baumstamm oder Busch mit starken Ästen) aus feuern musste. Die Waffe, die ich damals benutzte, war ein altes, langläufiges Gewehr mit Perkussionsschloss, das Kugeln verschoss, die wohl um die 15 Gramm wiegen mochten. Wir Kinder mussten damals unsere eigene Munition herstellen, wofür wir Blei (aus dem wir die Kugeln gossen), Zündhütchen und Schwarzpulver benötigten. Unsere Haupteinnahmequelle für das notwendige Geld bestand aus Haselnüssen, die wir einsammelten, schälten und für fünf Cents pro Quart verkauften. [Anm. d. Übers.: Das Quart ist ein US-amerikanisches Trockenmaß. 1 Quart entspricht etwa 1,1 Liter.] Das Sammeln und Schälen eines Quarts Haselnüsse war eine entschieden mühselige Arbeit, aber es erzog uns zum wohlüberlegten Gebrauch unserer Munition und wir verschwendeten niemals leichtfertig oder unnötigerweise einen Schuss. Auch war es bei uns ein ungeschriebenes Gesetz, einem Eichhörnchen stets nur in den Kopf zu schießen, sofern keine ungünstigen Umstände es nötig machten, auf einen anderen Körperteil der kleinen Tierchen zu zielen. Deswegen dachte ich zu Beginn meiner militärischen Laufbahn, dass ich meine Muskete in der Schlacht wohl ebenso wohlerwogen abfeuern sollte wie bei der Eichhörnchenjagd, allerdings wurde ich bei Shiloh schon innerhalb der ersten fünf Minuten eines Besseren belehrt. Nichtsdestotrotz zielte ich in den folgenden Gefechten weiterhin sorgfältig, wenn sich die Gelegenheit dazu bot, aber häufig zwangen mich die Umstände dazu, einfach niedrig zu zielen und mein Blei durch die Rauchschwaden in Richtung des Feindes zu schleudern. An dieser Stelle muss ich anmerken, dass das Ausmaß an Fehlschüssen in einer Schlacht, besonders bei unerfahrenen Truppen, absolut verblüffend ist und dem Außenstehenden kaum verständlich erscheint. Während wir uns bei Shiloh auf unsere zweite Stellung zurückzogen, hörte ich über unseren Köpfen ein konstantes Summen, gleich einem Bienenschwarm. In meiner Unwissenheit wusste ich diesen Lärm zuerst nicht zu deuten, aber bald wurde mir klar, dass dieses Geräusch von Kugeln verursacht wurde, die zwischen sechs und 30 Metern über unseren Köpfen vorbeizischten. Nach der Schlacht bemerkte ich, dass die großen Bäume in unserem Lager (unmittelbar hinter unserer zweiten Stellung) zahlreiche Einschusslöcher von Musketenkugeln aufwiesen, welche bis zu 30 Meter über dem Boden eingeschlagen waren. Und dies, obwohl wir nur durch ein kleines, schmales Feld von den Konföderierten getrennt gewesen waren und der Boden zwischen uns vollkommen eben war. Man darf allerdings nicht vergessen, dass diese Jungs ebenso unerfahren waren wie wir und zweifelsohne nicht minder aufgeregt. Die konföderierte Armee bei Shiloh bestand größtenteils aus Soldaten, die erstmals unter feindliches Feuer gerieten und ich schätze, sie müssen genauso nervös und verängstigt gewesen sein wie wir.

      Ich werde niemals vergessen, wie erbärmlich ich mich fühlte, als ich erstmals einen Mann im Kampfe sterben sah. Es ereignete sich bei unserer bereits erwähnten zweiten Stellung. Unsere Gefechtslinie dort war einigermaßen unregelmäßig und die Männer standen nicht an ihren vorgesehenen Positionen. Es gab etliche Baumstämme und -stümpfe, die wir so gut wie möglich als Deckung benutzten. Ich stand hinter einem Baum. Er war von beklagenswert kümmerlichem Wuchs, aber doch besser als nichts. Später wechselte ich hinter einen gestürzten Stamm. Unmittelbar zu meiner Rechten stand ein Mann hinter einem großgewachsenen Baum und ich beneidete ihn um seine Deckung. Er lud und feuerte, so schnell er konnte und als ich ihn zum letzten Mal lebend sah, verrichtete er gute Arbeit. Doch dann lag er plötzlich regungslos mit einem Bein angewinkelt auf dem Rücken – tot! Er war wohl in den Kopf getroffen worden, als er zielte oder hinter seinem Baum hervorspähte. Ich starrte ihn an und war vor Entsetzen wie gelähmt. Noch wenige Sekunden zuvor war dieser Mann quicklebendig gewesen und nun lag er auf der Erde – ein Leben für immer ausgelöscht! Dieses Erlebnis brachte mich näher an den Rand der Panik als jedes andere während der Schlacht. Im Verlaufe des Tages gewöhnte ich mich jedoch einigermaßen an den Anblick.

      Als wir uns bei unserer dritten Stellung gesammelt hatten, verlegte man uns noch ein wenig weiter nach hinten, wo wir uns im rechten Winkel zu der Straße aufstellten, die von unserem Lager zur Anlegestelle führte. Während wir dort warteten, bemerkte ich ein großes Zelt, das einige Schritte hinter mir am Wegesrand stand. Es war geschlossen und niemand schien sich in seinem Inneren zu rühren. Plötzlich hörte ich direkt über unseren Köpfen ein fürchterliches "ZISCH" gefolgt von einem lärmenden Einschlag in das Zelt. Ich blickte mich um und sah ein großes, klaffendes Loch in der Zeltwand sowie hinter dem Zelt die Ursache in Gestalt einer großen Kanonenkugel, die den Abhang hinabhüpfte, um im Hinterland weiteres Unheil anzurichten. In diesem Moment flog der Zelteingang auf und ein Bursche in Zivilkleidung stürmte heraus. Er war von entschieden hebräischem Aussehen, sein Gesicht war so fahl wie das Antlitz eines Toten und die Augen traten ihm förmlich aus den Höhlen. Er rannte mit flatternden Rockschößen die Straße hinab in Richtung der Anlegestelle, während die Jungs ihm höhnisch zujubelten und er war wohl noch niemals in seinem Leben dermaßen schnell gelaufen. Wir nahmen sogleich das Zelt in Augenschein und es stellte sich heraus, dass es einen Marketenderladen beherbergte und mit allerlei Versorgungsgütern vollgestopft war. Der panische Flüchtling war natürlich der Besitzer. Er hatte wohl versucht, es dem Vogel Strauß gleichzutun, indem er sich in seinem Zelt verschanzte und sich mucksmäuschenstill verhielt, wobei er gehofft haben mochte, dass ihn niemand sehen könne, den er selbst nicht sah. Diese Kanonenkugel musste eine unangenehme Überraschung gewesen sein. Um etwas mehr Ellbogenfreiheit zu haben, rissen wir das Zelt nieder und begannen, seinen Inhalt unter uns aufzuteilen. Da waren Fässer voller Äpfel, Lyoner Würste, verschiedenste Sorten Käse, Austern und Sardinen in Dosen und etliches anderes Zeug. Ich stopfte gerade meinen Tornister mit Würsten voll, als Colonel Fry herangeritten kam und zu mir sagte: "Könntest du mir wohl bitte einen Ring dieser Wurst geben, mein Sohn?" Nach den Erlebnissen des Tages musste ich mich wohl recht kühn gefühlt haben und so antwortete ich keck: "Aber sicher doch, Colonel. Wir verkaufen hier heute unter Herstellungspreis" und drückte ihm zwei oder drei Wurstringe in die Arme. Während der alte Mann die Beute entgegennahm, umspielte die Andeutung eines Grinsens seine Lippen und er verbiss sich sogleich in einem der Ringe. Die anderen verwahrte er sorgfältig. Sein Verhalten ließ mich vermuten, dass er am Morgen wahrscheinlich nicht zu seinem Frühstück gekommen war und so mag es wohl tatsächlich der Fall gewesen sein. Kurz darauf verteilte ich noch mehr gute Gaben. In unserer Nähe stand eine Formation Kavalleristen und einer von ihnen rief mir zu: "Kamerad, gib mir ein paar Äpfel!" Ich antwortete: "Alles klar!", füllte meine Mütze rasch mit Äpfeln und gab sie ihm. Er schüttete sie in seinen Brotbeutel, holte eine silberne Zehn-Cent-Münze aus der Tasche und hielt sie mir mit den Worten: "Da, nimm" hin. Ich entgegnete: "Behalt dein Geld, ich brauche es nicht", aber er warf mir die Münze vor die Füße und so hob ich sie auf und steckte sie ein. Später fand sich natürlich eine gute Verwendung für sie.

      Jack Medford aus meiner Kompanie gesellte sich zu mir, tätschelte mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck seinen Brotbeutel und sagte: "Lee, ich habe gerade einen Haufen Briefpapier und Umschläge eingeheimst. Jetzt kann ich meinen Leuten zuhause über die Schlacht schreiben." Ich antwortete: "Jack, mir scheint, du solltest das Zeug besser wegwerfen und dir etwas zu essen besorgen. Ans Briefeschreiben über die Schlacht solltest du erst denken, wenn sie geschlagen ist." Jack fiel das Grinsen aus dem Gesicht und er murmelte: "Schätze mal, da hast du Recht, Lee." Als ich ihn das nächste Mal sah, war sein Brotbeutel zum Zerreißen mit Wurst und Käse vollgestopft. Während alldessen tobte zu unserer Rechten die Schlacht und gelegentlich kreischte eine Kanonenkugel hoch über unsere Köpfe hinweg. In "Die Jungfrau vom See" schildert Scott das unheimliche Geschrei und Geheul während der Schlacht von Beal' an Duine folgendermaßen:

      "Als ob das Feldgeschrei der Hölle

      Aus aller Teufel Mund erschölle."

      Dieser Vergleich mag sehr anregend auf die Vorstellungskraft wirken, aber ich kann aus eigener Erfahrung versichern, dass von all den grausigen Geräuschen, die ich jemals gehört habe, keines schlimmer ist als das fürchterliche Kreischen einer Kanonenkugel oder Granate, die einem in geringer Höhe über

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