Seefahrerportraits und Erlebnisberichte von See. Jürgen Ruszkowski
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Wolfgang Schmidt wurde am 2. August 1926 in Hamburg als Sohn eines Reedereiangestellten geboren. Zunächst besuchte er die Volksschule, dann das Bismarckgymnasium, wo er 1944 das Abitur machte. Die Lust zur Seefahrt in ihm wurde offenbar durch seinen Vater geweckt, indem er ihn berufsbedingt häufig in den Hafen und auf Schiffe mitnahm. Am liebsten wäre er Schiffsarzt bei der Marine geworden, was durch den verlorenen Krieg vereitelt wurde.
Am 21.03.1944 begann er seine seemännische Laufbahn als Decksjunge auf der KEHRWIEDER, und er war ab dem 29.03.1944 auf dem Schulschiff DEUTSCHLAND. Ab 13.06.1945 fuhr er als Leichtmatrose auf der AAR, ab 15.02.1946 als Matrose auf der LUISE LEONHARDT, anschließend auf A. H. BOTH, TEUTOBURGER WALD, HEROS, RHEIN, WERNER und HAPARANDA. Dann folgte 1949/50 der Besuch der Seefahrtschule.
Ab 19.08.1950 fuhr Wolfgang Schmidt als 3. Offizier auf der FRIEDEN, der GLÜCKSBURG und vom 9.07.1951 bis 30.09.1951, sowie vom 1.10.1951 bis zum 3.10.1952 auf der ADOLF LEONHARD.
Der 1992 verstorbene, 1951 25jährige 2. Nautische Offizier der ADOLF LEONHARDT, Wolfgang Schmidt, berichtet über eine weihnachtliche Sturmhavarie der ADOLF LEONHARDT 1951:
Die Dünung nimmt zu, von Stunde zu Stunde. Der winterliche Atlantik will sich zum Weihnachtsfest 1951 von seiner unheimlichsten Seite zeigen. Auf der Kommandobrücke des 7.000 BRT großen Hamburger Motorfrachters ADOLF LEONHARDT ist es mit dem gewohnten Hin- und Hergehen schon längst vorbei.
Nicht einmal der breitbeinigste Seemannsschritt reicht aus, um notdürftig Gleichgewicht zu halten: so stampft und rollt, schlingert und giert das große Schiff, trotz der 12.000 Tonnen amerikanischer Feinkohle in den abgründigen Laderäumen, die es tief in die See drücken. Der 1. Offizier Maruhn hat die Brückenwache in dieser auffällig frühen Abenddämmerung. Aber auch Kapitän Wiese ist in das Ruderhaus gekommen, obwohl gerade der Weihnachtsabend anbricht und in den Messeräumen der Offiziere und Mannschaften mit Aufbietung aller nur denkbaren Befestigungsmittel versucht wird, richtiges Weihnachten herbeizuzaubern, denn Deutschland, die Heimat, ist noch weit – noch Tausende von Seemeilen. Die ADOLF LEONHARDT zieht mitten auf dem Atlantik ihre Schaumbahn, zwischen Norfolk an der nordamerikanischen Ostküste und dem Golf von Biscaya vor dem englischen Kanal.
Wieder setzt Kapitän Wiese das Glas vor die Augen, tastet den Horizont ab. „Das Wetter gefällt mir gar nicht, Maruhn. Die Sonne kann doch nach der Uhrzeit noch nicht untergegangen sein, aber es wird blauschwarz, von allen Himmelsrichtungen her. Haben Sie in den Jahren, seit Sie auf der Brücke stehen, schon mal so etwas gesehen?“ Maruhn schüttelt nur den Kopf. „Wenn der Pott nur auf Kurs zu halten wäre! Da hat man auf dem Schiff nun das Modernste, was es an Steueranlagen gibt, schon das geringste Antippen an das Ruderrad genügt, und die elektrische Rudermaschine springt wie der Blitz an, aber bei dieser unglaublichen Sturmsee rumpelt der Kahn so hin und her, dass alles Ruderlegen immer zu spät kommt. Ich habe es selbst ein paar mal versucht, aber ich kann’s auch nicht besser, als unser Rudermann. Die See kommt schräg achterlich – das Ruder hat die Brecher aus erster Hand – es muss heute gewaltige Stöße aushalten.“
Kapitän Wiese klopft an das Wetterglas. „Schlecht, sogar höchst bedenklich, wie das Barometer immer noch weiter fällt. Ausgerechnet am Weihnachtsabend! Gut dass unsere Muttis das nicht ahnen, was Maruhn? Sie lachen beide, und der Quartermeister, der Mann am Ruder, grinst mir. Seine Braut da oben im Holsteinischen, die stellt jetzt wohl gerade vorm Anzünden des Weihnachtsbaumes den Rundfunk an und hört von der Sturmwarnung für alle westeuropäischen Küsten: „Sturmtief aus dem Atlantik zieht in Richtung auf die Biscaya“. Never mind, was ein richtiger Seemann ist – das bisschen Sturm auf so einem sicheren, fast neuem Schiff, das erst seine vierte Reise macht, erst im September, vor vier Monaten, pieksauber von der Werft abgeliefert wurde!
Hauptsache, dass es einen ordentlich steifen Grog gibt nachher bei der Ablösung! Verdammt, es ist ja doch eine fürchterliche Quälerei für die Eingeweide, tagelang dieses unvorstellbare Aufbäumen des ganzen Schiffes und das tiefe Zurückschlagen in die Wellentäler, dass es selbst oben auf der Brücke aussieht, als sollte man in den Wasserbergen begraben werden!
Nach einem Rundblick steigt Kapitän Wiese wieder den anheimelnd eingerichteten Niedergang hinunter, der die Kapitäns- und Offiziersräume, die Lotsenkammer und das Badezimmer mit den Speiseräumen verbindet, und noch und noch ein Deck tiefer zu den Wohnkammern und Messen der Ingenieure, Aspiranten und Elektriker führt und weiter zur Kombüse, die aber eine richtige Großküche ist, gleich hinter dem Maschinenraumschacht. Sonst geht der Kapitän ja fast nie in die Küche, aber den Weihnachtsbraten muss er doch noch inspizieren. Heute duftet es anders, als wenn es Erbsensuppe, Labskaus oder Curryreis gibt. Beier, der erste Koch, ist voll wehmütiger Klagen. Breitbeinig pendelt er am Herd, sich mit beiden Händen festkrampfend. „Die schöne Suppe, die ich heute kochen wollte – unmöglich! Die Pötte kann ich festklemmen, die Suppe aber nicht. Auch der Braten wird wohl ziemlich trocken ausfallen. Die Sauce ist schon außenbords gelaufen.“ Er zeigt auf die glitschigen Bodenfliesen, wo manches hin- und hergluckst, was eigentlich nicht frei herumlaufen sollte. „Dann müssen wir die Kehlen eben auf andere Weise anfeuchten“, lacht der hünenhafte Kapitän. „Heißes Wasser genug? Der Steward soll bald die Rumbuddeln öffnen!“
Allmählich, trotz wild tobender See, trotz tiefschwarzer Sturmnacht zieht doch etwas weihnachtliche Stimmung in die Gemüter der Besatzung. Die Männer, die an Deck und in der Maschine ihren Dienst tun müssen, sind in ihren Gedanken schon ein paar Stunden voraus, und die Freiwachen lassen es sich munden, trotz allem.
Kapitän Wiese ist zufrieden mit der Stimmung an Bord und mit dem Schiff. Draußen tost es, in Masten, Wanten, Tauwerk und Antennen heult immer wieder der Orkan in höchsten Pfeiftönen auf. Das Schiff hebt sich und fällt schwer von Welle zu Welle in Abgründe, die fast so lang sind wie der ganze Schiffsrumpf, aber es ist einwandfrei seetüchtig, außen und innen. Unbeirrt hält es seinen Generalkurs in Richtung Heimat bei, in gleichbleibendem Rhythmus stampft es durch eine entfesselte Weihnachtsnacht.
Am zweiten Weihnachtstag ist es schlimmer geworden statt besser. Niemand hatte sich vorstellen können, dass die See noch höher, noch gröber werden könnte! Und die Wetternachrichten, die vom Funkoffizier Heinen in der Funkbude unentwegt abgehört werden, versprechen nicht die geringste Aussicht auf ein Abflauen dieses Orkans.
Bald muss es Mittag sein. Die Kapitänswache, die durch den 3. Offizier Andersen wahrgenommen wird, geht auf das Ende zu, denn sechs Glasen, das ist 11 Uhr, ist schon angeschlagen. Noch eine Stunde! Kapitän Wiese kommt aus dem Kartenzimmer, wo er noch einmal den genauen Schiffskurs zu ermitteln versucht hat. Seit Tagen war keine Möglichkeit, die Sonne oder einige Sterne zu „schießen“, das heißt, mit dem Sextanten „ein Besteck zu nehmen“, die astronomische Ortsbestimmung des Nautikers.
„Etwas hellt es im Süden auf, versuchen Sie es mal heute Mittag, Andersen. Bei dem Gieren haben wir sicher allerhand Versetzung vom alten Kurs.“ „Allright“, sagt Andersen und schaut wieder, wie so oft in diesen Tagen, von der freien Brückennock nach achtern, um zu erkennen, ob sich am Schaumstreifen ein wenig der Schiffsweg nachprüfen lässt. Nichts – jede neue Welle spült das Schraubenwasser sofort mit hinweg. Aber plötzlich – da – „Kapitän“, ruft der junge Andersen laut, kaum findet er im Sturm den Weg zurück ins Ruderhaus – um es geschwind zu sagen – „Kapitän“, da, der riesige Wellenberg – sehen Sie schnell“ und zeigt nach achtern. Eine ungeheure Woge läuft das Schiff schräg von der Seite an, so wuchtig die anderen überragend, als wolle sie alles, aber auch alles unter sich begraben. Kapitän