Seefahrerportraits und Erlebnisberichte von See. Jürgen Ruszkowski

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Seefahrerportraits und Erlebnisberichte von See - Jürgen Ruszkowski

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jüngere Jugend, verlebte ich zunächst in Küstrin, dann ab meinem dritten Lebensjahr bis zu meiner Einschulung bei Tante und Onkel in Köslin in Pommern. Mit Schulbeginn in der Volksschule in Küstrin kehrte ich zu meinen Eltern zurück. Dafür erhielt ich das Versprechen, in jedem Jahr meine Sommerferien in Köslin verbringen zu dürfen. Das erste Schuljahr habe ich nicht unbedingt ernst genommen. Wir mussten jeden Tag Schiefertafel, Schwamm und Griffel mit zur Schule schleppen und lernten noch zwei Jahre lang die altdeutsche Sütterlinschrift: Auf , ab, auf, Pünktchen drauf, fertig ist das i. Als wir später auf Schreibhefte und Tintenfederhalter umstiegen, gab es schon manche Ohrfeige wegen der Kleckse. Unser Lehrer Zimmermann hat uns getreulich die vier Grundschuljahre hindurchgeleitet: streng, aber gerecht. Anschließend besuchte ich die Mittelschule. Im November 1941 zogen meine Eltern mit mir nach Gnesen um. Ich kam in Gnesen wieder auf die Mittelschule, später aufs Gymnasium. Meine Lieblingsfächer waren Deutsch, Geschichte, Erdkunde, Physik und Chemie.

      Da sich die Ostfront allmählich auf Richtung Heimat zu bewegte, häuften sich die Verwundeten in den Lazaretten und unsere Schulen wurden geräumt, um als Hilfslazarette zu dienen. Unsere Klasse wurde geteilt und der Unterricht in Gaststätten, Gemeinderäumen und Bahnhofswartesälen abgehalten. Unsere Lehrer, meist alte Damen und Herren aus der Kaiserzeit, mussten in den Pausen quer durch die Stadt rasen. War nachts Fliegeralarm, brauchten wir am nächsten Morgen erst zwei Stunden später zum Unterricht kommen.

      Zum Herbst 1944 gab es dann keine Siegesmeldungen im Radio mehr, nur noch Nachrichten über strategische Absetzbewegungen. Bis zum 19. Januar hatten wir noch geregelten Schulunterricht, obwohl schon einige Mitschüler aus den Dörfern fehlten. Dann hieß es plötzlich: „Gnesen muss geräumt werden.“ So packten wir einige Taschen und gingen zum Bahnhof. Ich hatte meinen Tornister mit Karabinermunition gefüllt und darum vorschriftsmäßig eine Decke gerollt. Meine Tante Trudchen hat dann die Munition ausgeschüttet und dafür Wäsche eingepackt. Ich zog die langen Stiefel meines Vaters an und den Pelzmantel von Onkel Fritz. Auf dem Bahnhof stand ein Zug mit offenen Güterwagen, der schon fast besetzt war. Die Neuankömmlinge haben dann einfach Gepäckstücke rausgeworfen nach dem Motto: Erst kommen die Menschen mit! Ich fand einen Platz in einem leeren Bremserhäuschen, wo ich und jugendlicher Heldenmanier glaubte, den Zug gegen Partisanen und Tiefflieger verteidigen zu müssen. Als der Zug sich in Bewegung setzte, waren die Russen schon vor Posen und wir fuhren einen Umweg nach Süden über Schlesien, von Glogau an dann wieder nordwärts in Richtung Berlin. Die Reise dauerte bei 20 ° Kälte mit Unterbrechungen zwei Tage und zwei Nächte. Kurz vor Berlin türmten der polnische Heizer und Lockführer, obwohl der Bewacher noch hinterhergeschossen hatte. Unser Zug wurde dann von einer Werkslokomotive der Schwarzkopfwerke auf ein Werkgleis in Wildau gezogen und wir in Holzbaracken untergebracht. Nachts haben wir meistens im Keller oder im kurz zuvor erbauten Luftschutzstollen geschlafen, da in und um Berlin herum viele Bomben abgeworfen wurden. Am 2. April hörten wir dann das Donnern der nähekommenden Kanonen und Panzer und gingen in den Stollen, 40 Meter tief unter der Erde.

      So nahte auch jener Wonnemonat Mai, in welchem wir von den siegreich vordringenden Truppen der heldenhaften Roten Armee befreit wurden. Bald darauf kam ein Trupp deutscher Soldaten durch den Stollen, und meine Tante sagte zu ihnen: „Macht, dass ihr wegkommt, die Russen sind schon da.“ Aber ein Soldat erwiderte: „Wir sind SS und keine Wehrmacht, wir kennen keine Angst.“ Kurz darauf kamen dann die Russen und trieben uns nach draußen. Da wurden alle Männer aussortiert. Mich wollten sie auch mitnehmen, aber meine Mutter schimpfte auf Polnisch mit ihnen, dass ich noch ein Kind sei, da ließen sie mich bei ihr. Meine Tante Irma und meine Mutter beschlossen, nach Frankfurt/Oder zu ziehen, wo sie hofften, bei Verwandten unterzukommen. Wir fuhren die 80 km in zwei Tagen und eine Nacht auf einem Güterzug, der mit demontierten Maschinen in Richtung Sowjetunion rollte und wurden unterwegs ständig von plündernden Polen und Russen belästigt, die meine Mutter mit polnischen Schimpfwörtern verscheuchte. Im Juli 1945 kamen wir in Müllrose an, einer märkischen Kleinstadt südlich von Frankfurt von etwa 2.000 Einwohnern. Bei einer Schwester meines Vaters, die zwei kleine Kinder hatte, fanden wir eine Unterkunft. So wohnten wir mit acht Personen in zwei Zimmern und Küche. Es gab kein Vieh und keine Lebensmittel für die allmählich zurückflutende Bevölkerung. Glücklicherweise wuchs in den Gärten schon etwas Gemüse und aus den umliegenden Wäldern sammelten wir Blaubeeren und Pilze, die meine Tante Anni dann bei den Bauern gegen Getreide eintauschte. Das Korn haben wir in der Kaffeemühle zu Schrot für eine Suppe gemahlen. Die Stadt lag an der Reichsstraße von Frankfurt/Oder nach Beeskow und wimmelte von durchziehenden Menschen. Meistens waren es entlassene deutsche Kriegsgefangene, die zu Fuß nach Hause wollten, aber auch Flüchtlinge, die glaubten, wieder in ihre Heimat jenseits der Oder zurückkehren zu können. Ich war damit auch von den Sorgen des weiteren Oberschulbesuchs befreit, zumal wir kein Geld mehr hatten. So erlernte ich dann traditionsgemäß das Tischlerhandwerk, weil mein Großvater und Vater es auch getan haben. Nach der Gesellenprüfung in Müllrose in der Mark Brandenburg setzte ich mich zusammen mit einem Freund strategisch gegen Westen ab. Da sich für mich keine Möglichkeit ergab, eine Stelle in meinem Beruf als Tischler zu finden, verdingte ich mich zusammen mit meinem Freund bei einem Bauern im Dorf Oberdrees im Rheinland.

      Inzwischen hatten wir uns aus alten Teilen ein Fahrrad zusammengebaut und beschlossen, an den Rhein zu fahren. Wir landeten in Remagen, wo mehrere Rheinschiffe am Ufer lagen und auf Schleppdampfer warteten. Ich fragte einen Schiffer, ob er nicht einen Matrosen gebrauchen könne. Er sagte ja, aber dann müsse ich spätestens in zwei Tagen anfangen, weil dann der Dampfer käme. Auch für Freund Edgar war auf dem Nachbarschiff eine Stelle frei geworden, und wir fuhren glücklich nach Oberdrees zurück. Als ich kündigte, gab es mit Jupp Kleefuß, meinem Chef, eine handgreifliche Auseinandersetzung, die seine Mutter aber dann schlichtete. Ich nahm Abschied von meiner Kammer mit den russischen und polnischen Beschriftungen an der Holzwand und schrieb an einer freien Stelle das Goethe-Zitat hinzu: „Wer mit dem Leben spielt, kommt nie zurecht, wer sich nicht selbst befiehlt, bleibt immer Knecht.“ Dann fuhren wir mit dem Bus nach Remagen, weil Jupp mir das Rad weggenommen hatte.

       Meine Zeit als Rheinschiffer

      Mein Schiff hieß „Helene“, war etwa 70 Jahre alt und konnte 1.200 Tonnen laden. Da es mehrere Helenen gab, musste der Heimathafen Altrip, ein kleines Dorf am Oberrhein, hinzugefügt werden. Es gehörte einem Reeder in Gernsheim, der es von seiner Mutter Helene geerbt hatte. Diese Schiffseigner nannte man im Gegensatz zu den großen Reedereien mit mehreren Schiffen Partikuliere. Im hinteren Teil des Schleppkahns wohnte Schiffmann Otto Müßig aus Hasmersheim am Neckar mit seiner Frau, und vorne wohnte ich zusammen mit dem Matrosen Wilhelm Trunk aus Bad Dürkheim, wo auch seine Familie lebte. Die Arbeit war sehr vielseitig, und ich habe viel Neues hinzugelernt. Wir kochten beide immer wöchentlich abwechselnd. Ich wurde wegen der Größe des Schiffes zwar als Matrose geführt, bekam aber nur den Lohn eines Schiffsjungen. Die erste Zeit gab es noch Lebensmittelmarken, aber bald konnte man alles frei kaufen – wenn man Geld genug hatte. Ich war ein Jahr auf der „HELENE“ und bin siebenmal den Rhein rauf und runter gefahren und interessierte mich für alle Städte und Burgen, die ich vom Schiff aus sah. Wir haben in Duisburg oder manchmal auch in einem Kanalhafen Kohle geladen. Öfter mussten wir wegen der niedrigen Brücken das Steuerhaus abbauen. Es waren schlechte Zeiten für die Schiffer, und wir haben oft drei Wochen auf Ladung gewartet. Dann wurden wir von einem kleinen Hafendampfer auf den Rhein geschleppt und haben dort Anker geworfen, bis genügend Schiffe für einen Schleppzug beisammen waren. Es kam dann der Raddampfer vorbei und gab jedem Schiff ein Schleppseil, das an den vorderen Pollern festgemacht wurde. Wenn der Dampfer dreimal tutete, ging die Fahrt los, und wir mussten den Anker hochwinden. Nachts ruhte der Verkehr auf dem Rhein. Tagsüber musste ich entweder steuern, anstreichen oder zusammen mit dem Matrosen mit Hilfe eines Eimers an einer Leine und eines Schrubbers das Deck waschen. Ich lernte Backbord und Steuerbord zu unterscheiden, in Steuerbord ist ein r enthalten, also rechts in Fahrtrichtung mit grünem Licht. Außerdem war der Schlager populär: „Das rote Licht an Backbord ist die Liebe, das grüne Licht an Steuerbord das Glück“ So ging die Fahrt bis St. Goar, wo wegen der Hungersteine im Fahrwasser ein Lotse an Bord kommen musste. Er fuhr bis Kaub mit, wo durch das Binger Loch ein

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