Winnetou Band 1. Karl May
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Dick. Wenn die Andern auch etwas haben wollen, so mögen sie hierher reiten und sich die Kuh holen.«
»Wenn sie nicht inzwischen von Aasvögeln und andern wilden Tieren weggefressen wird.«
»So? Wie klug Ihr da wieder seid! Es versteht sich ganz von selbst, daß wir sie mit Zweigen bedecken
und dann Steine darauf legen. Es müßte schon ein Bär oder ein anderes großes Raubtier sein, das nachher
dazu könnte.«
Ich schnitt also starke Zweige aus dem nahen Gebüsch und holte schwere Steine herbei. Wir bedeckten
die Kuh damit und beluden dann mein Pferd. Dabei erkundigte ich mich:
»Was wird denn mit dem Bullen?«
»Mit dem? Was soll aus ihm werden?«
»Können wir denn nichts von ihm brauchen?«
»Gar nichts.«
»Auch nicht das Leder?«
»Seid Ihr ein Lohgerber? Ich bin keiner!«
»Ich habe aber doch gelesen, daß die Häute der erlegten Büffel in sogenannten Caches versteckt und
aufgehoben werden!«
»So, das habt Ihr gelesen? Na, wenn Ihr es gelesen habt, so muß es ja wahr sein, denn alles, was man über
den wilden Westen liest, ist wahr, ganz außerordentlich wahr, ganz unumstößlich wahr, hihihihi! Es gibt
allerdings Westmänner, welche die Tiere um der Felle willen erlegen; ich habe es auch schon getan; aber
jetzt gehören wir nicht dazu und werden uns hüten, uns mit dieser schweren Haut zu schleppen.«
Wir brachen auf und kamen, obgleich wir laufen mußten, schon nach einer halben Stunde im Lager an,
denn weiter war dieses nicht von dem Tale entfernt, in welchem ich meinen ersten oder vielmehr meine
zwei ersten Büffel erlegt hatte.
Daß wir zu Fuße kamen und Sams Pferd nicht mitbrachten, erregte Aufsehen. Wir wurden nach der
Ursache gefragt.
»Haben Büffel gejagt, und mein Pferd ist dabei von einem Bullen aufgeschlitzt worden,« antwortete Sam
Hawkens.
»Büffel gejagt, Büffel, Büffel, Büffel!« erklang es aus aller Mund. »Wo denn, wo?«
»Eine kleine halbe Stunde von hier. Haben uns die Lende mitgebracht; könnt euch das übrige holen.«
»Das werden wir; ja, das werden wir,« rief Rattler, welcher so tat, als ob zwischen ihm und mir nichts
vorgefallen sei. »Wo ist der Ort?«
»Reitet auf unserer Fährte zurück, so werdet ihr ihn finden; habt ja Augen genug, wenn ich mich nicht
irre.«
»Wieviel Stück sind es denn gewesen?«
»Zwanzig.«
»Und wieviel habt ihr denn erlegt?«
»Eine Kuh.«
»Bloß? Wo sind die andern hin?«
»Fort. Könnt sie euch suchen. Habe mich nicht darum gekümmert, wohin sie spazieren wollten, und sie
auch nicht danach gefragt, hihihihi!«
»Aber bloß eine Kuh! Zwei Jäger und von zwanzig Büffels nur einen zu schießen!« meinte Einer in
geringschätzigem Tone.
»Macht es besser, wenn Ihr könnt, Sir! Ihr hättet sie wahrscheinlich alle zwanzig erlegt und auch noch
einige mehr. Ihr werdet übrigens, wenn Ihr hinkommt, noch zwei alte, zwanzigjährige Bullen sehen, auf
welche hier dieser junge Gentleman geschossen hat.«
»Bullen, alte Bullen!« rief es rundum. »Auf zwanzigjährige Bullen zu schießen, welch ein Greenhorn
gehört dazu, eine solche Dummheit zu begehen!«
»Lacht ihn meinetwegen aus, Mesch'schurs; aber seht euch die Bullen nachher an! Ich sage euch, daß er
mir dadurch das Leben gerettet hat.«
»Das Leben? Wieso?«
Sie waren begierig, das Abenteuer erzählt zu bekommen; er aber wies sie zurück:
»Habe keine Lust, darüber jetzt zu reden. Laßt es euch von ihm selbst erzählen, wenn ihr es für klug
haltet, euch das Fleisch erst dann zu holen, wenn es dunkel geworden ist.«
Er hatte recht. Die Sonne hatte sich geneigt, und in kurzer Zeit mußte es Abend werden. Da sie sich
übrigens sagen konnten, daß ich erst recht keine Lust haben würde, den Erzähler zu machen, so stiegen
sie auf ihre Pferde und ritten alle fort. Ich sage, alle, denn keiner wollte zurückbleiben. Sie trauten
einander nicht. Bei anständigen Jägern und da, wo ein freundschaftliches Verhältnis vorliegt, gehört jedes
Wild, welches von einem Mitgliede erlegt wird, den Andern auch; dieser Gemeinsinn war aber bei diesen
Leuten nicht vorhanden. Als sie zurückkamen, hörte ich dann auch, daß sie sich wie Wilde auf die Kuh
geworfen hatten, und jeder war unter Zanken und Fluchen bemüht gewesen, sich mit dem Messer ein
möglichst großes und gutes Fleischstück herunterzureißen.
Als sie fort waren, luden wir die Lende und den Sattel von meinem Pferde und ich führte dieses zur Seite,
um es abzuzäumen und dann anzupflocken. Ich nahm mir dabei Zeit, wodurch Sam Gelegenheit fand,
unser Abenteuer Parker und Stone zu erzählen. Sie standen so, daß das Zelt zwischen ihnen und mir lag
und sie mich also nicht sahen, als ich mich ihnen wieder näherte. Schon war ich beinahe an das Zelt
gekommen, da hörte ich Sam sagen:
»Könnt mir's glauben; es ist so, wie ich sage: Nimmt der Kerl grad den größten und stärksten Bullen an
und schießt ihn nieder wie ein alter, erfahrener Büffeljäger! Hab' freilich getan, als ob ich es für
Leichtsinn hielte, und habe ihn gehörig ausgescholten; aber ich weiß, woran ich mit ihm bin.«
»Ich auch,« stimmte Stone bei. »Es wird ein tüchtiger Westmann aus ihm werden.«