Winnetou Band 1. Karl May
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geboren. Und dabei die Körperkraft! Hat er nicht gestern unsern schweren Ochsenwagen fortgezogen,
ganz allein und ohne daß ihm dabei jemand geholfen hat? Wo der hinhaut, da wächst jahrelang kein Gras.
Aber, wollt ihr mir eins versprechen?«
»Was?« fragte Parker.
»Laßt's ihn nicht wissen, wie wir von ihm denken.«
»Warum nicht?«
»Weil es ihm in den Kopf steigen könnte.«
»O nein!«
»O doch! Er ist ein ganz bescheidener Kerl und gar nicht zum Hochmut angelegt; aber es ist stets ein
Fehler, wenn man einen Menschen lobt; man kann den besten Charakter damit verderben. Könnt ihn also
getrost Greenhorn nennen; er ist ja auch wirklich eins, denn wenn er auch alle Eigenschaften besitzt,
welche ein tüchtiger Westmann haben muß, so sind sie doch noch nicht ausgebildet, und er muß noch viel
erfahren und sich noch viel üben.«
»Hast du dich denn dafür bedankt, daß er dir das Leben gerettet hat?«
»Ist mir nicht eingefallen!«
»Nicht? Was muß er da von dir denken!«
»Ist mir ganz egal, was er von mir denkt, vollständig egal, wenn ich mich nicht irre. Natürlich hält er
mich für einen unverständigen und undankbaren Halunken; aber das ist Nebensache; die Hauptsache ist,
daß er sich nicht überhebt, sondern so bleibt, wie er ist. Hätte ihn freilich am liebsten umarmen und
küssen mögen.«
»Fi!« rief Stone aus. »Dich küssen! Das Umärmeln könnte man noch riskieren, aber küssen, nein!«
»So? Etwa nicht? Warum?« fragte Sam.
»Warum? Hast du denn noch nicht einen Spiegel in der Hand gehabt oder in einem klaren Wasser dein
holdes Konterfei gesehen? Dieses Gesicht, dieser Bart und diese Nase! Mensch, wer auf den unsinnigen
Gedanken kommen könnte, seine Lippen dahin zu plazieren, wo man die deinigen zu suchen hat, der hat
entweder den Sonnenstich oder der Verstand ist ihm eingefroren.«
»So! Ah! Hm! Das klingt ja recht freundschaftlich von dir. Bin also ein häßlicher Kerl! Wofür hältst du
denn dich? Etwa für einen schönen Menschen? Das laß dir ja nicht einfallen! Ich gebe dir mein Wort,
wenn wir beide uns an einer Schönheitskonkurrenz beteiligen wollten, so würde ich den ersten Preis
erhalten; du aber bekämst eine Niete, hihihihi! Aber das gehört nicht hierher. Wir sprachen von unserm
Greenhorn. Ich habe mich nicht bei ihm bedankt und werde es auch nicht tun; aber wenn nachher unsere
Lende gebraten ist, soll er das beste und saftigste Stück bekommen; ich schneide es ihm selbst herab; er
hat es verdient. Und wißt ihr, was ich morgen mache?«
»Was?« fragte Stone.
»Ihm eine große Freude.«
»Womit?«
»Er soll einen Mustang fangen dürfen.«
»Du willst auf Mustangs gehen?«
»Ja. Ich muß doch ein neues Pferd haben. Du borgst mir das deinige zur Jagd. Da sich heut die Büffel
gezeigt haben, werden auch die Mustangs kommen. Ich denke, daß ich nur nach der Prairie hinunter zu
reiten brauche, wo wir noch vorgestern die Bahn abgesteckt und vermessen haben. Dort muß es Mustangs
geben, sobald diese wilden Pferde hier in dieser Breite angekommen sind.«
Ich lauschte nicht weiter, sondern ging wieder zurück und durch ein Buschwerk, um mich den drei Jägern
von einer andern Seite zu nähern. Sie durften nicht erfahren, daß ich gehört hatte, was ich doch nicht
hören sollte.
Es wurde ein Feuer angebrannt, neben welchem zwei Gabeläste in die Erde gesteckt wurden. Sie gaben
die Unterlage für den Bratspieß, der aus einem starken, geraden Aste bestand. Die drei befestigten an ihm
die ganze Lende, und dann begann Sam Hawkens den Spieß langsam und mit künstlerischem
Verständnisse zu drehen. Das wonnevolle Gesicht, welches er dabei machte, machte mir heimlich Spaß.
Als die Andern mit dem Fleische zurückkehrten, folgten sie unserm Beispiele, indem sie sich auch einige
Feuer anbrannten. Freilich ging es da bei ihnen nicht so ruhig und friedlich her wie bei uns. Da jeder für
sich braten wollte, so mangelte es an Platz, und die Folge war, daß sie ihre Portionen halb roh verzehrten.
Ich bekam wirklich das beste Stück; es mochte drei Pfund wiegen, und ich aß es auf. Man halte mich ja
nicht infolgedessen für einen Vielesser; ich habe im Gegenteile immer weniger gegessen als Andere, die
sich in meinen Verhältnissen befanden; aber es ist für Einen, der es nicht weiß oder nicht selbst erlebt und
mitgemacht hat, kaum zu glauben, was für Fleischmengen ein Westmann zu sich nehmen kann und auch
zu sich nehmen muß, wenn er bestehen will.
Der Mensch braucht zu seiner Ernährung außer den anorganischen Stoffen eine gewisse Menge von
Eiweiß und von Kohlenstoff und vermag sich beides gar wohl in der richtigen Mischung zu verschaffen,
wenn er in einer zivilisierten Gegend lebt. Der Westmann, welcher viele Monate lang in keine bewohnte
Gegend kommt oder kam, lebte nur vom Fleische, welches wenig Kohlenstoff enthält; er mußte also
große Portionen essen, um seinem Körper die notwendige Menge Kohlenstoff zuzuführen. Daß er dabei
unnötig viel Eiweiß genoß, welches seiner Ernährung nicht zugute kam, mußte ihm gleichgültig sein. Ich
habe einen alten Trapper acht Pfund Fleisch auf einmal essen sehen, und als ich ihn dann fragte, ob er satt
sei, antwortete er schmunzelnd:
»Muß es wohl sein, denn ich habe nicht mehr; wenn Ihr mir aber ein Stück von dem Euren geben wollt,