Winnetou Band 1. Karl May

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Winnetou Band 1 - Karl May Winnetou

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herum. Dabei kamen wir und auch er der Stelle näher, an welcher ich die beiden Büffels erlegt hatte. Zu

       meinem Erstaunen bemerkte ich da, daß der alte Bulle nicht mehr da war. Wir gingen hin und sahen, daß

       von dem Punkte, wo er gelegen hatte, eine breite Spur nach den Büschen führte; das Gras war gegen zwei

       Ellen breit niedergeschleift.

       »Alle Wetter! Ist so etwas möglich?« rief Rattler aus. »Ich habe, als wir das Fleisch holten, die beiden

       Bullen doch genau untersucht; sie waren tot, und doch hat dieser hier noch Leben in sich gehabt.«

       »Meint Ihr das?« fragte ich ihn.

       »Jawohl. Oder denkt Ihr, daß ein toter Büffel sich entfernen kann?«

       »Muß er sich selbst entfernt haben? Er kann doch auch entfernt worden sein.«

       »So? Von wem denn?«

       »Von Indianern zum Beispiel. Wir haben weiter oben die Spur eines Indianerfußes entdeckt.«

       »So! Wie klug und weise doch so ein Greenhorn reden kann! Wenn er von Indianern fortgeschafft

       worden wäre, woher sollen diese gekommen sein?«

       »Irgend woher.«

       »Das ist sehr richtig. Vielleicht sogar vom Himmel herunter! Denn von da herunter müssen sie gefallen

       sein, weil man sonst ihre Fährte sehen müßte. Nein, es ist noch Leben in dem Büffel gewesen, und er hat

       sich, als er erwachte, von hier fort und in die Büsche geschleppt; dort ist er natürlich inzwischen verendet.

       Wollen gleich einmal nachsuchen.«

       Er ging mit seinen Leuten der Spur nach. Vielleicht hatte er geglaubt, ich würde mitgehen; ich tat dies

       aber nicht, denn die höhnische Art und Weise, in der er mit mir gesprochen hatte, gefiel mir nicht, und ich

       hatte zu arbeiten; übrigens konnte es mir auch sehr gleichgültig sein, wohin die Leiche des alten Bullen

       gekommen war. Ich wendete mich also meiner Beschäftigung wieder zu, hatte aber noch nicht zur

       Meßstange gegriffen, als aus dem Gebüsch ein vielstimmiges Angstgeschrei erscholl; zwei, drei Schüsse

       krachten, und dann hörte ich Rattler rufen:

       »Auf die Bäume, schnell auf die Bäume, sonst seid ihr verloren! Er kann nicht klettern.«

       Wen meinte er, der nicht klettern konnte? Da kam einer seiner Leute aus dem Gebüsch gesprungen, und

       zwar in Sätzen, wie man sie nur in der Todesangst zu machen vermag.

       »Was ist's, was gibt's?« rief ich ihm zu.

       »Ein Bär, ein gewaltiger Bär, ein grauer Grizzlybär!« keuchte er, indem er an mir vorüberrannte.

       Zu gleicher Zeit schrie eine zeternde Stimme:

       »Zu Hilfe, zu Hilfe! Er hat mich fest! Oh, oh!«

       In dieser Weise konnte ein Mensch nur dann brüllen, wenn er den offenen Rachen des Todes vor sich

       gähnen sah. Der Mann befand sich jedenfalls in der äußersten Gefahr; es mußte ihm Hilfe werden. Aber

       wie? Ich hatte mein Gewehr beim Zelte gelassen, weil es mich bei der Arbeit hinderte. Dies war keine

       Unvorsichtigkeit von mir gewesen, da wir Surveyors ja die Westmänner zu unserem Schutze bei uns

       hatten. Wollte ich erst nach dem Zelte laufen, so wurde der Mann, ehe ich zurückkam, von dem Bären

       zerrissen; ich mußte also hin zu ihm, so wie ich war; ich hatte nur das Messer und die beiden Revolver im

       Gürtel. Was sind aber das für Waffen gegen einen Grizzlybären! Der Grizzly ist ein naher Verwandter des

       ausgestorbenen Höhlenbären und gehört eigentlich mehr der Urzeit als der Gegenwart an. Er wird bis

       neun Fuß lang, und ich habe Exemplare erlegt, welche ebenso viel Zentner schwer waren. Seine

       Muskelkraft ist so riesig, daß er, einen Hirsch, ein Fohlen oder eine Bisonfärse im Rachen, mit

       Leichtigkeit davontrabt. Ein Reiter kann ihm nur dann entfliehen, wenn er ein sehr kräftiges und

       ausdauerndes Pferd besitzt, sonst holt ihn der graue Bär sicher ein. Bei der riesigen Stärke, der absoluten

       Furchtlosigkeit und nie ermüdenden Ausdauer des Grizzlybären gilt seine Erlegung unter den Indianern

       natürlich für eine ungeheuer kühne Tat.

       Also ich sprang ins Gebüsch. Die Spur führte noch weiter, bis dahin, wo die Bäume begannen. Dorthin

       hatte der Bär den Bullen geschleppt. Von dorther war er vorher gekommen; darum hatten wir seine Spur

       nicht sehen können, da sie durch das Fortschleifen des Bisons ausgelöscht worden war.

       Es war ein böser Augenblick. Hinter mir riefen die Surveyors, welche nach dem Zelte zu ihren Waffen

       flohen; vor mir schrien die Westleute, und dazwischen ertönte das unbeschreibliche Schmerzgeheul

       desjenigen von ihnen, den der Bär in seinen Tatzen hatte.

       Ich kam mit jedem Sprunge, den ich tat, näher; jetzt hörte ich die Stimme des Bären, oder vielmehr nicht

       die Stimme, denn auch dadurch, daß es keine Stimme hat, unterscheidet sich dieses gewaltige Tier von

       den andern Bärenarten; es brummt nicht, sondern sein einziger Laut in Zorn oder Schmerz ist ein

       eigentümliches, lautes und rasches Schnauben und Fauchen.

       Nun war ich da. Vor mir lag der vollständig zerfleischte Leib des Bisons; rechts und links schrien mir die

       Westmänner zu, welche sich rasch auf die Bäume retiriert hatten und sich dort ziemlich sicher fühlten,

       denn man hat wohl selten oder gar nie einen Grizzly aufbäumen sehen. Gradaus, jenseits der Büffelleiche,

       hatte einer der Westmänner einen Baum erklimmen wollen, war aber von dem Bären dabei überrascht

       worden. Er lag mit dem Oberleib, sich mit beiden Armen am Stamme festhaltend, auf dem ersten,

       niedrigen Aste, und der Grizzly, welcher sich hoch aufgerichtet hatte, wühlte ihm mit den Vorderpranken

       in den Schenkeln und dem Unterleibe. Der Mann war dem Tode geweiht, unrettbar verloren; ich konnte

       ihm nicht helfen, und niemand hätte, wenn ich wieder fortgelaufen wäre, das Recht gehabt, mir darüber

       einen Vorwurf zu machen; aber der Anblick, welcher sich mir bot, wirkte mit unwiderstehlicher Gewalt.

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