Kuerzlich in Asien. Stephan Rankl
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Aksai-Chin-Plateau an der Grenze zu Indien
Orientalisches Märchen
Endlich liegen wir in Tashkurgan im Bett. Traffic Hotel, das einzige mit englischem Schild vor der Tür und Personal, welches Englisch auch spricht. Ab nun dürfen wir uns als Analphabeten fühlen. Chinesisch ist an sich schon schwierig genug, aber all die fremdartigen Schriftzeichen! Für jedes Wort ein eigenes. Da ist man als Urlauber chancenlos. Die wichtigsten überhaupt hatten wir uns jedoch vorsorglich schon daheim ausgeguckt, nämlich die für die Toilette!
Als wir Stunden zuvor die chinesische Grenze überschritten, waren wir erst mal geschockt. Die Chinesen hatten quasi den ganzen Karakorum Highway pulverisiert und machten sich nun an die Arbeit, die Straße wiederherzustellen. Neuer und größer versteht sich. Für den Moment glich das alles einem steinigen Feldweg. Erlaubten die Chinesen Fahrradfahrern im Moment allein zu deren Selbstschutz das Radeln nicht? Soviel Güte traue ich den chinesischen Beamten dann doch nicht zu. Wie auch immer, wir konnten das Ganze zunächst relativ entspannt aus dem Bus begutachten. Relativ, weil bei so einer Fahrt über eine Holperpiste wird man auch im Bus noch mächtig durchgeschüttelt. An der Grenze war ein chinesischer Soldat zugestiegen, der darüber wachte, dass ja kein Insasse bis zur offiziellen Grenzstation in Tashkurgan abtrünnig wurde.
Die Berge neben der Straße gehören bereits zum Pamir. Yurten verteilten sich über die Wiesen. Hier leben Tajiken, ein Nomadenvolk. China ist ein Vielvölkerstaat und wir sollten während dieser Reise noch viele Minderheiten kennenlernen. Hier im äußersten Westen des riesigen Reiches ist Peking weit, dennoch erstaunlich, wie die Chinesen es schaffen, so viele unterschiedliche Kulturen unter ihrer Knute zu halten. Die Vorzüge des Systems können es bestimmt nicht sein. Zu auffällig die Militärpräsenz. Die sozialistische Erleuchtung will sich einfach nicht von selbst einstellen. Also her mit den Daumenschrauben ...
Den Erstkontakt mit chinesischen Beamten galt es bei der Einreise zu überstehen. Insgesamt fünf Stationen mussten bestanden werden. Die Beamten zeigten sich freundlich aber sehr bestimmt. Der Befehlston überwog. Rucksäcke wurden inspiziert und immer wieder der Pass. Dreimal musste ich probehalber auf einem Papier unterschreiben, bevor der Vergleich mit dem Pass als überzeugend befunden wurde. Aber letztendlich überstanden wir diese erste große Hürde unserer Reise. Wir sind in China, real und legal durch die Hintertür. Und jetzt da wir schon mal hier sind, kann man mal über das reden, was wir da eigentlich so vorhaben. Nämlich nach Lhasa, von Kashgar aus quer durch Westtibet radeln. Auf dem Weg liegt unter anderem ein zwischen Indern und Chinesen umstrittenes Gebiet. Tibet ist für Individualtouristen offiziell immer noch tabu. Ausländische Besucher haben in betreuten Gruppen zu erscheinen und möglichst über Lhasa einzufliegen. Durch Westtibet und mit dem Fahrrad kann also nicht gerade als rechtmäßig bezeichnet werden, um es vorsichtig auszudrücken. Im Internet kursieren dementsprechend viele wilde Geschichten über Checkpoints, Polizisten und zurückgeschickte Fahrradfahrer. Bis vor einiger Zeit mussten Checkpoints abenteuerlich nachts umgangen werden, um überhaupt eine Chance zu haben und es konnte einem immer noch passieren, ganz banal von der Ausländer-Polizei, dem PSB, von der Straße aufgesammelt zu werden. Also nichts an die große Glocke hängen und immer schön vorsichtig!
Im Traffic-Hotel treffen wir schließlich die gesamte Busbesatzung wieder. Die englischen Schilder am Eingang sind zu verlockend, so kann man Touristenmassen auch steuern. Das Hotel ist ein Einheitsbau mit Einheitsmöbeln, wie wir es noch oft erleben sollten. Zwei getrennte Betten, ein Schreibpult. Nur die Hygiene läst doch arg zu wünschen übrig. Am Flur stinkt es nach Klo, Mäuse huschen umher und im Bad wachsen Schwammerl.
Tashkurgan selber ist eine ziemlich typische chinesische Trabantenstadt im besetzten Gebiet. Irgendwo in Peking scheint es dafür einen Masterplan zu geben. Rechtwinklige Straßen, weiß gekachelte Betonklötze mit blauen Fenstern. Im Erdgeschoss sind in garagenartigen Löchern in der Wand jede Menge kleine Geschäfte, Garküchen und Werkstätten untergebracht. Tashkurgan ist hier die größte Stadt weit und breit, im Umkreis von 200 Kilometern nur Wildnis, ab und zu verstreute Siedlungen und Nomaden. Dementsprechend wichtig ist die Stadt seit jeher als Handelszentrum. Von alten Zeiten zeugt ein Steinfort am Rande der Stadt. An die 600 Jahre alt, aber deutlich dem Verfall preisgegeben, ragen Mauerreste wie Zähne über weites grünes Prärieland. Einmalig faszinierend sind die vielen Nomadenzelte, welche kleinen Zirkuskuppeln gleichen.
Für uns gilt es zum ersten Mal, unsere Taschen richtig mit Lebensmitteln aufzufüllen, um die „Wildnis“ zu überstehen. Bis Kashgar gibt es keine große Möglichkeit mehr, um viel nachzukaufen. In Tashkurgan können wir in „Supermärkten“ noch aus dem Vollen schöpfen. Aber dabei muss man bei all dem chinesischen Zeugs erst mal das Essbare vom Ungenießbaren unterscheiden lernen. „Try and error“, aber wir bekommen bestimmt noch viel Gelegenheit unsere Lieblings-Nudelsuppe zu küren. Außerdem gibt es Schokolade, was will man mehr? Eben und so können wir uns getrost wieder radelnderweise in Richtung Kashgar auf den Weg machen. Den Karakorum Highway finden wir leider immer noch in einem trostlosen Zustand vor. Wir können es nicht fassen, in Zuge aufwendiger Sanierungsarbeiten wurde der wirklich auf der ganzen Länge erst mal zerkrümelt. So kommen wir jetzt schon in den Genuss von eigentlich für Tibet reservierten Schotter- und Waschbrettpisten. Letzteres ist der Horror eines jeden Radreisenden. Auf nicht befestigten Straßen schwingen sich die Stoßdämpfer der darüber bretternden Fahrzeuge auf, so dass sich kleine Wellen auf der Piste bilden. Das kann endlos gehen und für den armen Fahrradfreund bedeutet dies äußerst ungemütliches, holperiges Treten.
Interessant ist aber, wie solche Großprojekte in China angegangen werden, nämlich in Handarbeit! Arbeitskräfte gibt es genügend und den Gesichtern nach zu urteilen werden die Leute von ziemlich weit hierher gebracht oder beordert, um die Straße wiederherzustellen. Schwere Maschinen sieht man selten. Es dominieren Schaufeln, Meißel und Maurerkellen. So wird das Fundament aufgeschüttet und der Straßengraben gemauert. Erstaunlich viele Frauen sind mit schwerster Arbeit beschäftigt. Auf heimischen Baustellen wäre dies ein eher ungewöhnliches Bild. In regelmäßigen Abständen sind Zeltstädte, Roadcamps, für die vielen Straßenarbeiter entstanden. Es gibt hier sonst nicht viel, nur wenig Dörfer. Man stelle sich das vor, den ganzen Tag Tonnen von Steinen durch die Gegend tragen, um dann in einem notdürftigen Zelt mit hundert anderen Schlaf zu finden. Das bei Wind und Wetter, solange bis die Straße fertig ist.
Die Landschaft zeigt sich eher wüstenähnlich. Von den Bergen des Pamirs erreichen kleine Bäche das Tal und bilden Oasen, an denen sich das Leben sammelt. Ein großer Moment, als wir auf eine riesige Ebene radeln. Schnurgerade zieht die Straße darüber, viele Nomadenzelte säumen den Weg. Ab und an finden sich sehr orientalisch wirkende Dörfer mit kleinen Moscheen und Lehmhäusern mit Flachdächern. Beinahe den ganzen Horizont nimmt der Muztagh Ata ein. „Vater des Schnees“ heißt dies übersetzt, ein 7546 Meter hoher Gletschergigant. Der Berg baut sich rampenartig auf, dazwischen fließen aus Tälern Dutzende von Gletschern, die auf der Ebene enden. Unsere Hauptbeschäftigung für diesen Tag, diese Ebene zu überqueren.
Gegen Abend wollen wir zum ersten Mal unser Zelt neben der Straße beziehen. Leichter gesagt als getan einen adäquaten Platz hierfür zu finden, weil erstens braucht man Wasser, klares wenn möglich, und zweitens sind alle guten Plätze schon von Straßenarbeitern besetzt und mittendrin wollen wir unseren Tempel doch nicht hineinstellen. Es würde eine Nacht mit wenig Schlaf werden. Mehr notdürftig verschanzen wir uns schließlich hinter einer Düne. Das Wasser aus einem nahen Fluss sieht sehr mineralreich aus, um es vorsichtig auszudrücken, soll heißen, schlammig sandig. Aber Sand ist nicht giftig, knirscht nur zwischen den Zähnen.
Wir dachten zwar, einen einigermaßen ruhigen Platz gefunden zu haben, aber mit dem Arbeitseifer der Straßenbauer rechneten wir nicht. Ab und zu helfen auch viele Hände nicht, ein Bagger muss her und der Fahrer zeigt sich besonders fleißig. Die ganze Nacht arbeitet er lautstark ein paar Meter von unserem Zelt entfernt durch und bis zum Morgen hat er