Kuerzlich in Asien. Stephan Rankl
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Die letzten Meter vom Karakorum-Highway nach Karimabad hoch sind fürchterlich steil. Gleich neben dem Weg schlachtet jemand Hühner im Serienbetrieb. Mit einem Messer den Kopf abschneiden, den flatternden Rest in einen Korb werfen und das nächste. Heute Abend gibt es wohl Hühnchen. Zum Glück sind die billigsten Hostels gleich am unteren Ende der Stadt. Im ersten halten wir es nicht lange aus, dank fehlender Vorhänge vor den Fenstern und dem Durchgang für alle direkt davor, vermissen wir doch etwas Privatsphäre. Da in Karimabad so gut wie jeder Durchreisende absteigt, lernt man einige Gleichgesinnte kennen und trifft schon vertraute Gesichter wieder. Auch die Gruppe eines sehr bekannten deutschen Trekkingveranstalters sehen wir wieder. Ihr pakistanischer Guide jammert uns gleich etwas von „jedes Jahr im Sommer, das gleiche Programm“ vor. Tja, falschen Beruf gewählt.
Wir vertrauen uns einem anderen Guide an, der uns für horrendes Geld durch die alte Königsburg, „Baltit“ genannt, führt. Aus Holz und Lehm erbaut, steht sie in dominanter Lage über dem Tal. Errichtet im 13. Jahrhundert, war sie bis 1945 bewohnt und wurde in den Jahren 1990-96 aufwendig restauriert. Die Sicht von hier oben ist wirklich umfassend. Dank trockenem Klima verfällt alles sehr langsam, der Bau ist also sehr gut erhalten. Es finden sich verschiedene Baustile, sogar ein tibetischer ist zu erkennen. Tibet, vom Ziel unserer Träume sind wir hier eigentlich nur durch ein paar Berge getrennt. Die sind allerdings sehr hoch. Den Sinn der ziemlich niedrigen Türen im Fort erklärt uns der Guide mit der gebückten Haltung, die man zwangsweise annehmen muss, um hindurchzukommen. Macht die Enthauptung leichter, falls ein Feind so weit vorgedrungen wäre.
Nachdem wir nun gesehen hatten, wie die Könige hausten, wollen wir auch noch begutachten, was für das Fußvolk übrig blieb. Ganish heißt die Stadt zu Füssen von Karimabad. Touristen verirren sich hierher nach unten kaum noch, die fünfhundert Höhenmeter wieder hoch zu Bett und Tafel wären nun auch wirklich zu viel des Guten. Wir lassen uns nicht abschrecken und besuchen das Kleinod. Neuerdings erst restauriert, dank finanzkräftiger Unterstützung von Norwegern und Spaniern, ist die alte Handelsstadt Ganish heute ein sehr lebendiges Museum. Als wir ankommen herrscht reger Betrieb auf dem Hauptplatz. Wohl wegen uns sind bald darauf jedoch alle Frauen von der Bildfläche verschwunden. So stehen wir etwas verloren herum und wissen nicht, ob wir uns weiter vorwagen sollen. Doch es findet sich bald wie zufällig ein älterer Herr, der sich unserer annimmt. Wie sich rausstellt, der offizielle Stadtguide, der sozusagen nur auf uns gewartet hat. Ein sehr netter Mensch, der uns viel von der Stadt erzählen kann. So sollen zum Beispiel im Pool am Hauptplatz früher die Ganish-Krieger schwimmen trainiert haben, um sich mit den Nagyrs auf der anderen Flussseite zu bekriegen, wozu dieser eben aber erst mal durchquert werden musste. Relativ viele Mini-Moscheen sind erhalten, nicht größer als die bei uns bekannten Hauskapellen. An der Außenwand der ehemaligen Karawansarai sieht man noch immer ins Mauerwerk eingelassene Wurzeln, an denen die Packtiere festgebunden wurden. Ebenso erhalten, ein Wachturm und Teile der alten Stadtmauer. Früher war Ganish größer, fiel jedoch einerseits einer Flut und andererseits teilweise dem Bau des Karakorum-Highways zum Opfer.
Die Leute hier klagten bis vor kurzem über arge Bauchprobleme, was wohl in erster Linie an dem Second-Hand-Wasser lag, welches Karimabad übrig ließ. Dank einer großzügigen japanischen Spende verfügen sie aber nun auch in Ganish über einen eigenen Zugang zum Gletscherwasser. Interessant sind die im Boden eingelassenen Vorratsfässer, die durch ein ausgeklügeltes System mit Wasser gekühlt werden. Hier reift Butter in Birkenblättern eingewickelt bis zu fünf Jahre heran und gilt als lokale Delikatesse. Beim abschließenden Tee erzählt unser Stadtguide etwas aus seinem Leben. Früher war er Bergführer, wäre es vermutlich immer noch, aber seit diesem 11. September bleiben die Touristen doch spürbar aus. Stolz zeigt er uns seinen Mitgliedsausweis des Deutschen Alpenvereins. Ob dieser auch hierher seine Mitgliederzeitschrift verschickt? Ich wage es zu bezweifeln.
Als Bergsteiger können wir natürlich nicht der Versuchung widerstehen, mal zum Basislager des Ultar hochzuwandern. Gleich hinter dem Fort beginnt der Weg durch eine enge Schlucht mit steilen Granitwänden, die früher vollkommen vom Gletscher aufgefüllt war. Aber auch im Karakorum sind die Eisströme auf dem Rückzug. Das Basislager begrüßt uns mit schlechtem Wetter, so können wir die umgebenden Granitriesen nur erahnen. Für die Einheimischen ist die Wiese hier oben in erster Linie eine sehr gute Sommerweide für ihre Schafe. An der Almhütte gibt es Suppe und Tee und man könnte auch sein Zelt aufstellen. Der Senn erzählt uns ein wenig von der Besteigungsgeschichte des Ultar. Vor allem Japanern hat es der Berg wohl angetan. Viele Tote blieben zurück, bevor der Berg dann doch erstbestiegen werden konnte. Erklärt wohl auch das Engagement der Japaner in der Umgebung. Gespannt sucht unser Gastgeber immer wieder die steilen Granitwände ab. Nein, nicht Kletterer interessieren ihn, ein Ochse hat sich irgendwie auf einen grünen Fleck sehr weit oben verirrt. Wie der da hingekommen ist? Ein pakistanischer Kletterochse, keine Ahnung. Ohne Kletterseil möchte ich ihn jedenfalls nicht holen gehen.
Den ganzen Weg hoch zu dieser Oase faszinierten uns schon die steil in die Granitwände gehauenen Bewässerungskanäle. Wir würden ja gerne einem dieser Kanäle nach unten folgen, trauen uns aber nicht recht. Sie sind ja offensichtlich für den Lebensunterhalt der Leute hier sehr wichtig und es tut den mühevoll in den Fels gemauerten Lebensadern bestimmt nicht gut, wenn ständig eine Horde Touristen darüber stapft. Wir fragen einen Einheimischen, der gerade mit Schaufel unterwegs ist. Kein Problem, also los. So an die hundert Meter über der engen Schlucht spazieren wir nun inmitten einer ansonsten senkrechten und glatten Granitwand. Der Kanal wurde aus dem Fels gehauen und gesprengt, daneben schwindelerregend ein kleiner Fußpfad angelegt. Bald teilt sich der Kanal auf, Schleusen verteilen das Wasser. Terrassenfelder liegen unter uns. Jetzt wissen wir auch, wozu vorhin die Schaufel gut war. Mit einer Schippe Erde wird das Wasser abwechselnd auf die verschiedenen Felder verteilt. Wir folgen willkürlich einem Pfad nach unten und landen in einem Dorf. Enge Gassen, nur einen Meter breit, schlängeln sich zwischen die irrgartenähnlich angelegten Häuser. Hinter jeder Ecke wartet etwas anderes, Wohnzimmer, Kuhstall oder doch der Weiterweg. Mehr als einmal landen wir in einem Stall und stehen mal über, mal links oder rechts der Kuh. Langsam werden wir doch nervös und sind heilfroh, als wir endlich den Dorfplatz finden, wo sich die meisten Leute aufhalten. Die wirken sehr gelassen und freuen sich uns zu sehen. Besonders für die Kinder sind wir eine Schau. Wir fragen uns durch, ein breiter Weg führt zurück nach Karimabad. Die Aprikosenernte ist voll im Gange. Frauenarbeit, wie es aussieht. Verstohlen bekommt Bettina frische Früchte zugesteckt. In diesem Fall bin ich der Störfaktor. Sonst wären die Hunzadamen wohl nicht so gehemmt und Bettina wüsste abends ihre ganze Lebensgeschichte. Aber ich kann mir zugute halten, auf diese Weise Bettina davor beschützt zu haben, zum Aprikosenzupfen eingespannt zu werden.
Abends treffen wir uns mit einem Pärchen wieder, welches wir im Madina-Guesthouse kennen gelernt hatten. Die beiden Bayern verbringen ihre Zeit eigentlich im indischen Goa beim Tätowieren. Nur im Sommer verschlägt es sie mit ihrem Bus nach Pakistan. Goa ist so was wie der letzte Zufluchtsort für Hippies und genauso sehen die beiden aus. Dabei ist ein Husky, dem die Hitze aber nichts auszumachen scheint. Die beiden haben sich in Altit einquartiert. Auch hier gibt es ein kleines Fort, welches gerade renoviert wird. Der Besitzer des Guesthouses schmeißt abends ein kleines Fest. Dauert nicht lang, bis der selbstgebrannte Aprikosenschnaps seine Runden dreht. Unverdächtig abgefüllt in eine Cola-Flasche. Eine der Grundregeln für Muslime ist, vom Schnaps die Finger zu lassen. Hat sich bis hierher noch nicht rumgesprochen. Wir werden noch zum Essen eingeladen und ein echter Chauffeur bringt uns im Jeep nach Hause.
Gleich hinter Karimabad finden sich direkt an der Straße prähistorische Felszeichnungen. Die ersten entstanden wohl im ersten Jahrhundert nach Christus und sind so etwas wie ein Gästebuch dieses Tales. Von frühen buddhistischen Pilgern, bis hin zu den Arbeitern des Karakorum-Highways hat sich jeder verewigt. Wahrscheinlich alle ergriffen von