Das Vermächtnis aus der Vergangenheit. Sabine von der Wellen

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Das Vermächtnis aus der Vergangenheit - Sabine von der Wellen Das Vermächtnis aus der Vergangenheit

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„Ist wohl so. Und ich freue mich auf heute Abend. Bleib bitte immer bei Ellen, ja? Keine Alleingänge!“

      „Keine Alleingänge, versprochen.“ Mich von ihm loseisend, gehe ich einen Schritt zurück und er steigt in den Mustang ein, lässt den Motor aufbrummen und fährt die Straße hinunter.

      Ich sehe ihm unschlüssig hinterher und bin überrascht, dass er immer noch seine Frage beantwortet haben will. Was für ein Verrückter. Aber ich liebe ihn für diese Verrücktheit, die ein wenig meine dunkle Welt erhellt.

      In der Klasse entschuldige ich mich bei unserer Klassenlehrerin mit der Ausrede, dass es in der Nacht im Haus einen Stromausfall gegeben hatte und der Radiowecker darum heute Morgen nicht zur richtigen Zeit ansprang. Zu meiner Überraschung winkt sie mich nur zu meinem Platz und macht mit dem Unterricht weiter.

      Ich werfe mich neben Ellen, die mich unsicher ansieht und der scheinbar sofort klar ist, dass etwas nicht stimmt. Ich nicke ihr nur zu und mache eine beschwichtigende Handbewegung.

      „Pause!“, sagt sie mit stummer Lippenbewegung und ich kann mich schon auf eine Ellen Inquisition gefasst machen.

      So zieht sie mich auch gleich nach dem Klingeln vom Stuhl, bevor ich überhaupt meine Schulsachen zusammengepackt habe, und wir gehen nach draußen. Es ist ein dunkler, trüber, aber milder Dezembertag und wir laufen über den Schulhof hinter das Schulgebäude. Dort sind wir ungestört.

      „Was ist los! Du siehst total fertig aus und warum bist du heute so spät?“, fragt Ellen, noch bevor ich meine Zigarette angezündet habe.

      Ich sehe sie unschlüssig an und sie raunt: „Das mit dem Radiowecker war doch völliger Quatsch, oder?“

      Nickend ziehe ich an meiner Zigarette und entschließe mich dazu, Ellen einzuweihen. Sie hatte schon viele Geheimnisse für mich verwahrt und ich muss mit jemandem über meine Angst sprechen, die an mir seit dem Morgen nagt.

      „Erik und Daniel haben gestern bei Tims Wohnung nachgesehen, ob er wieder da ist. Daniel meinte, ihn gesehen zu haben“, beginne ich.

      „Ja, aber er hat sich wohl geirrt“, wirft Ellen ein.

      Ich nicke unschlüssig und erkläre ihr: „Daraufhin haben wir heute Morgen das Handy von Tim gecheckt, auf das er einige SMSen geschickt hatte. Eine war vom letzten Wochenende, als wir im Hyde Park waren.“ Ich ziehe an meiner Zigarette, weil das, was ich jetzt sagen muss, mir unendlich schwerfällt und Ellen sieht mich beunruhigt an. Sie weiß nur zu gut, dass es immer einen Grund gibt, wenn ich so herumstottere. Weil ich nicht weiterrede, versucht sie mir ungeduldig auf die Sprünge zu helfen. „Von dem Wochenende, wo die Ärsche uns in den Knast gebracht haben und du entführt wurdest. Okay, … weiter!“

      „Er war auch da. In dem Haus, in das sie mich brachten …“ Meine Stimme wird etwas zittrig und ich versuche mich zusammenreißen. „Und er war im selben Zimmer und konnte mich berühren. So schrieb er zumindest. Ich weiß davon nichts, weil sie mich ausgeknipst hatten. Ellen …“ Ich werfe mich an ihren Hals und sie ist erschüttert von meiner Reaktion. „Ich weiß nicht, was er mit mir gemacht hat!“

      Ich spüre, wie sie in meinem Arm steif wird, mich von sich wegdrückt, um mich ansehen zu können und raunt: „Hat er dich vergewaltigt?“

      „Ich weiß es nicht! Aber er hat das so komisch geschrieben und ich war bewusstlos und sie haben Tim trotzdem zu mir gelassen.“

      Erneut schlägt die unglaubliche Fassungslosigkeit über mich hinweg und abermals kommen mir deshalb die Tränen.

      „Was sagt Erik?“, fragt Ellen entsetzt und legt wieder ihre Arme um mich.

      „Nichts! Das Tim mir nichts getan hat und ich mir keine Sorgen machen soll. Er ist so komisch. Er würde mich lieben … egal was passiert und was man mit mir anstellt. Das hat er echt gesagt, wo er sonst nicht mal ertragen kann, wenn ich mit jemandem telefoniere.“

      Eine Zeit lang scheint Ellen meine Worte wirken zu lassen, bis sie raunt: „Er hat Angst, dass du ihm wieder nichts sagst, wenn dir etwas zustößt. So wie beim letzten Mal, als Tim dich überfallen hat.“

      Ich löse mich aus ihrer Umarmung und sehe sie an. Natürlich, das wird es sein.

      „Aber egal!“, meint Ellen abwinkend. „Du verhütest doch noch? So ganz vorschriftsmäßig, meine ich.“

      „Warum?“, frage ich sie, nicke aber.

      „Und deine Pille ist auch noch deine Pille? Hast du das gecheckt? Es bringt ihnen nichts, dir Tim auf den Hals zu schicken und du verhütest“, murrt sie leise.

      „Nein, ich nehme die Pille nicht mehr. Ich habe mir eine Dreimonatsspritze geben lassen. Da brauche ich die Pille nicht mehr.“

      „Eine was?“

      Ich erkläre ihr, wie die Spritze wirkt und sie nickt. „Hauptsache du verhütest. Aber Tim kann ja auch nicht wissen, wann du deine Pille nehmen musst und wann du deine Tage hast.“

      Ich sehe sie betroffen an. „Das weiß Tim schon. Er weiß zwei Daten, wo ich meine Tage hatte und damit könnte er schon meinen ganzen Zyklus herausfinden. Ein Wochenende früher hätten sie mich nicht entführen brauchen. Aber dieses Wochenende war eigentlich auch denkbar schlecht zum Schwanger werden. Von daher!“, antworte ich und eine Hoffnung schleicht durch meine Adern, dass sie doch nicht zuließen, was ich befürchte.

      Es klingelt und ich wische mir durchs Gesicht. „Du hast recht. Den Al Kimiys hätte es nichts gebracht, wenn Tim über mich hergefallen wäre.“

      Ich bin etwas beruhigter und habe nicht mehr das Gefühl, dass Tim auf alle Fälle die Gunst der Stunde nutzen durfte. Sofort geht es mir etwas besser und ich kann in der Klasse schon Sabine und Andrea ein Lächeln schenken, als sie erneut meinen Brief an Erik versuchen zu rekonstruieren, was ihnen nur misslich gelingt. Erik konnte das weitaus besser.

      Am Nachmittag fahren wir wieder mit dem Bus zur Fahrschule. Erwarteter Weise sehen uns die Mitstreiter von Dienstag zurückhaltend entgegen.

      Aber zu meiner Überraschung verschwinden Nina und Sarah sofort in das Gebäude, bevor wir sie erreichen können. Auch sie erliegen scheinbar der Ansicht, dass Erik mit seinem Auftreten, seinem Äußeren und seinem Zuhälterschlitten in die Kategorie fällt, dass brave Mädchen die Flucht ergreifen sollten.

      Dafür schenkt mir ein Mädchen mit schwarzen Stumpfhosen, Springerstiefeln, schwarz gefärbten Haaren, etlichen Klimbim im Gesicht und dunkler Kriegsbemalung ein Lächeln. Und auch die jungen Männer, denen wir vorher nicht aufgefallen waren, sehen mich und Ellen mit anderen Augen an.

      Es muss schon etwas an uns dran sein, wenn solche Typen hier auflaufen und uns ziemlich theatralisch abholen.

      Ich kann nur den Kopf deswegen schütteln. Es ist für mich immer noch nicht leicht ertragbar, dass Erik mich wieder einmal in ein Licht gerückt hat, das eigentlich nicht meins ist. Aber ich weiß mittlerweile, ich liebe ihn auch damit. Und würde er irgendetwas ändern wollen … den Mustang gegen einen Audi eintauschen oder seine Muskeln auf die eines Nerds verkümmern lassen … ich wollte es nicht. So wie er ist, will ich ihn auch haben. Mit all seinen Facetten. Und dass er seine Locken wieder etwas wachsen lässt, ist für mich das einzige, was ich gerne als Änderung hinnehme.

      „Komm! Gehen wir rein!“, meint Ellen, der diese zweigeteilte Aufmerksamkeit auch nicht entgangen ist.

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