Behauptung statt Wahrheit. Erwin Leonhardi
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Seele
Es stellt sich die Frage, was eine Seele eigentlich ist. Verwechseln Gläubige die Seele mit dem Bewusstsein, das mit dem Gehirn stirbt? Jeder, der schon einmal von einem Anästhesisten betäubt wurde, weiß, was es bedeutet, wenn die Wahrnehmung ausgeschaltet ist. Genau so muss es sein, wenn das Gehirn tot ist. Ob es eine Seele gibt, wie sie den Gläubigen durch die Kleriker als Vorstellung implantiert wurde, und ob diese in irgendeiner Form zu Wahrnehmungen fähig sein kann, bleibt der Esoterik vorbehalten. Anatomisch gibt es keine Grundlage dafür.
Ein französischer Philosoph hat einmal geäußert, die Seele sei das Ergebnis davon, dass das eigene Bewusstsein aus Arroganz und Wunschdenken als so einmalig empfunden würde, dass man es als unsterblich betrachten müsse.
Verbreitung von Angst
Zum Untermauern der Führungsautorität hat die Kirche ab und zu einen Unfolgsamen seiner Habe beraubt oder öffentlich hingerichtet, wobei der weltliche Staat tatenlos zusah. War kein Unfolgsamer zur Hand, wurde einer konstruiert, wie die gesamte Hexenverfolgung beweist. Selbst Luther war von der Existenz von Hexen und Feldteufeln überzeugt. Die generelle Haltung gegenüber angeklagten Hexen war grausam und stiftete viel Angst. Als Mittel zur Wahrheitsfindung wurde öfters das sogenannte Gottesurteil, ein klerikales Wort für Zufall, bemüht.
Eine unbedachte Äußerung eines Mitbürgers konnte bereits als Denunziation gelten und für den Scheiterhaufen eines anderen ausreichen. Erkennbar ungläubig zu sein, hieß leiden und sterben.
Religiöses Machtstreben gibt es nicht nur im Christentum. Das im Juni 2014 von Abu Bakr Al-Baghdadi ausgerufene Kalifat, der selbst ernannte Islamische Staat, ist eine radikal islamistische Bewegung, die im Prinzip nichts anderes macht als das, was die christliche Kirche über Jahrhunderte durch Inquisition und Kreuzzüge vorgeführt hat. Das will heute niemand gerne hören. Eine öffentliche aus religiösem Wahn begangene Hinrichtung ist ein Schwerstverbrechen. Keine noch so tiefe religiöse Überzeugung kann diese Schuld jemals aufheben. Es spielt dabei keine Rolle, unter welchem Vorwand eine Tat begangen wird. Das einzige objektive Kriterium ist, dass Verbrechen immer Verbrechen bleiben, auch wenn sie angeblich im Namen eines Gottes begangen werden.
Inquisition
Die christliche Kirche hat ihre Dominanz mit unglaublicher Brutalität und ohne jegliche erkennbare Reue entwickelt und gepflegt. Dass die Inquisition den Gipfel des fehlgeleiteten Glaubenswahns darstellt, kann man nicht bestreiten. Damals haben Mörder im Priestergewand "im Namen des Herrn" unsägliches Unheil angerichtet. Erste Verurteilungen gab es im 13. Jahrhundert. Das letzte Todesopfer der Hexenverfolgung war in Brandenburg am 17. Februar 1701 die 15-jährige Magd Dorothee Elisabeth Tretschlaff, die in Fergitz in der Uckermark offiziell wegen Buhlerei mit dem Teufel enthauptet wurde.
Jahrhunderte lang haben die kirchlichen Mörder gewütet und sich und ihre Kirche für immer schuldig gemacht. Die Schuld der klerikalen Mordtaten wird heute pauschal behandelt, weil sie dann anonymer klingt und leichter vergebbar scheint. Die Schuld liegt nicht allein in der Vielzahl der Mordtaten. Sie begann für immer unauslöschlich mit dem Todesurteil für den allerersten Menschen, von dem die Priester wussten, dass er unschuldig war.
Nach neueren Forschungen und umfangreichen Auswertungen der Gerichtsakten wird davon ausgegangen, dass die Verfolgung in ganz Europa etwa 40.000 bis 60.000 Todesopfer forderte. Etwa 25.000 Menschen wurden allein auf dem Boden des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation hingerichtet. Dazu kam eine hohe Zahl weiterer zu Enteignung und Haft Verurteilter. Insgesamt soll etwa drei Millionen Menschen der Prozess gemacht worden sein. Die Summe der durch die Kirche auf diese Weise unrechtmäßig konfiszierten Güter wurde bisher nicht ermittelt, obwohl sich die notwendigen Unterlagen in den Archiven der Kirche befinden. Dieses unrechtmäßig erworbene Eigentum zurückzugeben, ist der Kirche bis heute nicht eingefallen. Ein Schuft, wer Böses dabei denkt?
In Bezug auf die Anhäufung von Reichtum hatte die Kirche noch nie moralische Bedenken. Im biblischen Altertum hat die Priesterschaft immer an den Plünderungen von eroberten Städten durch die Israeliten kräftig mitverdient. Die mittelalterlichen Ablasszettel oder die subtil erpressten Spenden zur Verbesserung des Loses von Verstorbenen und Kranken sind weitere Beispiele. Obwohl die Confessio Augustana von 1540 als gemeinsames, kirchlich-weltliches Gesetz ausdrücklich Bezahlmessen verboten hat, wurde damit schamlos Geld verdient. Nach heutigem Rechtsverständnis waren dies Straftaten im Betrugsbereich.
Kirchenangebot und Austritte
Mittlerweile scheint das Machtstreben der Kirche an Grenzen zu kommen. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte erleben die Kirchen in wachsendem Maß Austritte aus ihrem Verbund von hineingeborenen Mitgliedern. In der evangelischen Kirche ist eine deutlich wachsende Tendenz zur Bildung von sich abspaltenden Privatgemeinden zu beobachten, die alte Zöpfe abschneiden und ihr eigenes Glaubensverständnis praktizieren wollen. Diese Organisationen finanzieren sich selbst. So sollten es auch die Großkirchen handhaben, statt aufgrund althergebrachter Sitte, sich vom Steuerzahler aushalten zu lassen. Es ist keine besondere Überraschung, dass einige dieser Interessensgruppen gemeinschaftlich aus der offiziellen Kirche ausgetreten sind.
Im Jahr 1990 gehörten der römisch-katholischen Kirche in Deutschland 28,5 Millionen Mitglieder an, das repräsentierte rund 35,4 % der Bevölkerung. 20 Jahre später ist die Mitgliederzahl auf 24,2 Millionen Personen geschrumpft. Das repräsentiert rund 29,9 % der Bevölkerung. Bei der heutigen Austrittsrate wird die katholische Kirche innerhalb Europas in den nächsten 50 Jahren auf weniger als die Hälfte ihrer Mitglieder schrumpfen. Dann repräsentiert sie wahrscheinlich nur noch rund 12,5 % der Bevölkerung.
Sie stellt dann nur noch ein Achtel der Gesellschaft dar und bewegt sich am Rand der Bedeutungslosigkeit. Einer politischen Partei mit diesem geringen Stimmenpotenzial würde man den Terminus Volkspartei nicht zugestehen. Noch ungefähr eine gute Generationsphase ist Zeit, sich auf brauchbare, annehmbare Beiträge zum allgemeinen Leben zu besinnen, die dem Wertesystem der Zeit von heute und morgen genügen. Dass diese Zeit genutzt wird, kündigt sich momentan nicht an.
Als Hauptgrund für die zunehmende Zahl der Kirchenaustritte wird offiziell die Einsparung der Kirchensteuer genannt. Das ist auf jeden Fall ein hartes Faktum. Das heißt, dass der Austretende glaubt, keinen passenden Gegenwert für seine Kirchensteuer zu erhalten. Bei genauem Hinsehen stellt sich aber unter Umständen heraus, dass trotz des Kirchenaustritts von der Kirchengemeinde das sogenannte besondere Kirchgeld verlangt wird. Das fällt in glaubensverschiedener Ehe solange an, wie einer der Ehepartner in der Kirchengemeinde verbleibt. Wenn also nicht beide austreten, kassiert die Kirche trotzdem, allerdings verdeckt.
Aber es gibt auch schwerwiegende weiche Faktoren. Es stellt sich die Frage, ob die kirchliche Lehre dem Einzelnen noch etwas sagt, und ob das verschrobene, in Ritualen und Garderoben verkrustete Erscheinungsbild noch zeitgemäß ist. Wenn sie die jungen Menschen nicht mehr begeistern kann, und durch Drohungen mit abstrakten Strafen auch nicht mehr genügend verängstigen kann, sieht die Zukunft nicht gut aus.
Ohne spürbaren "added value", den zusätzlichen Wert, zu liefern, den die Gesellschaft heutzutage erwartet, kann auch eine Kirche nicht länger existieren. Die Esoterik der Religion reicht nicht mehr. Der Erfolg von Kirchentagen als Attraktion für Jugendliche wird falsch eingeschätzt. Das zeigen professionelle Umfrage-Ergebnisse. Den jungen Menschen geht es dabei in erster Linie um das gesellschaftliche Großereignis, der geistliche Inhalt wird dabei in Kauf genommen. Der frühere Kirchen-Slogan "Gemeinschaft durch Glaube" hat sich heute in "Glaube durch Gemeinschaft" gewandelt.
Falsches Marketing
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