Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen. Christoph Keller
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Aufgabe:
1. Beurteilen Sie rechtsgutachtlich die polizeilichen Maßnahmen:
– Klingeln an der Wohnungstür des A und Ermahnung zur Ruhe
– Klingeln und Klopfen an der Wohnungstür des A und Aufforderung, die Wohnungstür zu öffnen (Betreten der Wohnung)
– Öffnen der Wohnungstür mit Schlüsseldienst
2. In der Wohnung des A sehen die Beamten auf dem Küchentisch einen Beutel mit Haschisch. Darf dieses Betäubungsmittel als Zufallsfund sichergestellt werden?
3. Nehmen Sie problemorientiert Stellung zur Gewahrsamnahme des A und seinen Gästen.
Hinweis: Die örtliche Zuständigkeit als formelles Erfordernis kann unterstellt werden.
Lösung zu Aufgabe 1
A. Klingeln an der Wohnungstür des A und Ermahnung zur Ruhe
I. Ermächtigungsgrundlage
Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes bedarf es bei einem Grundrechtseingriff einer Ermächtigungsgrundlage, welche auf ein verfassungsmäßiges Gesetz zurückzuführen ist. Ein Eingriff ist jede durch Hoheitsakt bewirkte, nicht absolut geringfügige Beeinträchtigung eines Grundrechtes. Durch die Verfügung an A („zur Ruhe ermahnt“) wird eingegriffen in die Allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG).2 Die polizeiliche Verfügung („Ermahnung zur Ruhe“) erfolgte erkennbar zur Gefahrenabwehr (Verhinderung von Ordnungsstörungen/Ordnungswidrigkeiten, §§ 9, 17 LImSchG NRW).3
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1, 3 PolG NRW i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 1 POG NRW. Gem. § 1 Abs. 1 Satz 1 PolG NRW hat die Polizei die Aufgabe, Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung abzuwehren (Gefahrenabwehr). Gefahr ist eine Sachlage, die einen Schaden für die öffentliche Sicherheit erwarten lässt. Das ist insbesondere gegeben, wenn ein tatsächliches Geschehen den Schluss rechtfertigt, dass möglicherweise individuelle Rechte wie Leib, Leben, Gesundheit usw. einer Person oder das Sicherheitsgut „Rechtsordnung“ zu Schaden kommen könnten.4 Durch den Lärm werden die Nachbarn in ihrer Nachtruhe gestört und damit in ihrer körperlichen Integrität (§ 223 StGB) beeinträchtigt. Die Ruhestörung beeinträchtigte nicht nur die objektive Rechtsordnung, sondern auch die subjektiven Rechte und Rechtsgüter der Nachbarn. Durch die fortgesetzte massive Ruhestörung zur Nachtzeit ist vorliegend das individuelle Sicherheitsgut Gesundheit anderer Personen in Gefahr. Derartige Ruhestörungen sind Ordnungswidrigkeiten (§§ 9, 10, 17 LImSchG NRW), sodass hier auch eine Gefahr für das Sicherheitsgut der Allgemeinheit „Rechtsordnung“ besteht.
Es besteht eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Auch liegt öffentliches Interesse vor. Ein solches ist grundsätzlich immer dann gegeben, wenn es um die Abwehr von Gefahren für die Rechtsordnung geht. Dabei spielt der Umstand, dass die Gefahr im privaten Bereich verursacht wurde, keine Rolle. Die Beamten sind subsidiär zuständig; ein Handeln der an sich zuständigen (Ordnungs-)Behörde ist nicht oder nicht rechtzeitig möglich (§ 1 Abs. 1 Satz 3 PolG NRW). Soweit Polizeibeamte gestützt auf § 8 Abs. 1 PolG NRW Verwaltungsakte erlassen, sind die allgemeinen Regeln des VwVfG NRW zu berücksichtigen, insbesondere die §§ 28, 37 Abs. 2 VwVfG NRW. Der Verwaltungsakt ist entsprechend § 41 Abs. 1 VwVfG NRW bekannt zu geben, er wird dann wirksam (§ 43 Abs. 1 VwVfG NRW).
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Tatbestandliche Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
Die Grundlage für die polizeiliche Verfügung („Ermahnung zur Ruhe“) könnte in der Generalklausel gesehen werden. § 8 Abs. 1 PolG NRW kommt jedoch nur dann in Betracht, wenn eine Spezialnorm diesen Bereich nicht erfasst. Andere spezialgesetzliche Regelungen sind nicht ersichtlich, insbesondere kommen die §§ 9 – 46 PolG NRW nicht in Betracht. Es ist also auf die Generalklausel zurückzugreifen. Die Polizei kann notwendige Maßnahmen treffen, um eine im Einzelfall bestehende – mindestens konkrete – Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Die konkrete Gefahr setzt voraus, dass aufgrund der Gesamtumstände in Bezug auf Ort, Zeit, Personen, Verhalten im Einzelfall ein Schadenseintritt wahrscheinlich ist. Hier ist ein Schaden („Rechtsordnung“) bereits eingetreten. Die Gefahr hat sich hier bereits realisiert. Wenn die Störung aber in die Zukunft wirkt und damit die „Gefahr der nächsten Sekunde“ begründet, liegt Gefahrenabwehr vor. Die Gefahr besteht weiterhin („Dauergefahr“).
2. Besondere Verfahrensvorschriften
Besondere Verfahrensvorschriften sind hier nicht zu beachten.
3. Adressatenregelung