Fälle und Lösungen zum Eingriffsrecht in Nordrhein-Westfalen. Christoph Keller
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4. Allgemeine Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen (Übermaßverbot)
An der objektiven Zwecktauglichkeit der (Zwangs-)Maßnahme bestehen keine Zweifel, sie ist somit geeignet. Auch hinsichtlich der Erforderlichkeit bestehen keine Bedenken. Eine Verfügung wurde nicht befolgt. Die Zwangsanwendung war fraglos auch verhältnismäßig, denn die geringe Zwangsanwendung auf den Betroffenen (Z) steht in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der Maßnahme. Die zwangsweise Durchsetzung des Platzverweises war rechtmäßig.
D. Gewahrsam
I. Ermächtigungsgrundlage
Nach dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes bedarf es bei einem Grundrechtseingriff einer Ermächtigungsgrundlage, welche auf ein verfassungsmäßiges Gesetz zurückzuführen ist. Unter Gewahrsam ist ein mit hoheitlicher Gewalt hergestelltes Rechtsverhältnis zu verstehen, kraft dessen einer Person die Freiheit dergestalt entzogen wird, dass sie von der Polizei in einer dem polizeilichen Zweck entsprechenden Weise verwahrt, d. h. daran gehindert wird, sich fortzubewegen34. Es handelt sich um eine freiheitsentziehende Maßnahme (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG). Bez. der Zulässigkeit und Dauer dieser Maßnahme ist entsprechend der grundgesetzlichen Regelung des Art. 104 Abs. 2 GG der Richtervorbehalt zu beachten. Die Maßnahme dient der Gefahrenabwehr.
II. Formelle Rechtmäßigkeit
Die Zweckbestimmung dieser Maßnahme dürfte eindeutig sein. Sie dient der Gefahrenabwehr. Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 1 Abs. 1 Satz 1, 2 PolG NRW i. V. m. § 11 Abs. 1 Nr. 2 POG NRW (Verhütung von Straftaten, originäre Zuständigkeit).
III. Materielle Rechtmäßigkeit
1. Tatbestandliche Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage
Als Ermächtigung kommt vorliegend § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW (Unterbindungsgewahrsam) in Betracht. Hiernach ist eine Gewahrsamnahme zulässig, wenn das unerlässlich ist, um die unmittelbar bevorstehende Begehung oder Fortsetzung einer Straftat oder einer Ordnungswidrigkeit von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit zu verhindern. Eine solche Tat i. S. des § 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW steht dann unmittelbar bevor, wenn ohne die Ingewahrsamnahme eine fortdauernde Beeinträchtigung des Rechtsgutes polizeilich nicht verhindert werden kann.35 Die Prämisse „unmittelbar bevorstehende Begehung“ ist gleichbedeutend mit „gegenwärtiger Gefahr“36. Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen nicht hinausreichen, genügen für eine Ingewahrsamnahme zwecks Abwehr der Begehung einer Straftat nicht.37 Dass Verhalten des Z lässt den Schluss zu, dass er Straftaten begehen wird.
2. Besondere Verfahrensvorschriften
Zu beachten sind die hier einschlägigen besonderen Verfahrensvorschriften aus den §§ 36 - 38 PolG NRW. Da der Sachverhalt diesbezüglich keine genaueren Ausführungen beinhaltet, kann von einer Einhaltung dieser Vorschriften ausgegangen werden. Im Einzelnen handelt es sich dabei zunächst um die Begrenzung der Ingewahrsamnahme auf das Ende des Folgetages (§ 38 Abs. 1 Nr. 3 PolG NRW) und die Beendigung der Ingewahrsamnahme bei Wegfall des Grundes der Maßnahme (§ 38 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW).
Besonderen Stellenwert hat die Beachtung des Richtervorbehaltes über die Fortdauer der Freiheitsentziehung (§ 36 Abs. 1 PolG NRW). Die Ingewahrsamnahme muss aber nicht durch einen Richter angeordnet werden; es ist nachträglich (also bei bereits erfolgter Ingewahrsamnahme) eine richterliche Entscheidung beizubringen. Abzusehen von einer richterlichen Entscheidung ist, wenn selbige erst nach Wegfall des Grundes der Ingewahrsamnahme eingeholt werden könnte. Daraus würde eine Entlassung nach § 38 Abs. 1 Nr. 1 PolG NRW folgen. Zum diesbezüglichen zeitlichen Ablauf enthält der Sachverhalt jedoch keine Angaben.
Weiterhin ist der Grund für die Freiheitsentziehung bekanntzugeben (§ 37 Abs. 1 PolG NRW) und die Benachrichtigungsmöglichkeit gem. § 37 Abs. 2 Satz 1 PolG NRW zu berücksichtigen. Zudem soll die Unterbringung nicht mit Straf-/Untersuchungsgefangenen (§ 37 Abs. 3 Satz 1 PolG NRW) wie auch geschlechtergetrennt (§ 37 Abs. 3 Satz 2 PolG NRW) erfolgen.
Die PolGewO NRW (Polizeigewahrsamsordnung) ist zu beachten.
§ 35 Abs. 1 Nr. 2 PolG NRW nach der Bestimmung des § 38 Abs. 2 Nr. 1 PolG NRW eine Gewahrsamsdauer von bis zu 14 Tagen mit der Möglichkeit einer einmaligen Verlängerung durch richterliche Entscheidung um weitere 14 Tage vorgesehen. Eine neuartige Bestimmung ist § 38 Abs. 2 Nr. 5 Satz 2 PolG NRW über die Dauer des Gewahrsams, wenn dieser im Rahmen einer Identitätsfeststellung (§ 12 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 PolG NRW) begründet wird. Die Vorschrift erlaubt (was durch den Verweis auf Nr. 2 deutlich wird) eine richterliche Entscheidung über eine Gewahrsamsdauer von bis zu sieben Tagen, wenn „Tatsachen die Annahme begründen, dass die Identitätsfeststellung innerhalb der Frist nach Satz 1 [innerhalb von 12 Stunden] vorsätzlich verhindert worden ist“. In diesem Fall genügt es auch, „wenn die richterliche Entscheidung über die Fortdauer des Gewahrsams spätestens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen herbeigeführt wird“. Adressaten polizeilicher Maßnahmen sind häufig nicht zur Kooperation bereit und sperren sich nicht selten schon gegen eine Feststellung ihrer Identität – das Verätzen oder Verkleben von Fingerkuppen, passiver und aktiver Widerstand sind keine Seltenheit. Die Möglichkeit, eine Person in einem solchen Fall aufgrund der auch hier unentbehrlichen richterlichen Anordnung bis zu sieben Tagen in Gewahrsam zu halten, soll sie zu einem Einlenken bewegen. Denn gibt die Person ihre Identität preis, ist sie unverzüglich aus dem Gewahrsam zu entlassen.
3. Adressatenregelung
Als Adressaten einer Ingewahrsamnahme kommen nur die Personen in Betracht, die in den jeweiligen Gewahrsamsgründen näher umschrieben sind; ein Rückgriff auf die allgemeinen Störervorschriften ist wegen Spezialregelung nicht erforderlich. Im Falle des Unterbindungsgewahrsams ist es jedenfalls erforderlich, dass die angenommene Gefahr der Verwirklichung von Tatbeständen strafbewehrter Normen der in Gewahrsam zu nehmenden Person als Störung individuell zuzurechnen ist.39 Die Ingewahrsamnahme kommt demgemäß nur in Betracht, um die betroffene Person selbst an der Begehung oder Fortsetzung