Besonderes Verwaltungsrecht. Группа авторов
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In der Sache verlangt der im Rahmen der Föderalismusreform 2006 als Art. 109 Abs. 5 Satz 1 GG a.F. erlassene, durch die Föderalismusreform II des Jahres 2009 in Art. 109 Abs. 2 GG überführte erste Halbsatz des Art. 109 Abs. 2 GG, dass Bund und Länder „gemeinsam die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus Rechtsakten der Europäischen Gemeinschaft auf Grund des Artikels 104 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft zur Einhaltung der Haushaltsdisziplin“ erfüllen. Die Verweisung auf Art. 104 EGV und auch auf die Europäische Gemeinschaft als Rechtsträgerin ist dynamisch zu verstehen, so dass infolge des Lissabon-Vertrages Art. 126 AEUV und die Europäische Union als Urheberin von Rechtsakten im Sinne der Vorschrift in Bezug genommen werden. Im Ergebnis enthält die Regelung damit ein an Bund und Länder – je für sich – adressiertes, verbindliches, nicht abwägungsfähiges Gebot[404], die Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts einzuhalten. Im Einzelnen sind dies im Wesentlichen die Begrenzung des Haushaltsdefizits auf 3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und die Begrenzung des Gesamtschuldenstandes auf 60 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Hinzu tritt die Zielvorgabe nahezu ausgeglichener Haushalte oder von Haushaltsüberschüssen (Mittelfristziel)[405].
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Die Verantwortung für einzelne Defizite und Schuldenstände bestimmt sich dabei nach dem Rechtsträgerprinzip und der Kompetenzordnung, hilfsweise nach anderen Formen der Zuordnung zum Bereich des Bundes oder der Länder. So sind Bund und Länder für Defizite in ihren jeweiligen Sondervermögen verantwortlich[406]. Dies schließt die Verantwortlichkeit des Bundes für die Defizite der dem Bund zugeordneten Sozialversicherungsträger ein[407]. Die Länder haben für die Defizite der Gemeinden und Gemeindeverbände einzustehen[408].
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Bei einem Verstoß gegen die europarechtlichen Vorgaben hat der jeweils Verantwortliche nach Maßgabe der europarechtlichen Verpflichtungen auf der Sekundärebene für eine Haushaltssanierung zu sorgen[409]. Soweit den Bund Mitteilungspflichten treffen (Art. 126 Abs. 9 UAbs. 2 und Abs. 11 UAbs. 1 Spiegelst. 1 AEUV), müssen gegebenenfalls die Länder dem Bund die erforderlichen Daten zur Verfügung stellen[410]. Kommt es zu Sanktionsmaßnahmen der Union, gelten die Lastenzuordnungen nach Art. 109 Abs. 5 GG.
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Zu der entscheidenden Frage, in welchem genauen Umfang Bund und Länder die durch Art. 126 AEUV definierten Defizit- und Gesamtverschuldungsspielräume jeweils nutzen können und wen damit auch die Verantwortung für eine Überschreitung der Grenzen in der Summe trifft, verhält sich Art. 109 Abs. 2 HS 1 GG gleichwohl nicht[411]. Art. 109 Abs. 2 HS 1 GG als Ausgestaltung eines „nationalen Stabilitätspakts“ zu bezeichnen[412], erscheint vor diesem Hintergrund euphemistisch[413]. Im Ergebnis haben die Föderalismusreformen der Jahre 2006 und 2009 an dieser Stelle nicht wesentlich über die einfachrechtliche Rechtslage gemäß der Vorschrift des § 51a HGrG a.F. hinaus geführt, derzufolge der Finanzplanungsrat unverbindliche Empfehlungen zur Haushaltsdisziplin und zu den Ausgabenlinien von Bund und Ländern geben konnte. So ist auch nach dem neuen § 51 HGrG die Aufgabe des Stabilitätsrats in diesem Zusammenhang darauf beschränkt, Bund, Länder und Gemeinden zur Koordinierung ihrer Haushalts- und Finanzplanungen zu beraten und diesbezügliche Empfehlungen auszusprechen, ohne aber verbindliche Vorgaben machen zu können (Rn. 185). In gewissem Umfang wird die Problematik der innerstaatlichen Aufteilung der europarechtlich vorgegebenen Verschuldungsspielräume dadurch relativiert, dass Art. 109 Abs. 3 GG der strukturellen Nettoneuverschuldung von Bund wie auch Ländern klare Grenzen setzt (Rn. 226). Gleichwohl bleiben die europarechtlichen und die grundrechtlichen Grenzen insoweit unabgestimmt. Insbesondere wird die Nettoneuverschuldung der Gemeinden, Sozialversicherungseinrichtungen und anderer, dem öffentlichen Sektor zuzurechnender Rechtsträger im Rahmen des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts berücksichtigt, durch Art. 109 Abs. 3 GG aber grundsätzlich nicht beschränkt.
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Der zweite Halbsatz des Art. 109 Abs. 2 GG verpflichtet Bund und Länder, innerhalb des durch Art. 109 Abs. 2 HS 1 GG gesetzten Rahmens den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen. Die Verpflichtung auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht war erstmals durch die Haushaltsrechtsreform 1967/69 in das Grundgesetz eingefügt worden; die Föderalismusreformen der Jahre 2006 und 2009 haben diese Verpflichtung auch auf verfassungsrechtlicher Ebene in den Rahmen der europarechtlichen Anforderungen gestellt. Die Verpflichtung des Staates auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht beruht auf der in den 1960er Jahren[414] in den Vordergrund gerückten Vorstellung, dass der Staat mittels wirtschaftspolitischer Globalsteuerung[415] erheblich auf die Konjunktur Einfluss zu nehmen imstande ist. Diese, gerade auch mit Blick auf die Höhe der Staatsquote unterstellte Fähigkeit[416] sollte durch die Einfügung von Art. 109 Abs. 2 GG zur Konjunktursteuerung aktiviert und auf das Ziel des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts hin ausgerichtet werden[417].
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Normstrukturell handelt es sich bei Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG um eine Staatszielbestimmung[418], die rechtsverbindlich verlangt, die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts zu berücksichtigen. Als Staatszielbestimmung konkretisiert Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG nicht nur das Sozialstaatsprinzip[419] und das Rechtsstaatsprinzip als Garantie materieller Gerechtigkeit[420]; vielmehr stützt die Norm darüber hinausgehend den Fortbestand der staatlichen Rechtsgemeinschaft in ihren wirtschaftlichen Grundlagen als solchen ab.
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Die Regelung betrifft jegliches Staatshandeln, das Bedeutung für das gesamtwirtschaftliche Gleich- oder Ungleichgewicht haben kann, primär freilich die Haushaltswirtschaft einschließlich der Bewirtschaftung der Sondervermögen[421]. Als Staatszielbestimmung ermöglicht Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG eine Abwägung mit anderen Verfassungsprinzipien[422] wie etwa dem Umweltschutz (Art. 20a GG) oder auch der Sozialstaatlichkeit (Art. 20 Abs. 1 GG), soweit diese nicht schon dem Gleichgewichtsbegriff des Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG selbst immanent ist. In der Sache ist die Zielorientierung ebenso wie die Abwägungsfähigkeit in der Rechtsfolgenanordnung aufgenommen, nach der den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts „Rechnung“ zu „tragen“ ist. Soweit andere Bestimmungen des Grundgesetzes (insbesondere Art. 109 Abs. 3, Art. 115 GG) zwingende Regelungen treffen, können diese nicht unter Berufung auf Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG umgangen werden[423].
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Wie auch im Rahmen von Art. 109 Abs. 2 HS 1 GG stehen die Bundesglieder im Rahmen von Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG in je eigener Verantwortung. Insbesondere ergeben sich aus