Besonderes Verwaltungsrecht. Группа авторов
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Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG bietet auch keine eigenständige Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe in Rechte des Bürgers, etwa durch Preis- oder Lohnregelungen oder auch durch Maßnahmen der Investitionslenkung[427]. Wohl aber kann die Norm bzw. das ihr zugrunde liegende Verfassungsgut ergänzend zur Rechtfertigung von Grundrechtseingriffen herangezogen werden[428]. Individualrechte des Bürgers auf Einhaltung der Staatszielbestimmung begründet Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG nicht.
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Den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ist in dem Rahmen Rechnung zu tragen, der durch die Verpflichtungen gemäß Art. 109 Abs. 2 HS 1 GG gesetzt wird. Dies schließt Maßnahmen aus, die der Wahrung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts dienen sollen, dabei aber gegen die Vorgaben des Europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakts verstoßen, wie beispielsweise eine antizyklische Konjunktursteuerung, die zu EU-rechtlich untersagten Defiziten führt oder diese verschärft[429].
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Nach Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG muss das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht in diesem Rahmen als Zielsetzung in die staatlichen Entscheidungsprozesse mit einbezogen werden[430]. Dies präjudiziert zwar in aller Regel keine bestimmten Ergebnisse. Unzulässig wäre es aber, die Zielsetzung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts bei der Entscheidungsfindung zu übergehen. Die Anforderungen an die Erwägungen und auch Darlegungen[431] sind dabei grundsätzlich umso höher, je größer das von einer Entscheidung betroffene Finanzvolumen ist[432]. Das Grundgesetz verlangt damit und in diesem Umfang eine aktive staatliche Gleichgewichtspolitik[433], erteilt einen ausdrücklichen stabilitätspolitischen Auftrag. Dies umfasst auch stetige Beobachtungs-, gegebenenfalls Nachbesserungs- und Korrekturpflichten[434].
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Der Begriff des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts ist ein Begriff der ökonomischen Theorie. Als bewusst[435] unbestimmter Verfassungsbegriff[436] steht er eigenständig, ist aber einer einfachrechtlichen Konkretisierung zugänglich, die auf die ökonomische Theorie Bezug nehmen kann und sollte, ohne die Interpretationshoheit damit aber ausschließlich den Wirtschaftswissenschaften zu überantworten[437]. Eine solche Konkretisierung nimmt die – zum Kreis der Grundsätzenormen im Sinne von Art. 109 Abs. 4 GG gehörende – Bestimmung des § 1 Satz 2 StWG vor[438]. Wirtschafts- und finanzpolitische Maßnahmen sind danach mit Blick auf die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts so zu treffen, dass sie „im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung gleichzeitig zur Stabilität des Preisniveaus, zu einem hohen Beschäftigungsstand und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht bei stetigem und angemessenem Wirtschaftswachstum beitragen“[439]. Während die gleichzeitige Erreichung aller vier in § 1 Satz 2 StWG genannten Teilziele kaum zu realisieren ist (deshalb „magisches Viereck“), muss das Bemühen doch jedenfalls darauf gerichtet sein, den verschiedenen Zielen in einem dynamischen Prozess über die Zeit hin möglichst nahe zu kommen, wobei das eine oder andere Ziel je nach konjunktureller Lage in den Vorder- oder Hintergrund treten kann. Das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht und die einzelnen, in § 1 Satz 2 StWG herausgehobenen Indikatoren sind dabei, auch soweit Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG die Länder in die Pflicht nimmt, immer auf die Bundesrepublik Deutschland als Ganze zu beziehen[440].
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Mit Blick auf die Mittel zur Zielerreichung verpflichtet Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG weder zur Ausgestaltung eines bestimmten Wirtschaftssystems[441] noch zu einer bestimmten Gleichgewichtspolitik[442]. Freilich geht die Entstehung der Norm auf die Keynes‘sche Theorie der Konjunkturbelebung durch antizyklisch erhöhte – kreditfinanzierte – staatliche Nachfrage[443] („deficit spending“) zurück[444]. Doch ist Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG ungeachtet seiner Entstehungsgeschichte hinsichtlich der Steuerungsmittel grundsätzlich offen. Zu Recht stellt die moderne Theorie – angesichts der mittlerweile gewonnenen Erfahrungen – freilich primär auf strukturpolitische Ansätze zur Gleichgewichtssicherung ab.
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Im Angesicht der aktuellen Situation lässt sich aus Art. 109 Abs. 2 HS 2 GG, zumal in der Zusammenschau mit den Wertungen des Art. 109 Abs. 2 HS 1 GG und des Art. 109 Abs. 3 Satz 1 GG, auch die Verpflichtung ableiten, die übermäßig hohe, das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht nachhaltig gefährdende Staatsverschuldung abzubauen[445].
Elftes Kapitel Haushalts- und Abgabenrecht › § 66 Haushaltsrecht › D. Finanzplanung und Haushaltskreislauf
D. Finanzplanung und Haushaltskreislauf
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Die staatliche Haushaltswirtschaft strukturiert sich in die Phasen des Haushaltskreislaufs oder Budgetzyklus, der auf Bundesebene insgesamt etwa drei bis vier Jahre dauert. Man unterscheidet 1. die Aufstellung des Haushaltsplanentwurfs, 2. die parlamentarische Beratung und Feststellung des Haushaltsplans, 3. den Haushaltsvollzug und 4. die Haushaltskontrolle mit Rechnungslegung, Rechnungsprüfung und Entlastung. Die Phasen sind eng miteinander verzahnt und wirken teilweise auch auf Phasen nachfolgender Zyklen ein; so können sich die Ergebnisse der Haushaltskontrolle der abgelaufenen Haushaltsperiode auf den laufenden Haushaltsvollzug und auch auf die Planung der nächsten Haushaltsperiode auswirken.
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Der Haushaltskreislauf ist seinerseits eingebunden in eine mehrjährige Finanzplanung, die über den Zeitraum des Budgetzyklus hinausgreift und die Haushaltswirtschaft auf mittelfristige Perspektiven hin ausrichtet.
I. Mehrjährige Finanzplanung
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Die mehrjährige Finanzplanung, die im Zuge der Haushaltsrechtsreform 1967/69, also der Ausrichtung der Haushaltsplanung und -bewirtschaftung auf das gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht und hierzu auf die Konjunktursteuerung eingerichtet worden war, ist eine über die jeweilige Haushaltsperiode hinausreichende Vorausplanung der haushaltswirtschaftlichen Entwicklung[446]. Sie ist in ihrem Kern keine Aufgabenplanung, sondern baut auf die Fachplanungen der Ressorts auf und hat primär die Funktion, die finanziellen Grundlagen der künftigen Aufgabenerfüllung zu sichern. Soweit die finanzielle Planung auf die Fachplanungen zurückwirkt und hier zu Korrekturen Anlass gibt, kommt ihr aber durchaus – und zu Recht – auch aufgabengestaltende und Prioritäten ordnende Funktion zu[447]. Die mehrjährige Finanzplanung enthält damit analytische, prognostische und auch programmatische Elemente[448]. Sie soll zu Information, Transparenz, Koordination und Rationalisierung führen[449].
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Im Verhältnis der Staatsgewalten ist die mehrjährige Finanzplanung der Regierung zugeordnet[450]. Dies gilt jedenfalls, solange und soweit die Planung nicht in gesetzesförmlichen Entscheidungen mündet und die rechtlichen und faktischen Wirkungen auch darüber hinaus begrenzt bleiben[451]. Sachlich und zeitlich, zumal rechtsverbindlich