Südwärts. Ernest Henry Shackleton
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Am Morgen des 18. Dezembers fuhr die Endurance durch große Eisschollen, die mit dünnem Eis verbunden waren. Es gab nur wenige Fahrrinnen. Der Wind wehte mit gelegentlichem Schneegestöber aus Richtung Norden. Wir erlegten drei Krabbenfresserrobben – zwei Kühe und einen Bullen. Der Bulle war ein Prachtexemplar, fast ganz weiß und 9 Fuß 3 Zoll groß. Er wog 600 Pfund. Kurz vor Mittag machte dichtes Packeis jegliches Weiterkommen unmöglich. Wir warfen einen Eisanker auf die Scholle und drosselten die Maschinen. Ich war auf schlechte Bedingungen im Weddellmeer gefasst gewesen, hatte jedoch im Dezember und Januar zumindest auf lockeres Packeis gehofft, wenn es schon kein offenes Wasser geben sollte. Tatsächlich trafen wir aber auf ziemlich dichtes Packeis von der zähen Sorte. Packeis ließe sich als gigantisches, unermesslich großes, von der Natur entworfenes Puzzlespiel beschreiben. Im losen Packeis sind die Teile ein wenig verrutscht und in Unordnung geraten, an anderen Stellen sind sie wiederum zusammengedrückt. Im dichteren Packeis werden die zusammengedrückten Stellen größer und die Teile immer stärker ineinandergepresst, bis das Ganze eine geschlossene Packeisdecke bildet und man das Puzzle mit entsprechender Vorsicht zu Fuß überqueren kann. Wo die Teile nicht eng aneinandergefügt sind, befindet sich natürlich offenes Wasser, das innerhalb weniger Stunden gefriert, nachdem es jede Menge »Frostrauch« abgegeben hat. Unter dem herrschenden Druck bewegt sich das junge Eis wie ein Floß, wird dabei doppelt so dick und bekommt eine karamellartige Konsistenz. Wenn die Kanten der dicken Eisschollen aneinanderreiben, bäumen sie sich zudem in einem langsamen und fast stillen Kampf auf, bis jedes Puzzleteil von einer hohen »Hecke« umgeben ist. An den Übergängen der Schollen formen sich chaotische Flächen mit aufgetürmten Eisblöcken. Manchmal sieht man so ebenmäßig geformte Blöcke, die so exakt zu fünf bis sechs Fuß hohen Stapeln gefügt sind, dass man sie kaum für das alleinige Werk der Natur halten mag. Ein andermal kann ein gewundener Canyon von sechs bis zehn Fuß hohen Eiswänden durchzogen werden, oder ein unter Druck geformter Eisdom unter erneutem Druck wie ein Vulkan explodieren. Den ganzen Winter über befindet sich das treibende Packeis in ständiger Veränderung: Es wächst durch Gefrieren, verdichtet sich durch die Strömung und es verformt sich unter dem Druck. Wenn es auf seinem Weg schließlich auf eine Küste trifft, wie zum Beispiel die Westküste des Weddellmeeres, baut sich ein gewaltiger Druck auf, der ein Inferno von Eisblöcken, Klippen und Wällen entfacht, das sich 150 bis 200 Meilen ins offene Meer hinein erstrecken kann. Anteile des Presseises können anschließend fortdriften und verbinden sich mit neu entstehendem Eis.
Ich habe diese kurzen Erläuterungen hier gegeben, damit der Leser sich ein Bild von der Eislandschaft machen kann, durch die wir über Hunderte von Meilen unseren Weg bahnten. Ein anderer Punkt, der vielleicht einer Erklärung bedarf, ist die vom Wind verursachte Hemmung, der wir im Packeis ausgesetzt waren. Bei starkem Wind oder leichtem Sturm konnte das Schiff nur neues Eis bis zu einer Dicke von etwa zwei Fuß mit Sicherheit durchbrechen. Da solches Eis sich nie weiter als über ungefähr eine Meile erstreckte, mussten wir bei einem Sturm immer beidrehen. Das Schiff maß am Heck etwa drei Fuß und drei Zoll, was die Schiffsschraube und das Ruder zwar einigermaßen schützte, die Endurance im dichten Packeis aber praktisch unmanövrierbar machte, sobald der Wind eine Stärke von sechs Meilen die Stunde erreichte, da die Luftströme eine solch große Angriffsfläche besaßen. Der Winddruck auf Bug und Fockmast würden das Bug herumdrehen, sodass man das Schiff nicht durch die engen Fahrrinnen steuern könnte. Das Abfallen des Bugs würde zudem das Heck gegen das Eis drücken und uns zwingen, die Maschinen zu stoppen, um die Schiffsschraube nicht zu gefährden. Dann ließe sich das Schiff nicht weiter manövrieren und würde abtreiben, möglicherweise auch rückwärts, und dabei Steuerruder und Schiffsschraube beschädigen, die Achillesferse des Schiffs im Packeis.
Während wir auf Wetterbesserung und Lücken im Eis warteten, ließ ich die Lucas-Lotmaschine27 auf dem Ruderkasten anbringen und ortete eine Tiefe von 2810 Faden. Die Bodenprobe ging verloren, weil die Leine 60 Faden vom Ende abgerissen ist. Am Nachmittag kamen über eine Eisscholle drei Adeliepinguine nah ans Schiff, als Hussey seinem Banjo liebliche Musik entlockte. Die kleinen Vögel setzten eine feierliche Miene auf und schienen »It’s a Long Way to Tipperary« zu mögen, aber sie ergriffen voller Schrecken die Flucht, als Hussey ihnen eine Kostprobe schottischen Liedguts servierte. Die Lachsalven vom Schiff verdrossen sie noch mehr, sodass sie sich so schnell davonmachten, wie ihre kurzen Beine es erlaubten. Um 18:15 Uhr öffnete sich das Packeis ein wenig, und wir fuhren drei Stunden durch die Fahrrinnen, bis wir gezwungen waren, für die Nacht an einer Eisscholle vor Anker zu gehen. An diesem Tag schossen wir mit einer Hjort Markierungs-Harpune Nr. 171 auf einen Blauwal. Das Wetter besserte sich den ganzen 19. Dezember nicht. Ein frischer bis starker Wind aus Nord brachte Nebel und Schnee, und nach zwei Stunden Fahrt wurde die Endurance wieder von schweren Eisschollen gestoppt. Es war unmöglich, das Schiff zu manövrieren, weil der starke Wind die Eisschollen in Bewegung hielt und die Fahrrinnen sich in gefährlichem Tempo öffneten und schlossen. Die mittägliche Positionsbestimmung ergab, dass wir in den vergangenen vierundzwanzig Stunden sechs Meilen Richtung Süden zurückgelegt hatten. Alle Mann waren den ganzen Tag damit beschäftigt, Triebe von unseren Kartoffeln zu schrubben, die einfach zu keimen begonnen hatten. Wir blieben den ganzen nächsten Tag an einer Eisscholle festgemacht, da der Wind sich nicht legte, ja, er entwickelte sich am Nachmittag sogar zu einem leichten Sturm. Die Expeditionsteilnehmer und die Besatzung nutzten die Pause für ein heiß umkämpftes Fußballspiel auf der glatten Oberfläche der Eisscholle neben dem Schiff. Zu der Zeit waren zwölf Eisberge in Sicht. Unsere Mittagsposition war 62° 42' S und 17° 54' W und besagte, dass wir etwa sechs Meilen Richtung Nordost getrieben waren.
Am Montag, dem 21. Dezember, herrschte bei einer leichten Brise aus Westnordwest sehr schönes Wetter. Um 3 Uhr nachts machten wir uns auf den Weg südwestlich durch das Packeis. Bis zum Mittag waren wir sieben Meilen fast genau nach Osten versetzt worden, wobei das Packeis weiter nach Norden trieb und das Schiff sich scheinbar nach Süden bewegte. Es gab Scharen von verschiedenen Sturmvögeln, Pinguinen und Robben, und wir sichteten vier kleine Blauwale. Gegen Mittag bogen wir in eine lange Wasserrinne Richtung Süden und fuhren an neun imposanten Eisbergen vorbei. Ein mächtiges Exemplar war wie der Felsen von Gibraltar geformt, nur mit steileren Klippen, ein anderer besaß ein natürliches Hafenbecken, in dem die Aquitania28 Platz gefunden hätte. Ein Eisbrocken versperrte jedoch die Einfahrt zu diesem großen blauen Becken. Hurley holte seine Kamera hervor, um die Eisberge zu filmen. Den ganzen Nachmittag fanden sich immer wieder passierbare lange Wasserrinnen Richtung Ost und Südost durch die Eisberge hindurch, aber um Mitternacht wurde das Schiff von kleinen, schweren Eisschollen aufgehalten, die dicht gedrängt vor einer geschlossenen Eisfläche lagen. Der Ausblick vom Masttop war wenig ermutigend. Die enorme Eisscholle war mindestens fünfzehn Meilen lang und zehn Meilen breit. An der breitesten Stelle waren die Ränder nicht auszumachen, und die Gesamtfläche muss mehr als 150 Quadratmeilen betragen haben. Sie schien aus einem Jahr altem Eis gebildet zu sein, nicht allzu dick und nur wenig zerklüftet. Vermutlich war sie auf offener See bei ruhigem Wetter entstanden und