Self-Development And The Way To Power. L.W. Rogers

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Self-Development And The Way To Power - L.W. Rogers

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wohnte er selbst? Die Schmerzen hinter seinen Schläfen verstärkten sich jedes Mal, wenn er eine Antwort auf solche Fragen suchte. Auch seine Knie begannen dann wieder zu zittern. Daher schien es ihm ratsam, die Dinge auf sich zukommen zu lassen. Er reißt sich von den Plakaten los und geht weiter. In dieser Gegend waren die Häuser gepflegt und die Straßen sauber. Wenn überhaupt, so fanden sich hier bestimmt nur sehr wenige ungebundene Existenzen. Zu vielen Häusern gehörten hübsche Gärten. Hier hat er ein heimisches Gefühl, obwohl er Hunger und Durst verspürt. Auf der Treppe, die zu einer blauen Haustür mit Messingklopfer führt, entdeckt er zwei Milchflaschen. Er blickt sich um, steckt sich die eine rasch unter die Jacke und eilt davon. Sobald er sich unbeobachtet fühlt, zieht er die Flasche hervor und trinkt – in langen, gierigen Zügen. Das tut gut, und so nimmt er kaum wahr, dass ihn eine Frau, die mit dem Fahrrad vorüberfährt, verwundert anblickt. Er kommt sich nicht wie ein Dieb vor; schon eher als moderne Dickens-Figur. Er stahl aus einer Notsituation heraus und nicht aus niederen Motiven.

      Die Straße endet an einem weiteren Park. In einer Hecke entdeckt er eine Lücke, kriecht hindurch und findet sich auf einem Friedhof wieder. Offenbar einem sehr alten, teilweise überwachsenen. Einer Art Dschungel. Einige Bäume tragen welkes Laub, während andere ihre Blätter bereits verloren haben. Das Gelände ist etwas abschüssig und wird von mehreren Spazierwegen durchzogen. Hin und wieder bleibt er stehen, um die Grabinschriften zu lesen. Mitunter neigten sich die Kalksteine einander zu, als ob die Toten Kontakt suchten, um sich etwas zuzuflüstern. Eliza Dummet lehnte sich beispielsweise zu Thomas Foreman hinüber – vielleicht hatten sie sich einst geliebt. Es riecht nach Schimmel und Vergangenheit. Doch die Wege sind breit und gut begehbar. Er leert die Milchflasche und stellt sie vor ein relativ junges Grab. Die Leute werden annehmen, die Flasche diene als Blumenvase.

      Dann liest er den Text auf dem Grabstein:

      Gordon Bell

      (Middle name Ernest, though he

      placed no importance on it)

      20. 12. 1942 – 17. 3. 1993

      »Tomorrow do thy worst,

      for I have lived today«

      Die Briten waren seiner Meinung nach Weltmeister im Formulieren von Epitaphen. Er freut sich über das Wortspiel und macht sich Gedanken, was wohl auf seinem Grabstein stehen wird, wenn die Zeit gekommen ist. Das waren nur flüchtige Morgengedanken über ein Thema, das ihn selten beschäftigt, ihm aber dennoch merkwürdig vertraut vorkommt – der Tod. Der konnte in seinem Fall noch lange auf sich warten lassen. Nach dem Gesicht zu urteilen, das er gestern im Spiegel gesehen hatte, dürfte er kaum älter als fünfzig sein. Er rechnet rasch nach und stellt fest, dass Gordon Bell, als er das Zeitliche segnete, ungefähr im selben Alter war. Dennoch schlendert er zufrieden weiter, unbeeindruckt von dieser Entdeckung. Bald ist es Weihnachten und die Vögel in den Büschen geben seltsam exotische Laute von sich. Mögliche Sorgen hatte er mit der letzten Nacht hinter sich gelassen.

      Dieser Ort gefällt ihm und er bleibt lange. Wandert systematisch auf den schmalen und breiten Wegen umher. Wenn er nicht geht oder ausgedehnte Pausen auf einer der vielen Bänke macht, versucht er, einige der fast unleserlichen Inschriften zu entziffern. Da ihm viele Namen bekannt vorkommen, scheint es sich nicht um einen x-beliebigen Friedhof zu handeln. Er lauscht dem entfernten Rauschen des Verkehrs und versucht den Hunger zu vergessen.

      Es würde sich schon alles wieder einrenken.

      Eine ganze Weile später, als der Kiesweg eine Biegung macht, kommt er zu einer Grabstelle, die größer und prächtiger ist als die meisten anderen. Frische Blumen liegen am Fuße des wuchtigen, im unteren Teil fast quadratischen Obelisken, der die goldenen Lettern trägt: Workers of all Lands Unite. Der große und etwas dunkler gehaltene Kopf auf der Spitze des Monuments trägt einen dichten Bart und scheint unbekümmert in die Zukunft zu blicken. Er hatte den Mann sofort erkannt. Deshalb also. Einige Menschen starben nie. Für einen Augenblick sieht er sich im Geiste selbst als Redner vor einer Gruppe junger Leute.

      Wusstet ihr nicht, dass Karl Marx in England begraben ist? Doch, das ist er, auf dem Highgate-Friedhof in London, auf dem viele Berühmtheiten liegen.

      Diese Erkenntnis, die er früher erworbenem Wissen verdankt, nämlich die Einsicht in seinen momentanen Aufenthaltsort, obwohl er vermutlich noch nie hier war, registriert er mit einem gleichgültigen Schulterzucken. Das Wichtigste war, dass er sich gut fühlte und nicht von unangenehmen Gedanken gequält wurde. Die Schmerzen hinter den Schläfen gehörten der Vergangenheit an, waren nur eine Fata Morgana gewesen. Der Sand im Stundenglas rieselte leicht und lautlos durch die Verengung und eine ganze Wüste sorgte offenbar für Nachschub. Er geht weiter und wundert sich über den fernen Gesang, der an seine Ohren dringt. Er versucht, den monotonen Klang zu lokalisieren und entdeckt in einiger Entfernung ein frisch ausgehobenes Grab, vor dem ein Gruppe von Männern in langen Mänteln Aufstellung genommen hat. Er ahnt die dunklen Anzüge, die sich darunter verbergen. Ein weißer Sarg wird langsam in die Erde gesenkt und der Pfarrer spricht mit eintöniger Stimme ein paar Worte. So früh am Morgen? Es war noch nicht einmal zehn Uhr.

      Er nähert sich langsam und reiht sich unauffällig in die hintere Reihe des halbrunden Kreises ein. Die Männer machen ihm Platz, ohne ihn anzusehen. Nachdem man Erde auf den Sarg geworfen hat, tritt der Pfarrer ein paar Schritte zurück, und ein glatzköpfiger Mann lässt eine schneeweiße Blume in die Öffnung fallen. Danach rezitiert er einige Strophen von Thomas Hardy, die ihm bekannt sind. Eine lautet folgendermaßen:

      Love laid his sleepless head

      on a thorny rosy bed;

      and his eyes with tears were red,

      and pale his lips as the dead.

      Als am Ende noch ein Kirchenlied gesungen wird, kommt ihm alles wie eine Komödie vor, ein gespieltes Begräbnis, eine Fernsehproduktion. Nur die Kameras fehlen. Vielleicht liegt das an dem Mann, der neben ihm steht und im Gegensatz zu ihm den Text nicht beherrscht. Er hat eine bürstenartige Frisur, nicht eine Träne in den Augen und brummt unbeschwert mit. Als werde die Trauer über den Verstorbenen von einer großen Portion Erleichterung aufgewogen. Als die Töne verklingen, dreht ihm der Mann sein Gesicht zu, setzt seinen Hut auf – er ist einer der wenigen mit Kopfbedeckung – und sagt leise:

      »Jaspar war schon ein netter Kerl, doch auf Dauer ziemlich anstrengend.«

      Er nickt geflissentlich, wie ein Mitwisser, obwohl er den Toten überhaupt nicht kennt. Doch inzwischen hat er alle Hemmungen abgelegt und sich entschieden, dass ihm diese Menschen sympathisch sind. Jeder Einzelne macht einen freundlichen Eindruck, und man spürt deutlich, dass nicht alle miteinander bekannt sind. Was ihm ermöglicht, sich selbst in diesen Kreis zu integrieren, ohne aufzufallen. Bei den meisten Begräbnissen traf man schließlich auf Menschen, die man nie zuvor gesehen hatte, weil allein der Verstorbene Kontakt zu ihnen gepflegt hatte. Als könne sein Nebenmann Gedanken lesen, fährt er mit tiefer Stimme fort:

      »Kannten Sie ihn gut?«

      »Nein ... das will ich nicht gerade behaupten. Ich ...«

      »Eine lose Verbindung?«

      »Ja, so kann man es ausdrücken.« Er hat das Gefühl, sein Englisch hört sich nicht gerade perfekt an.

      »Aber Sie kommen doch noch auf einen Happen mit in den Pub?«

      »Nun ...« Dann nickt er – hungrig – und hofft, dass es sich nicht um dasselbe Lokal handelt wie gestern Abend.

      Der Mann mit dem Hut scheint auch nur wenige der anderen Männer zu kennen. Gemeinsam gehen

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