Kapitalismus, was tun?. Sahra Wagenknecht

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Kapitalismus, was tun? - Sahra  Wagenknecht

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haben diese Analysten gelogen, natürlich haben sie, in vielen Fällen wissentlich, Tausenden Kleinsparern Aktien von Beinahe-Pleite-Unternehmen als hochlukrative Anlage aufgeschwatzt. Aber das war der Job, für den sie bezahlt wurden. Die öffentlich agierende Analystenzunft an der Wall Street war nie etwas anderes als die Werbekolonne der bankinternen Investment-Abteilung, und ein Blick auf die Hierarchie der Geschäftsbereiche hätte genügt, um bereits vor drei Jahren zu wissen, dass es so war.

      Aber nicht jene Analysten und nicht Greenspan haben die Amerikaner um ihre Spargelder und ihre Alterssicherung gebracht, sondern diejenigen, die die öffentlichen Sicherungssysteme auf jenes armselige Niveau herunterdrückten, das private Vorsorge unerbittlich erzwingt. Und der Keim für die jetzige Krise liegt nicht in falscher Zinspolitik, sondern in jenen Hundelöhnen, die während des gesamten angeblichen »Booms« am unteren Ende gezahlt werden konnten, weil eine nach fünf Jahren auslaufende Sozialhilfe immer mehr Menschen zwang, den Job trotzdem anzunehmen. Verwunderlich ist nicht der jetzige Zustand der US-Wirtschaft, sondern allenfalls die lange Zeitspanne, in der trotz massivster Einkommensumverteilung von unten nach oben das Desaster hinausgeschoben werden konnte.

      Bush schreibt mit dem geplanten Steuersenkungspaket im Volumen von 674 Milliarden Dollar, deren Nutznießer nahezu ausschließlich der reichen Oberschicht angehören, diesen Trend fort. Außerdem bewirkt ein Wegfall öffentlicher Einnahmen in dieser Größenordnung bei gleichzeitig exorbitant steigenden Militärausgaben naturgemäß tiefrote Zahlen im öffentlichen Haushalt, also steigenden staatlichen Kapitalbedarf, der die Renditen am privaten Kapitalmarkt wieder nach oben treiben wird. Ein schwacher Dollar und ein täglich mit mehreren Milliarden zu finanzierendes Leistungsbilanzdefizit wirken ebenfalls in diese Richtung. Mögliche kriegsbedingte Inflation und ein hoher Ölpreis dürften das ihre dazu beitragen, die Fed unter Druck zu setzen, auch die offizielle Zinsschraube wieder nach oben zu drehen, was angesichts des riesigen Schuldenbergs amerikanischer Verbraucher und Unternehmen den verbliebenen Resten ziviler Wirtschaftsaktivität in den Vereinigten Staaten den Todesstoß versetzen kann. Vielleicht, um dann nicht wieder der Buhmann zu sein, hat Greenspan Bushs Pläne dieser Tage öffentlich kritisiert und auf die Folgen hingewiesen. Helfen wird es ihm wenig. Der Kapitalismus hat halt ein Kurzzeitgedächtnis.

      15. Februar 2003

      Wirtschaftskrieg

      Die Demütigung sitzt tief; man schweigt verstimmt. Die Rating-Agentur Standard & Poor’s hat die Kreditwürdigkeit des Stahlkonzerns Thyssen-Krupp auf Junk-Bond-Niveau herabgestuft. Junk Bonds – zu deutsch: Schrott- bzw. Ramsch-Anleihen – begeben in der Regel Firmen mit zweifelhaftem Finanzgebaren, schwer durchschaubarem Geschäftsmodell und überbordenden Schulden, auf deren Fortexistenz man besser nichts verwetten sollte; auch einige Dritte-Welt-Staaten (insbesondere solche mit der sympathischen Eigenheit, Zinszahlungen auf ihre Schulden zuweilen auszusetzen) finden sich in dieser Rating-Rubrik. Gekauft werden derartige Papiere in der Regel von Hedgefonds und anderen Spekulations-Liebhabern, die versuchen, ihr Auf und Ab in schnelle Gewinne umzumünzen. Wer eher langfristige Kuponabschneiderei im Sinn hat, lässt die Finger davon; Versicherungen und Pensionsfonds ist es in vielen Ländern gesetzlich untersagt, das Geld ihrer Anleger für derlei Zeug zu verausgaben. In dieser Gesellschaft befindet sich also jetzt der vor wenigen Jahren fusionierte Traditionskonzern Thyssen-Krupp, Mitte des letzten Jahrhunderts eine der Machtbasen des deutschen Imperialismus, rühriger Hitler-Finanzier, Antreiber wie Profiteur des Weltkriegs-Kurses – und jetzt ein Schrott-Bond, welche Erniedrigung!

      Sicher, Herabstufungen der Kreditwürdigkeit sind in Krisenzeiten nicht selten. Allein 2002 verloren 25 Unternehmen ihren »Investitionsstatus«, darunter elf europäische. Die Folgen für die Beschäftigten sind in der Regel fatal, denn ein Unternehmen, über das das Rating Duopol aus Moddy’s und S & P den Daumen senkt, gerät in einen Kreislauf rigider Sparprogramme, rüder Entlassungswellen und oft genug dennoch weiter wachsender Schulden. Am Ende steht nicht selten die Insolvenz. »Gefallene Engel« – so heißen die Ramsch-Unternehmen in der zartfühlenden Sprache der Börsenhaie – werden meist innerhalb eines Jahres noch einmal herabgestuft. Beispiele, in denen der ursprüngliche Status zurückerobert werden konnte, gibt es kaum. Der Grund liegt einfach darin, dass kapitalistische Märkte immer nach dem Prinzip »Wer hat, dem wird gegeben« funktionieren. Ein guter Rating-Status ist bares Geld wert; sein Verlust bedeutet steigende Zinskosten. Für Thyssen-Krupp liegt die künftige Mehrbelastung nach eigenen Angaben bei zwanzig Millionen Euro jährlich. Um sich ein Bild zu machen: Die Zinsaufschläge von Junk-Bonds mit Ratingnoten Doppel-B (dies ist der Wert, der Thyssen-Krupp jetzt verpasst wurde) lagen Ende Oktober 2002 in den USA bei gut 10,4 Prozent; Firmen am unteren Rand der sogenannten »Investitionsklasse« müssen dagegen nur 7,4 Prozent berappen; »erstklassige Schuldner«, zu denen derzeit vor allem US-Rüstungsschmieden und Ölkonzerne gehören, zahlen unter fünf Prozent.

      Die Herabstufung von Thyssen-Krupp durch S & P passt freilich in einem Punkt nicht ganz ins übliche Bild. Der Stahlriese hat seine Schulden in den letzten Jahren nicht aus-, sondern abgebaut. Stand der Konzern unmittelbar nach der Fusion mit 8,3 Milliarden Euro in der Kreide, sind davon heute nur noch 4,9 Milliarden übrig. Auch die Profite können sich sehen lassen. Der letzte Quartalsgewinn lag bei 141 Millionen Euro; die interne Kapitalverzinsung beträgt sieben Prozent. Konzernchef Schulz entrüstet sich denn auch: »Angesichts der Tatsache, dass wir unsere Verschuldung innerhalb von zwei Jahren um fast vier Milliarden Euro abgebaut haben, verstehen wir den Schritt überhaupt nicht.« Aufhänger für die Herabstufung ist eine mögliche Unterdeckung bei den Pensionsverpflichtungen von Thyssen-Krupp. Anders als bei seinem letzten Rating vor zwei Jahren behandelte S & P die Pensionsverpflichtungen des Konzerns diesmal wie normales Fremdkapital. Die künftigen Rentenansprüche der Mitarbeiter in Höhe von 7,1 Milliarden Euro wurden somit den Finanzschulden einfach hinzugerechnet, was die Relation zwischen Schulden und Eigenkapital drastisch verschlechterte. Nun muss man wissen, dass ein Spezifikum des deutschen Betriebsrentensystems gegenüber dem amerikanischen gerade darin liegt, dass viele Firmen Einzahlungen ihrer Mitarbeiter bis zur Fälligkeit als billiges Quasi-Eigenkapital nutzen und die Pensionen anschließend aus den laufenden Zahlungsüberschüssen begleichen. Im Gegensatz dazu ist auch die betriebliche Altersvorsorge in den USA in Pensionsfonds ausgelagert, die das Geld in Aktien – bevorzugt natürlich des eigenen Unternehmens – investieren. In letzterem Fall schlägt es auch formal als Eigenkapital zu Buche. In beiden Fällen hängt die Alterssicherung der Mitarbeiter am Zukunfts-Profit des Konzerns; der Unterschied ist, dass die betrieblichen Zahlungsüberschüsse in der Regel weniger heftig schwanken als der Aktienkurs, das hiesige System deshalb nicht ganz so krisenanfällig (und krisenverstärkend!) ist. Die US-Pensionsfonds weisen dank Börsencrash derzeit eine Deckungslücke von zwanzig Prozent aus.

      Die Entscheidung im Falle Thyssen-Krupp ist somit keineswegs nur eine Entscheidung im Fall Thyssen-Krupp. Die 24 Industrie- und Dienstleistungsunternehmen im Dax haben Pensionsverpflichtungen im Wert von insgesamt 150 Milliarden Euro. Erfasst man diese künftig einfach als Schulden, verschlechtert sich die für den Rating-Status entscheidende Relation von Netto-Schulden zu Eigenkapital im Schnitt von eins auf 1.3. Besonders stark betroffen wären RWE, Lufthansa, Deutsche Post und MAN, von denen einige in der Tat bereits auf der S & P-Beobachtungsliste stehen.

      Betriebswirtschaftlich spricht für die neue Sichtweise wenig. Dass Rating-Agenturen sich allerdings durchaus nicht nur in den höheren Sphären der Wirtschaftswissenschaft bewegen, sondern zuweilen sehr irdischen Interessen folgen, zeigte schon die Rücknahme der Bonitätsbewertung einer iranischen Staatsanleihe durch Moody’s im Frühsommer letzten Jahres, nachdem das Weiße Haus gegen die Bewertung interveniert hatte. Die vor wenigen Jahren unter Linken verbreitete These, die Globalisierung schaffe ein universell vereintes und jedenfalls nicht mehr national bzw. regional spezifische Interessen verfolgendes Weltkapital wird angesichts der aktuellen Auseinandersetzungen um den Irak-Krieg wohl Anhänger verloren haben. Der alte Lenin gilt aber nicht nur am Golf: In der Krise wird Kapital besonders kriegshungrig; und auch Wirtschaftskrieg ist eine Form von Krieg.

      1. März 2003

      Thatcher

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