Kapitalismus, was tun?. Sahra Wagenknecht
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Auch außerhalb des Ölsektors ist die Konkurrenz rührig. Der deutsche Export in den Irak stieg allein in den ersten drei Monaten 2002 um 46,6 Prozent. Frankreich ist nicht weniger aktiv. Russland bestätigte im August Informationen über ein fast unterschriftsreifes Kooperationsabkommen im Volumen von 40 Milliarden Dollar.
Ohne Krieg droht den USA nachhaltiger Einflussverlust in der Region. Daher Bushs forciertes Engagement und die europäische Unlust. Wer den Fuß bereits in der Tür hat, der freut sich nicht, wenn ein anderer Kanonen in Stellung bringt, um das Schloss zu zerschießen. Speziell für deutsche Konzerne gibt es zudem im Ölsektor wenig zu holen. Eon und RWE haben ihr Ölgeschäft in den letzten Jahren an BP und Shell abgegeben und sich stattdessen auf Strom, Gas und Wasser konzentriert. Nicht Pazifismus, sondern schlichtes Profitkalkül wird Schröder davon abhalten, deutsche Truppen vom Hindukusch weg an den Golf zu verlegen. Aber Einfluss in der strategisch hochwichtigen Golf-Region einfach aufgeben mag wiederum auch nicht, wer Weltmacht-Ambitionen hegt. Denn klar ist: Die USA werden die Beute teilen müssen, wollen sie den Krieg ohne allzu großen Krach mit den Europäern oder gar mit UNO-Mandat führen. Aber sie werden nur mit denen teilen, die mitziehen. Fischer hält sich bereit.
4. Januar 2003
Flaute überall
Ein Umsatzwachstum von 5,5 Prozent hatte Metro-Chef Körber seinem Unternehmen für 2002 vorausgesagt. Erreicht allerdings wurden, wie der Handelskonzern jetzt bekanntgab, nur vier Prozent, und auch die nur dank des Auslandsgeschäfts. Jenseits deutscher Grenzen konnte die Metro ihren Verkauf um immerhin acht Prozent auf 23,8 Milliarden Euro steigern; bundesdeutsche Verbraucher dagegen schoben mit Waren im Wert von 27 Milliarden Euro gerade so viel in ihren Wagen an die Metro-Kasse wie ein Jahr zuvor. Ähnlich erging es dem Hagener Douglas-Konzern. Der Kosmetikanbieter für den »gehobenen Bedarf« konnte seinen Umsatz im letzten Jahr um zwei Prozent erhöhen, auch das aber nur dank Aquisitionen und Neueröffnungen im Ausland. Auf dem bundesdeutschen Markt schrumpfte der Erlös um 0,7 Prozent.
Die Analysten waren enttäuscht, die Aktien beider Unternehmen wurden in den Keller geschickt. Und dabei stehen Metro AG – als Konsummeile der Selbständigen, die im Schnitt immer noch mehr verdienen als der Rest des Volks – und Douglas Holding – deren Kundschaft ebenfalls kaum dem Milieu der Arbeitslosen und Billigjobber entstammt – im Vergleich des deutschen Einzelhandels noch recht gut da. Denn dieser kämpfte schon zu Zeiten mit stagnierenden Umsatzzahlen, als Metro und Douglas sich noch in goldenen Bilanzen sonnten. Inzwischen ist aus der Stagnation eine tiefe Krise geworden.
Im ersten Halbjahr 2002 – als die SPD gerade ihr schönes Plakat »Der Aufschwung kommt« präsentierte (das aus Pietätsgründen dann aber doch nicht geklebt, sondern in voller Auflage einer Firma für Altpapier-Recycling übergeben wurde, der es vielleicht zu einem kleinen Aufschwung verhalf) – lag das Minus im deutschen Einzelhandel bei fünf Prozent. Für das gesamte Jahr soll der Rückgang mindestens drei Prozent betragen. Die einzigen, die ihren Absatz vergrößern konnten, sind Billig-Discounter wie Aldi und Lidl – und zwar dank jener Kunden, die ihr Frühstücksei im Vorjahr noch bei Kaiser’s und Rewe gekauft hatten. Wenig von der Krise spüren außerdem bisher nur die teuersten Luxus-Marken und Nobelanbieter, deren Kundenkreis über die Oberen Zehntausend kaum hinausreicht.
Ansonsten herrscht Katzenjammer über Konsumunlust und über »zurückhaltende« Verbraucher, die nicht mal vor Weihnachten ordentlich ihre Geldbeutel zücken und so den Aktionären die Dividende vermiesen. Dass die Leere in ersteren etwas mit der Höhe der letzteren während der vergangenen Jahre zu tun haben könnte, bleibt tunlichst unerwähnt. (Dabei ließe sich Interessantes über den Kausalzusammenhang zwischen wachsender Mehrwertrate und wachsenden Schwierigkeiten der Mehrwertrealisierung bei einem Ökonomen namens Karl Marx nachlesen. Selbiger Wissenschaftler hat auch das scheinbare Paradox erörtert, dass forcierte Ausbeutung sich unter Umständen gar nicht auszahlt und auch deren Antreiber und Nutznießer am Ende weniger haben. Obwohl mittlerweile fast 150 Jahre alt, wirken seine Schriften irgendwie aktueller als die vor drei/vier Jahren modernen Elaborate der New-Economy-Propheten, die – nicht zum ersten Mal – die Umwertung aller Werte und die Aufhebung aller bis dato geltenden kapitalistischen Entwicklungsgesetze beschworen und auch im linken Spektrum emsige Nachbeter fanden. Aber das nur nebenbei.)
Inzwischen haben sämtliche Wirtschaftsinstitute ihre Prognose für 2003 nach unten revidiert. Selbst die Bundesregierung erwartet – nach einem kabarettauglichen Streit zwischen Eichel und Clement, in dem letzterer mit dem Argument »Wir müssen Optimismus verbreiten« an der irrealen Wachstumsprognose von 1,5 Prozent für 2003 festzuhalten verlangte – jetzt nur noch ein »Wachstum« von einem Prozent. Offiziell. Im Ernst glaubt wohl auch daran keiner mehr. Denn woher soll’s kommen? Die inländische Nachfrage nach Konsum und Investitionen ist 2002 um insgesamt 1,3 Prozent geschrumpft. Ausschließlich dem um 2,9 Prozent gestiegenen Export ist zu verdanken, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) mit einem Plus von insgesamt 0,2 Prozent ausgewiesen werden konnte. Diese Zahl macht übrigens auch die Mühe begreiflich, die die Statistiker darauf verwandten, die Inflationsrate trotz spürbarer Teuerung bei Grundnahrungsmitteln und Dienstleistungen in Höhe von 1,3 Prozent einzufrieren. Denn da das reale BIP aus dem nominalen abzüglich Inflationsrate errechnet wird, vermindert jeder zusätzliche Prozentpunkt Inflation die dokumentierte Wirtschaftsleistung. Im Klartext: Bei einer Inflationsrate oberhalb 1,5 Prozent hätte zugestanden werden müssen, was aller Schönwetter-Propaganda zum Trotz ohnehin jeder spürt: dass eine Rezession der deutschen Wirtschaft nicht nur droht, sondern seit einem Jahr Realität ist.
Und nichts spricht für baldige Erholung. Der private Verbrauch wird 2003 dank Schröders neuer Runde an Sozialkürzungen und sonstigen Zusatzbelastungen, außerdem durch steigende Arbeitslosigkeit, dürre Tarifabschlüsse und be-Hartztes Lohndumping voraussichtlich noch tiefer gedrückt. Die öffentlichen Ausgaben werden zusammengestrichen, wo keine starke Lobby Beibehaltung erzwingt. Das alles stimuliert keine neuen Investitionen, zumal mittlere Unternehmen mit geringer Eigenkapitaldecke immer größere Probleme haben, überhaupt noch Kredit zu bekommen. Und das Ausland? Die Beschäftigten anderer europäischer Länder haben zwar, sofern mit kämpferischeren Gewerkschaften gewappnet, in den vergangenen Jahren höhere Lohnabschlüsse durchgesetzt als hierzulande üblich. Inzwischen aber rollt auch da die Entlassungswelle. Der durchschnittliche US-Verbraucher ist hochverschuldet und bangt ebenfalls um seinen Job. Ein einziges Szenario fällt dem Handelsblatt ein, das Aufschwung verheißen könnte: »Wenn die USA einen Krieg rasch für sich entscheiden, könnte der Ölpreis wie ein Stein zu Boden fallen und die Börsen boomen. Die Weltwirtschaft würde durchstarten, selbst Deutschland könnte sich dann einer Erholung nicht mehr entziehen.« Nun ja, bis zur nächsten Krise und zum nächsten Krieg?
18. Januar 2003
Voodoo-Ökonomie
»Voodoo-Ökonomie« sei das, was Eichel betreibe, donnerte der wahlkampfgestresste niedersächsische Noch-Ministerpräsident Gabriel dieser Tage gegen seinen Parteikollegen im Finanzministerium. Auf Eichels Pfaden sei das Ziel, bis 2006 einen ausgeglichenen Haushalt vorzulegen, nimmer erreichbar, erläuterte er dem Tagesspiegel. Wo der Mann recht hat, hat er recht. Ob allerdings die von Gabriel angeregte Abschaffung des Branntweinmonopols – Einsparbetrag maximal 100 Millionen Euro – Eichel seinem Ziel wesentlich näher brächte, darf bezweifelt werden. Allein die Wiedereinführung der Vermögenssteuer würde das mehr als Hundertfache bringen. Aber da diese Steuer seit des Kanzlers Rüffel auch für Gabriel tabu ist, quält er in Wiederwahlnot seinen und seiner Mitarbeiter Köpfe mit dem Aufspüren von »ungenutzten sinnvollen Einsparpotenzialen« (Gabriel), die Konzernbossen und Geldadel nicht wehtun, ihm, Gabriel, aber auch nicht noch den letzten Arbeitslosen als Wähler verprellen. Der Branntwein-Vorschlag zeigt, was bei derlei Gedankenakrobatik herauskommt.
Eichel wird die Pöbelei von der halblinken Flanke mit Fassung ertragen haben, denn es kann ausgeschlossen