Griechische Mythologie. Ludwig Preller
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Als die Griechen die ausländischen Culturelemente ihres Landes in ihr eigenstes Blut umgesetzt hatten und sich in einem reichen Strome von Auswanderungen und Ansiedelungen über die Inseln und Küsten des Ostens und Westens ergossen, hat unter andern Gottesdiensten und Sagen vorzüglich der Aphroditedienst eine durchgreifende Umbildung erfahren. Wir begegnen demselben in älteren und jüngeren Formen sowohl bei den Ioniern von Athen bis Milet und seinen Colonien als bei den Doriern von Rhodos und Knidos bis Kyrene. Wie die Sagendichtung seitdem die gegebenen Elemente veredelt und mit den hellenischen Stoffen und Vorstellungen verschmolzen hat, davon können besonders die Kyprien und der Homerische Hymnus auf Aphrodite einen Begriff geben. Doch lehrt eben jenes für die Sagengeschichte des trojanischen Kreises sehr wichtige Gedicht und schon durch seinen Namen, daß Kypros und seine Aphrodite nach wie vor ein Vorrecht und das höchste Ansehn behauptete, nur daß sich auch hier seitdem die hellenischen und orientalischen Culturelemente mit einander vermischten und neue Formen gleichsam eines ersten Hellenismus schufen, wie es einen solchen überhaupt schon lange vor Alexander d. Gr. gegeben hat. Salamis auf Cypern, welches seine Bewohner von Athen und der Insel Salamis ableitete und wo die Feste der Kypris durch poetische Wettkämpfe verherrlicht wurden747, scheint ein alter Mittelpunkt dieser hellenisirenden Sagenbildung gewesen zu sein, deren Früchte die Dichtungen vom Kinyras, vom Pygmalion, vom Adonis, vom Anchises, von Paris und Helena waren.
Die allgemeine Folge dieser geschichtlichen Verhältnisse ist ein Schwanken der die Aphrodite betreffenden Sagen zwischen griechischer und orientalischer Anschauung. So ist gleich die Dichtung von der Geburt und Abkunft dieser Göttin eine doppelte, principiell verschiedene. Einmal jene ältere und hellenische, wo Aphrodite als Tochter des Zeus (Διὸς κούρη Il. 5, 312) und der Dione in das Olympische Göttersystem eingereiht wurde, eine Genealogie welche auch später namentlich bei den Dichtern ihr Ansehn behauptet hat, so daß selbst die kyprische Aphrodite nicht selten Tochter der Dione genannt wird748, oder mit der Zeit, nach dem Vorgange des dodonaeischen Gottesdienstes wie es scheint, Dione und Aphrodite auch wohl völlig gleichgesetzt wurden749. Zweitens die Hesiodische, welche ausdrücklich auf den Cult von Kythera und Kypros zurückgeht (th. 188–206), also orientalischen Ursprungs ist. Auch entspricht dieser Mythus ganz dem Wesen jener Urania, welche zugleich eine himmlische Göttin, eine Göttin der beruhigten Fluth und eine Göttin der von dem Anhauche des Frühlings befruchteten Erde ist. Das vom Kronos mit seiner Sichel abgeschnittene Zeugungsglied des Uranos fällt nach dieser Dichtung in das Meer und schwimmt in demselben lange umher, bis aus dem aufgährenden Schaume die Göttin geboren ward, welche die Griechen deshalb Ἀφροδίτη d. h. die Schaumgeborne genannt glaubten750, worauf sie zuerst in den Gewässern von Kythera erschienen, dann auf der meerumflossenen Kypros ans Land gestiegen sei, »die schöne und würdige Göttin, der Rasen schwoll unter ihren Füßen, als sie leichten Schrittes dahinwandelte, und Eros begleitete sie und der schöne Himeros, als sie sich in die Mitte der Götter begab. Das ist ihre Ehre und ihr Antheil unter den Menschen und den unsterblichen Göttern, magdliches Kosen und Lächeln und Schalkhaftigkeit, süße Lust und Liebe und sanfte Anmuth.« Ein Thema welches in den folgenden Zeiten in vielen Dichtungen und Kunstwerken weiter ausgeführt wurde, die sie als Ἀναδυομένη d. h. die aus dem Meere Auftauchende feierten. Ein sanfter Hauch des Zephyrs hat sie im weichen Schaume der bewegten Fluth zu Kypros ans Land getragen, wo die Horen sie empfingen, bekleideten und köstlich schmückten und darauf zu den unsterblichen Göttern führten, welche sie von solcher Schöne entzückt begrüßten, ein jeder hätte sie gerne zur Gattin gehabt, die veilchenbekränzte Kythereia (Hom. H. 6). Oder wie Phidias es in einer schönen Gruppe am Piedestal seines Olympischen Zeuscolosses ausgedrückt hatte, wie Eros die aus dem Meere Auftauchende am Lande empfing, Peitho sie bekränzte und alle Götter des Himmels, der Erde und des Meeres anstaunend sie umgaben751. Oder man schilderte und malte Thalassa, die personificirte Meeresgöttin, wie sie die Neugeborne aus ihrer Fluth emporhielt und die Nereiden, die Tritonen und andre Geschöpfe des Meeres sie mit jubelndem Chore begrüßten, oder wie sie mit tropfenden Locken aus dem sanft bewegten Gewässer als größtes Wunder der Schöpfung emportauchte, oder so wie man auf der Insel Kythera erzählte, daß eine Muschel die Neugeborne, nur mit dem natürlichen Reize ihrer Schönheit Bekleidete, bei ihnen zuerst ans Land getragen habe752.
Auf solche Weise haben die Griechen mit ihrem unvergleichlichen Schönheitssinn jenen bei Hesiod noch unschönen Mythus zu einer lieblichen Dichtung umgeschaffen, welche die Kunst begeisterte, während die Philosophen, namentlich die älteren Naturphilosophen, nicht zögerten sich den Begriff einer weiblichen Macht der Liebe, welche Himmel Erde und Meer und alle sichtbaren Erscheinungen zum schönen Kosmos verband, auch für ihre Zwecke anzueignen. In diesem Sinne dichteten Parmenides und Empedokles von der himmlischen Liebesgöttin, und viele anderen Dichter sind ihnen gefolgt, Aeschylos und Euripides753, und später Lucrez, welcher in seiner begeisterten Ansprache an die Venus Genetrix der Aeneaden, die keine andere als die Urania ist, ihre Macht über alle drei Naturgebiete, Himmel Meer und Erde, ausdrücklich hervorhebt, endlich Virgil und Ovid754 und andre Dichter bis hinab zu den Orphischen Hymnen. Dagegen die ethische Philosophie zu einer Unterscheidung der Aphrodite Urania und der Aphrodite Pandemos geführt hat, welche wenigstens für die Mythologie nicht zu brauchen ist. Die Urania wurde nehmlich nun, soviel wir wissen seit Plato, als eine Göttin der reinen und ehelichen Liebe von der Pandemos als Göttin der vagabunden Liebe und der Prostitution auch genealogisch unterschieden, indem man jene eine Tochter des Himmels und die ältere, diese eine Tochter des Zeus und der Dione und die jüngere nannte755; da Urania doch in der That ursprünglich so gut wie die Venus des Meeres und des Erdelebens eine physikalische Macht ist und so gut wie die Pandemos als eine Göttin der Prostitution verehrt wurde, während diese letztere eigentlich umgekehrt einen mehr ethischen und politischen als physikalischen Sinn, nehmlich den einer römischen Concordia gehabt zu haben und erst durch Solon zur Göttin der Prostitution geworden zu sein scheint. Ja Aphrodite Urania wurde in Athen selbst als Gartengöttin verehrt, also als eine Göttin der Vegetation und des geilen Triebes, welcher Dionysos und selbst Priapos sehr nahe gestanden haben müssen, wie sich denn die Hetären so gut zu ihr als