Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann. E. T. A. Hoffmann
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von E. T. A. Hoffmann - E. T. A. Hoffmann страница 189
In dem Augenblick erfaßte mich, wie ein jäher, alle Nerven und Pulse durchzuckender Schmerz, die Sehnsucht der höchsten Liebe; “Aurelie – ach, Aurelie!” rief ich laut. Der Prior stand auf und sprach in sehr ernstem Ton: “Du hast wahrscheinlich die Zubereitungen zu einem großen Feste in dem Kloster bemerkt? – Aurelie wird morgen eingekleidet und erhält den Klosternamen Rosalia.” – Erstarrt – lautlos blieb ich vor dem Prior stehen. “Gehe zu den Brüdern!” rief er beinahe zornig, und ohne deutliches Bewußtsein stieg ich hinab in das Refektorium, wo die Brüder versammelt waren. Man bestürmte mich aufs neue mit Fragen, aber nicht fähig war ich, auch nur ein einziges Wort über mein Leben zu sagen; alle Bilder der Vergangenheit verdunkelten sich in mir, und nur Aureliens Lichtgestalt trat mir glänzend entgegen. Unter dem Vorwande einer Andachtsübung verließ ich die Brüder und begab mich nach der Kapelle, die an dem äußersten Ende des weitläuftigen Klostergartens lag. Hier wollte ich beten, aber das kleinste Geräusch, das linde Säuseln des Laubganges riß mich empor aus frommer Betrachtung. “Sie ist es … sie kommt … ich werde sie wiedersehen” – so rief es in mir, und mein Herz bebte vor Angst und Entzücken. Es war mir, als höre ich ein leises Gespräch. Ich raffte mich auf, ich trat aus der Kapelle und siehe, langsamen Schrittes, nicht fern von mir, wandelten zwei Nonnen, in ihrer Mitte eine Novize. – Ach, es war gewiß Aurelie – mich überfiel ein krampfhaftes Zittern – mein Atem stockte – ich wollte vorschreiten, aber keines Schrittes mächtig, sank ich zu Boden. Die Nonnen, mit ihnen die Novize, verschwanden im Gebüsch. Welch ein Tag! – welch eine Nacht! Immer nur Aurelie und Aurelie – kein anderes Bild – kein anderer Gedanke fand Raum in meinem Innern.
Sowie die ersten Strahlen des Morgens aufgingen, verkündigten die Glocken des Klosters das Fest der Einkleidung Aureliens, und bald darauf versammelten sich die Brüder in einem großen Saal; die Äbtissin trat, von zwei Schwestern begleitet, herein. – Unbeschreiblich ist das Gefühl, das mich durchdrang, als ich die wiedersah, die meinen Vater so innig liebte und, unerachtet er durch Freveltaten ein Bündnis, das ihm das höchste Erdenglück erwerben mußte, gewaltsam zerriß, doch die Neigung, die ihr Glück zerstört hatte, auf den Sohn übertrug. Zur Tugend, zur Frömmigkeit wollte sie diesen Sohn aufziehen, aber dem Vater gleich, häufte er Frevel auf Frevel und vernichtete so jede Hoffnung der frommen Pflegemutter, die in der Tugend des Sohnes Trost für des sündigen Vaters Verderbnis finden wollte. – Niedergesenkten Hauptes, den Blick zur Erde gerichtet, hörte ich die kurze Rede an, worin die Äbtissin nochmals der versammelten Geistlichkeit Aureliens Eintritt in das Kloster anzeigte und sie aufforderte, eifrig zu beten in dem entscheidenden Augenblick des Gelübdes, damit der Erbfeind nicht Macht haben möge, sinneverwirrendes Spiel zu treiben zur Qual der frommen Jungfrau. “Schwer”, sprach die Äbtissin, “schwer waren die Prüfungen, die die Jungfrau zu überstehen hatte. Der Feind wollte sie verlocken zum Bösen, und alles, was die List der Hölle vermag, wandte er an, sie zu betören, daß sie, ohne Böses zu ahnen, sündige und dann, aus dem Traum erwachend, untergehe in Schmach und Verzweiflung. Doch die ewige Macht beschützte das Himmelskind, und mag denn der Feind auch noch heute es versuchen, ihr verderblich zu nahen, ihr Sieg über ihn wird desto glorreicher sein. Betet – betet, meine Brüder, nicht darum, daß die Christusbraut nicht wanke, denn fest und standhaft ist ihr dem Himmlischen ganz zugewandter Sinn, sondern daß kein irdisches Unheil die fromme Handlung unterbreche. – Eine Bangigkeit hat sich meines Gemüts bemächtigt, der ich nicht zu widerstehen vermag!” Es war klar, daß die Äbtissin mich – mich allein den Teufel der Versuchung nannte, daß sie meine Ankunft mit der Einkleidung Aureliens in Bezug, daß sie vielleicht in mir die Absicht irgendeiner Greueltat voraussetzte. Das Gefühl der Wahrheit meiner Reue, meiner Buße, der Überzeugung, daß mein Sinn geändert worden, richtete mich empor. Die Äbtissin würdigte mich nicht eines Blickes; tief im Innersten gekränkt, regte sich in mir jener bittere, verhöhnende Haß, wie ich ihn sonst in der Residenz bei dem Anblick der Fürstin gefühlt, und statt daß ich, ehe die Äbtissin jene Worte sprach, mich hätte vor ihr niederwerfen mögen in den Staub, wollte ich keck und kühn vor sie hintreten und sprechen: “Warst du denn immer solch ein überirdisches Weib, daß die Lust der Erde dir nicht aufging? … Als du meinen Vater sahst, verwahrtest du denn immer dich so, daß der Gedanke der Sünde nicht Raum fand? … Ei, sage doch, ob selbst dann, als schon die Inful und der Stab dich schmückten, in unbewachten Augenblicken meines Vaters Bild nicht Sehnsucht nach irdischer Lust in dir aufregte? … Was empfandest du denn, Stolze! als du den Sohn des Geliebten an dein Herz drücktest und den Namen des Verlorenen, war er gleich ein freveliger Sünder, so schmerzvoll riefst? – Hast du jemals gekämpft mit der dunklen Macht wie ich? – Kannst du dich eines wahren Sieges erfreuen, wenn kein harter Kampf vorherging? – Fühlst du dich selbst so stark, daß du den verachtest, der dem mächtigsten Feinde erlag und sich dennoch erhob in tiefer Reue und Buße?” – Die plötzliche Änderung meiner Gedanken, die Umwandlung des Büßenden in den, der stolz auf den bestandenen Kampf fest einschreitet in das wiedergewonnene Leben, muß selbst im Äußern sichtlich gewesen sein. Denn der neben mir stehende Bruder frug: “Was ist dir, Medardus, warum wirfst du solche sonderbare zürnende Blicke auf die hochheilige Frau?” – “Ja”,