sich in Wirklichkeit nur darum, ihnen durch eine substanzielle Nahrung ihre Kräfte wiederzugeben. Landleute nähren sich, sei's aus Sparsamkeit, sei es aus Armut, so schlecht, dass ihre Krankheiten nur von ihrer Bedürftigkeit herrühren; und im allgemeinen fühlen sie sich ziemlich wohl. Als ich mich ergeben zu diesem Leben ruhmloser Resignation entschloss, habe ich lange gezögert, ob ich Pfarrer, Landarzt oder Friedensrichter werden solle. Nicht ohne Grund, mein lieber Herr; stellt man sprichwörtlich die drei schwarzen Gewänder, den Priester, den Mann des Gesetzes und den Arzt zusammen: der eine verbindet Wunden der Seele, der andere die der Börse, der letzte die des Leibes; sie stellen die Gesellschaft in ihren drei hauptsächlichen Existenzzuständen dar: das Gewissen, den Grundbesitz und die Gesundheit. Ehedem bildete ersteres, dann das zweite den ganzen Staat. Die uns auf Erden vorangegangen sind, dachten, vielleicht mit Recht, dass der Priester, da er über die Gedanken verfüge, die ganze Regierung sein müsse; er war damals König, Pontifex und Richter; doch war damals alles Glaube und Gewissen. Heute ist alles anders; nehmen wir unsere Epoche, wie sie ist. Nun, ich glaube, dass der Fortschritt der Zivilisation und der Wohlstand der Massen von diesen drei Männern abhängen, sie sind die drei Mächte, die das Volk unmittelbar die Wirkung der Geschehnisse, der Interessen und der Grundsätze, die drei großen Resultate fühlen lassen, welche bei einer Nation durch die Ereignisse, durch den Besitz und durch die Ideen hervorgerufen werden. Die Zeit schreitet vorwärts und führt Veränderungen herbei, der Besitz vermehrt oder vermindert sich; entsprechend diesen verschiedenen Wandlungen muss man alles regeln; daraus ergeben sich die Ordnungsgrundsätze. Um zu zivilisieren, um Produktionszweige zu schaffen, muss man den Massen begreiflich machen, worin das Sonderinteresse mit den nationalen Interessen, die aus Tatsachen, Interessen und Grundsätzen bestehen, übereinstimmt. Die drei Berufe schienen mir daher, indem sie notwendigerweise diese menschlichen Resultate berühren, heute die größten Hebel der Zivilisation sein zu müssen; sie allein können einem braven Manne stets die wirksamen Mittel verschaffen, das Los der armen Klassen, mit welchen sie in fortwährenden Beziehungen stehen, zu verbessern. Doch hört der Bauer lieber auf den Mann, der ihm ein Rezept schreibt, um ihm den Körper zu retten, als auf den Priester, der vom Seelenheile redet: der eine kann ihm von der Erde, die er bebaut, erzählen, der andere ist verpflichtet, ihn vom Himmel zu unterhalten, um den er sich heute unglücklicherweise wenig kümmert. Ich sage unglücklicherweise; denn das Dogma vom künftigen Leben ist nicht nur ein Trost, sondern auch ein brauchbares Werkzeug zum Regieren. Ist die Religion nicht die einzige Macht, welche die sozialen Gesetze sanktioniert? Jüngst haben wir Gott gerechtfertigt. In Ermanglung der Religion sah sich die Regierung gezwungen, den Terror zu erfinden, um ihre Gesetze durchführbar zu machen; aber es war ein menschlicher Terror, er ist vergangen. Wenn nun ein Bauer krank ist, mein Herr, an ein schlechtes Bett gefesselt oder genesend, ist er gezwungen, zusammenhängende Erörterungen anzuhören, und er begreift sie gut, wenn sie ihm klar vorgebracht werden. Dieser Gedanke hat mich zum Arzt gemacht. Ich rechnete mit meinen Bauern und für sie; ich gab ihnen nur Ratschläge von sicherer Wirkung, die sie zwangen, die Richtigkeit meiner Ansichten einzusehen. Dem Volke gegenüber muss man immer unfehlbar sein. Die Unfehlbarkeit hat Napoleon gemacht, sie hätte einen Gott aus ihm gemacht, wenn der Erdkreis ihn nicht bei Waterloo hätte fallen hören. Wenn Mohammed eine Religion geschaffen hat, nachdem er ein Drittel der Welt erobert hatte, geschah es, indem er der Welt das Schauspiel seines Todes entzog. Für den Dorfbürgermeister und den Eroberer galten die nämlichen Prinzipien: Nation und Gemeinde sind ein und dieselbe Herde. Überall ist die Masse die nämliche. Endlich habe ich mich denen gegenüber, die ich meiner Börse verpflichtete, streng bezeigt. Ohne diese Festigkeit würden sich alle über mich lustig gemacht haben. Die Bauern sowohl wie die Weltleute schätzen den Mann, den sie betrügen, zuletzt gering. Heißt nicht, genasführt worden sein, einen Akt der Schwäche begangen zu haben? Kraft allein regiert. Niemals habe ich jemandem einen Heller für meine Bemühungen abverlangt, außer denen, die augenscheinlich reich sind; habe sie aber nie über den Preis meiner Bemühungen im unklaren gelassen. Ich schenke keine Medikamente, außer im Falle von Armut bei dem Kranken. Wenn meine Bauern mich nicht bezahlen, so kennen sie doch ihre Schulden; manchmal entlasten sie ihr Gewissen, indem sie mir Hafer für meine Pferde und Getreide bringen, wenn es nicht teuer ist. Der Müller aber bot mir nur Aale als Bezahlung für meine Bemühungen an, da sagte ich ihm, dass er für eine solche Kleinigkeit zu edelmütig sei. Meine Höflichkeit bringt Früchte: im Winter werd' ich von ihm einige Säcke Mehl für die Armen erhalten. Sehen Sie, mein Herr, die Leute haben ein Herz, wenn man es ihnen nicht entmutigt. Heute denke ich besser und minder schlecht von ihnen als in der Vergangenheit!«
»Sie haben viel Schweres auf sich genommen!« sagte Genestas.
»Ich, durchaus nicht,« erwiderte Benassis. »Es kostete mich gleich viel, etwas Nützliches wie Albernheiten zu sagen. Im Vorbeigehen, plaudernd, lachend redete ich mit ihnen von ihnen selbst. Zuerst hörten die Leute nicht auf mich, ich hatte viele Widerstände in ihnen zu bekämpfen: ich war ein Bourgeois, und ein Bourgeois ist für sie ein Feind. Dieser Kampf belustigte mich. Zwischen dem Böses-tun und dem Gutes-tun besteht kein anderer Unterschied wie der Frieden seines Gewissens oder seine Unruhe, die Mühe ist die gleiche. Wenn die Schufte sich gut aufführen wollten, würden sie Millionäre, anstatt gehängt zu werden, das ist alles.«
»Herr,« rief Jacquotte, die hereinkam, »das Essen wird kalt!«
»Mein Herr,« sagte Genestas, den Arzt beim Arme festhaltend, »zu dem, was ich eben gehört, möchte ich Ihnen nur folgendes bemerken: Ich kenne keine Erzählung der Kriege Mohammeds, so dass ich seine militärischen Talente nicht beurteilen kann; wenn Sie aber den Kaiser während des Feldzuges in Frankreich hätten manövrieren sehen, würden Sie ihn leichtlich für einen Gott gehalten haben. Wenn er bei Waterloo besiegt worden ist, geschah es, weil er mehr als ein Mensch war. Er drückte zu sehr auf die Erde, und die Erde hat sich unter ihm aufgebäumt, das ist's. In allem anderen bin ich übrigens vollkommen Ihrer Ansicht, und, Himmeldonnerwetter!, die Frau, die Sie geboren, hat ihre Zeit nicht verloren.«
»Auf,« rief Benassis lächelnd, »gehen wir zu Tisch.«
Das Esszimmer war vollständig getäfelt und grau gestrichen. Das Mobiliar bestand damals aus einigen Strohsesseln, einer Anrichte, Schränken, einem Ofen, der berühmten Standuhr des seligen Pfarrers und ferner aus weißen Fenstervorhängen. Der mit weißem Leinen gedeckte Tisch wies nichts auf, was nach Luxus aussah. Das Geschirr war aus Steingut. Der Sitte des seligen Pfarrers entsprechend bestand die Suppe aus der nahrhaftesten Bouillon, die jemals eine Köchin hat kochen und einkochen können. Kaum hatten der Arzt und sein Gast ihre Suppe gegessen, als ein Mann geräuschvoll in die Küche trat und, trotz Jacquotte, einen plötzlichen Einbruch in das Speisezimmer unternahm.
»Nun, was gibt's?« fragte der Arzt.
»Unsere Bürgerin, Madame Vigneau, ist ganz weiß geworden; so weiß, dass es uns alle erschreckt; das gibt's!«
»Nun,« rief Benassis fröhlich, »da muss man von Tisch fort.«
Er stand auf. Trotz der inständigen Bitten des Arztes schwur Genestas, sein Mundtuch fortwerfend, auf gut soldatisch, dass er ohne seinen Wirt nicht bei Tische bleiben wolle, und ging tatsächlich sich zu wärmen in den Salon, indem er über das Elend nachdachte, auf das man unvermeidlich bei allen Zuständen, denen der Mensch hienieden unterworfen ist, stößt.
Benassis kam bald zurück, und die beiden zukünftigen Freunde setzten sich wieder zu Tisch.
»Taboureau ist eben gekommen, um Sie zu sprechen,« sagte Jacquotte zu ihrem Herrn, als sie die Schüsseln brachte, die sie warmgestellt hatte.
»Wer ist denn krank bei ihm?« fragte er.
»Niemand. Er will Sie, wie er sagt, für sich konsultieren und wird wiederkommen.«
»Es ist gut. – Dieser Taboureau«, fuhr Benassis, sich an Genestas wendend, fort, »ist für mich ein ganzer philosophischer Traktat; betrachten Sie ihn recht aufmerksam, wenn er da ist, sicherlich wird er Sie belustigen. Er war Tagelöhner, ein braver,