gleicht allen anderen – war nur für mich allein erstaunlich. Die unmerklich angesammelten Bewohner haben das Ganze nicht beurteilen können, da sie an der Bewegung teilnahmen. Am Ende des siebenten Jahres begegnete ich zwei Fremden, den wahren Wohltätern dieses Fleckens, den sie vielleicht in eine Stadt umwandeln werden. Der eine ist ein Tiroler von einer unglaublichen Geschicklichkeit, der Stiefel für Landleute und Schuhe für die eleganten Leute Grenobles anfertigt, wie kein Pariser Arbeiter sie herstellen kann. Ein armer umherziehender Musikant, einer jener betriebsamen Deutschen, die sowohl Werk wie Werkzeug, Musik und Instrument machen, verweilte in dem Flecken auf seiner Rückkehr aus Italien, das er singend und arbeitend durchzogen hatte. Er fragte, ob nicht jemand Schuhe nötig hätte; man schickte ihn zu mir. Ich bestellte zwei Paar Stiefel bei ihm, deren Formen von ihm hergestellt wurden. Überrascht von des Fremden Geschicklichkeit, richtete ich allerlei Fragen an ihn, und fand seine Antworten kurz und klar. Sein Gehaben, sein Gesicht, alles befestigte in mir die gute Meinung, die ich von ihm gewonnen hatte; ich schlug ihm vor, sich im Orte festzusetzen, indem ich ihm versprach, sein Gewerbe mit allen meinen Mitteln zu begünstigen, und stellte ihm tatsächlich eine ziemlich hohe Geldsumme zur Verfügung. Er nahm an. Ich hatte meine Gedanken. Unser Leder war besser geworden, wir konnten es in einer bestimmten Zeit selber verbrauchen, wenn wir Schuhe zu mäßigen Preisen herstellten. In größerem Maßstabe fing ich wieder die Geschichte mit den Körben an. Der Zufall bot mir einen eminent geschickten und erfinderischen Mann, den ich gewinnen musste, um dem Orte einen produktiven und ständigen Handel zu verschaffen. Schuhe sind einer jener Gebrauchsartikel, die immer benötigt werden und bilden eine Fabrikation, deren geringster Vorzug vom Konsumenten sofort geschätzt wird. Ich hab' das Glück gehabt, mich nicht zu täuschen, mein Herr. Heute haben wir fünf Gerbereien; sie bearbeiten alle Häute des Bezirks und holen sich manchmal solche bis aus der Provence, und jede von ihnen besitzt ihre eigene Lohmühle. Nun mein Herr, diese Gerbereien genügen nicht, um dem Tiroler, der mindestens vierzig Arbeiter hat, das nötige Leder zu liefern! ... Der andere Mann, dessen Geschichte nicht minder seltsam ist, die anzuhören Sie aber vielleicht ermüden würde, ist ein einfacher Bauer, der Mittel und Wege gefunden hat, die im Lande üblichen breitkrempigen Hüte zu billigerem Preise als überall anderswo herzustellen; er führt sie in alle unsere Nachbarprovinzen bis in die Schweiz und nach Savoyen aus. Diese beiden Industrien sind unversiegbare Quellen des Gedeihens, wenn der Bezirk die Qualität der Erzeugnisse und ihren niedrigen Preis aufrechterhalten kann; sie haben mir den Gedanken eingegeben, hier drei Märkte im Jahre einzurichten. Der über die industriellen Fortschritte unseres Bezirks erstaunte Präfekt hat mir geholfen, die königliche Kabinettsorder, die sie gestiftet hat, zu erlangen. Im letzten Jahre haben unsere drei Märkte stattgefunden; sie sind bereits bis nach Savoyen unter dem Namen: Schuh- und Hutjahrmarkt bekannt. Als man von diesen Veränderungen hörte, hat der erste Gehilfe des Notars in Grenoble, ein armer, aber unterrichteter junger Mann, ein tüchtiger Arbeiter, mit welchem Mademoiselle Gravier verlobt ist, in Paris die Konzession eines Notariats betrieben; sein Gesuch wurde genehmigt. Da sein Amt ihn nichts kostete, hat er sich dem Friedensrichter gegenüber, auf dem Platze des neuen Fleckens, ein Haus bauen können. Wir haben jetzt einen Wochenmarkt; es werden dort ziemlich beträchtliche Abschlüsse in Getreide und Vieh gemacht. Nächstes Jahr wird zweifelsohne ein Apotheker zu uns kommen, dann ein Uhrmacher, ein Möbelhändler und ein Buchhändler, kurz die fürs Leben notwendigen Überflüssigkeiten. Vielleicht werden wir schließlich den Anstrich einer kleinen Stadt gewinnen und Bürgerhäuser bekommen. Die Bildung hat dermaßen zugenommen, dass ich im Gemeinderat nicht auf den geringsten Widerstand gestoßen bin, als ich vorgeschlagen habe, die Kirche zu reparieren und zu schmücken, ein Pfarrhaus zu bauen, einen schönen Marktplatz zu schaffen, dort Bäume zu pflanzen und eine Baulinie festzusetzen, um später gesunde, luftige und gut gezogene Straßen zu erlangen. Auf diese Weise, mein Herr, sind wir dahin gelangt, neunzehnhundert Feuerstellen statt einhundertsiebenunddreißig, dreitausend Häupter Rindvieh statt achthundert und statt siebenhundert Seelen zweitausend Personen im Flecken, und dreitausend zu haben, wenn man die Talbewohner mitzählt. In der Gemeinde gibt es zwölf reiche Häuser, hundert wohlhabende Familien und zweihundert, die gut fortkommen. Der Rest arbeitet. Jedermann kann lesen und schreiben. Endlich haben wir siebzehn Abonnements auf verschiedene Zeitungen. Sie werden wohl noch Armen in unserem Bezirke begegnen; ich sehe ihrer wahrlich noch viel zu viele; aber niemand bettelt hier, Arbeit findet sich für jedermann. Zwei Pferde lasse ich jetzt täglich sich müde laufen, um für die Kranken zu sorgen; ohne Gefahr kann ich zu jeder Stunde in einem Umkreise von fünf Meilen herumgehen, und wer einen Büchsenschuss auf mich abgeben möchte, würde keine zehn Minuten am Leben bleiben. Außer dem Vergnügen, jedermann mit froher Miene »Guten Tag, Monsieur Benassis!« zu mir sagen zu hören, wenn ich vorübergehe, ist die stille Liebe der Einwohner alles, was ich persönlich bei diesen Veränderungen gewonnen habe. Sie können sich wohl denken, dass das durch meine Mustermeiereien unfreiwillig erworbene Vermögen in meinen Händen ein Mittel und kein Resultat ist.«
»Wenn jeder Sie in allen Ortschaften nachahmte, mein Herr, würde Frankreich groß sein und könnte sich über Europa lustig machen!« rief Genestas begeistert.
»Aber seit einer halben Stunde halte ich Sie hier fest,« sagte Benassis, »es ist beinahe Nacht, auf, setzen wir uns zu Tisch!«
Von der Gartenseite aus zeigt das Haus des Arztes eine Fassade von fünf Fenstern in jedem Stockwerk. Es besteht aus einem Erdgeschoß, einem ersten Stockwerk und einem Dachgeschoß mit ausspringenden Mansarden. Die grüngestrichenen Fensterläden heben sich von dem grauen Ton der Mauer ab, wo zwischen beiden Geschossen ein Weinstock in Friesform als Schmuck dominiert. Unten längs der Mauer vegetieren traurig einige Bengalrosenstöcke, die durch das Wasser des Daches, das keine Traufen hat, halb ertränkt sind. Wenn man durch den großen Flur, der ein Vorzimmer bildet, eintritt, befindet sich zur Rechten ein Salon mit vier Fenstern, von denen die einen auf den Hof, die anderen auf den Garten hinausgehen. Dieser Salon, zweifelsohne der Gegenstand vieler Ersparnisse und vieler Hoffnungen für den armen Verstorbenen, ist mit Dielen belegt, unten getäfelt und mit gewebten Tapeten des vorletzten Jahrhunderts geschmückt. Die großen und breiten, mit blumigem chinesischen Seidenstoff bezogenen Sessel, die alten vergoldeten Armleuchter, die den Kamin zieren, und die Vorhänge mit dicken Quasten zeigen den Wohlstand an, dessen sich der Pfarrer erfreut hatte. Benassis hatte diesen Hausrat, der des Charakters nicht entbehrte, durch zwei Holzkonsolen mit geschnitzten Girlanden, die einander gegenüber an den Fensterzwischenwänden angebracht waren, und durch eine mit Kupfer eingelegte Schildpattuhr vervollständigt, die auf dem Kamine prunkte. Der Arzt bewohnte diesen Raum, der den feuchten Geruch ständig geschlossener Räume ausdünstete, selten. Man atmete dort den verstorbenen Pfarrer ein; der eigentümliche Geruch seines Tabaks schien sogar von der Kaminecke, wo er zu sitzen gewohnt war, auszugehen. Die beiden großen, behaglichen Lehnsessel waren symmetrisch auf jede Seite des Kamins gestellt, in welchem seit Monsieur Graviers Aufenthalt kein Feuer gebrannt hatte, wo nun aber die hellen Flammen des Fichtenholzes leuchteten.
»Es ist abends noch kalt,« sagte Benassis, »und da sieht man gern das Feuer.«
Genestas, der nachdenklich geworden war, fing an, sich des Arztes Sorglosigkeit den gewöhnlichen Dingen des Lebens gegenüber zu erklären.
»Mein Herr,« sagte er, »Sie besitzen wirklich eine Bürgerseele; und ich wundere mich, dass Sie, nachdem Sie so viele Dinge vollbracht haben, nicht den Versuch machten, die Regierung aufzuklären.«
Benassis fing an zu lachen, doch still vor sich hin und mit trauriger Miene.
»Eine Denkschrift über die Mittel schreiben, Frankreich zu zivilisieren, nicht wahr? Vor Ihnen hat mir Monsieur Gravier das gesagt, mein Herr. Ach, man klärt eine Regierung nicht auf, und von allen Regierungen ist jene die am wenigsten für Aufklärung empfängliche, welche Licht zu verbreiten glaubt. Gewiss, was wir für den Bezirk hier getan haben, müssten alle Bürgermeister für den ihren, müsste die Munizipalverwaltung für ihre Stadt, der Unterpräfekt für den Kreis, der Präfekt für die Provinz, der Minister für Frankreich, jeder in der Interessensphäre, in der er tätig ist, tun. Da, wo ich dazu überredet habe, einen Weg von zwei Meilen zu bauen, würde der eine eine Straße zustande bringen, der andere einen Kanal, da, wo ich zur Anfertigung