Psych. Anpassungsreaktionen von Kindern und Jugendlichen bei chronischen körperlichen Erkrankungen. Manfred Vogt

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Psych. Anpassungsreaktionen von Kindern und Jugendlichen bei chronischen körperlichen Erkrankungen - Manfred Vogt Störungen systemisch behandeln

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oder pädagogische Unterstützung, den Umgang mit funktionellen Einschränkungen, spezielle Therapiebedarfe sowie die Unterstützung bei emotionalen Entwicklungs- oder Verhaltensproblemen. Von einer Behinderung, also einer Beeinträchtigung der Teilhabe am Leben, sind etwa 2 % aller in Deutschland lebenden Kinder und Jugendlichen mit einem Schweregrad von mindestens 50 % betroffen (Hempel 2006). An anderen schweren chronischen Erkrankungen wie malignen Erkrankungen im Kindesalter leiden wesentlich weniger Kinder: An ihnen erkranken jährlich im Durchschnitt 1.761 Kinder unter 15 Jahren, in deren Folge etwa 420 Kinder innerhalb von 15 Jahren nach Diagnose versterben (Kaatsch u. Spix 2013).

       1Chronische körperliche Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter

      In diesem Kapitel werden die Hintergründe der Entstehung, des Verlaufs und der Behandlung ausgewählter chronischer Krankheitsbilder exemplarisch vorgestellt. Dabei unterscheiden wir zwischen unterschiedlichen Verlaufsformen, den entwicklungspsychologischen Folgen und den Auswirkungen auf das betroffene Familiensystem. Manche systemischen Psychotherapeuten bevorzugen es, ihre Klienten und deren Familien unvoreingenommen, ohne spezifisches Vorwissen oder das entsprechende klinische Erfahrungswissen von einzelnen Krankheitsbildern zu begegnen und das Auf und Ab der Erkrankung prozessorientiert zu begleiten. Wir vertreten hier die Ansicht, dass ein Einblick in die medizinischen Abläufe hilfreich ist, um mögliche kritische Punkte im Krankheits- und Therapieverlauf, bezogen auf die kognitiven, sozioemotionalen und familiären Folgen der Erkrankung, vorherzusehen und zielorientiert zu arbeiten.

       1.1Verlaufskategorien chronischer körperlicher Erkrankungen

      Für die Systemische Psychotherapie bei der Begleitung von Kindern und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen und ihren Familien schlagen wir ein Modell vor, das sowohl Erkrankungen mit einer normalen Lebenserwartung als auch Erkrankungen mit einer begrenzten Lebenserwartung in typischen Verlaufsformen unterscheidet. Um psychotherapeutische Bedarfe betroffener Patienten und Familien abzuschätzen und eine daran orientierte Versorgung anbieten zu können, kategorisieren wir die vielzähligen chronischen Krankheitsbilder des Kindes- und Jugendalters in Abhängigkeit von ihren typischen Verlaufsformen und Anforderungen (vgl. Abb. 2).

       Abb. 2: Verlaufskategorien chronischer körperlicher Erkrankungen

       1) Chronische Erkrankungen mit multiplen und lebenslänglichen Einschränkungen

      Von den betroffenen Patienten sowie ihren Familien wird eine lebenslange Anpassungsleistung gefordert, da es sich um persistierende und nicht reversible Erkrankungen mit diversen Beeinträchtigungen handelt (genetische Defekte, Behinderungen und schwere Mehrfachbehinderungen, Geburtstraumata, Unfallfolgen, Skoliose, Lissenzephalie etc.).

       2) Akut lebensbedrohliche Erkrankungen (und Unfallfolgen)

      Für den Betroffenen besteht akute Lebensgefahr, weshalb schnellstmöglich medizinisch behandelt werden muss. Es findet eine kurative Therapie statt. Eine Heilung der Erkrankung sowie eine anschließend normale Lebensführung werden angestrebt, können aber nicht immer erreicht werden (z. B. bei onkologischen Erkrankungen, angeborenen Herzerkrankungen, Organversagen, Short-Gut-Syndrom).

       3) Erkrankungen, bei denen keine Heilung, aber bei hoher Therapie-Compliance eine normale Lebensführung möglich ist

      Eine normale Lebensführung ohne größere Einschränkungen ist möglich, sofern die notwendige medizinische Therapie durchgeführt wird (z. B. bei Asthma bronchiale, Diabetes mellitus, juveniler idiopathischer Arthritis). Die Anforderungen und Belastungen durch eine meist medikamentöse und diätetische Therapie bestehen häufig ein Leben lang. Bei Erkrankungen dieser Kategorie gibt es gravierende Unterschiede: Während etwa bei Neurodermitis ein schwerer Schub zwar mit starkem Juckreiz, optisch sichtbaren Ekzemen und folglich großem Unwohlsein verbunden ist, aber keine Lebensbedrohung darstellt, kann eine unzureichend eingestellte Insulin-Zufuhr bei Diabetes lebensbedrohliche Folgen wie Koma oder Organversagen nach sich ziehen.

       4) Krankheiten mit progredientem Verlauf sowie lebenslimitierende Erkrankungen

      Krankheiten dieser Kategorie gehen mit infausten Prognosen und einer limitierten Lebenserwartung einher. Auch bei einem letalen Krankheitsverlauf gibt es deutliche Unterschiede: Einige Erkrankungen führen relativ schnell zum Tod, während bei anderen das Leben noch viele Jahrzehnte bei guter Lebensqualität weitergehen kann (z. B. bei einigen Stoffwechselerkrankungen, Muskeldystrophie vom Typ Duchenne, Mukoviszidose / zystischer Fibrose).

      Die Grenzen zwischen den einzelnen Erkrankungen können fluktuieren. So kann eine Krebserkrankung, bei der eine kurative Therapie nicht zum Erfolg führt, von einer akut lebensbedrohlichen Erkrankung zu einer Erkrankung mit letalem Verlauf werden. Auch kann infolge einer Krebserkrankung und -therapie ein breites Spektrum von Langzeitfolgen auftreten, weshalb Patienten nach erfolgreicher Therapie weiterhin an chronischen Erkrankungen innerhalb der Verlaufsformen 1 oder 3 leiden können.

       1.2Psychische Anpassungsanforderungen und Anpassungsreaktionen bei chronischen körperlichen Erkrankungen

      Chronische körperliche Erkrankungen gehen mit hohen psychosozialen Belastungen für den Patienten und seine Familie einher. Aus langanhaltenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Abhängigkeiten von medizinischen Maßnahmen resultieren dauerhafte Veränderungen des Lebensalltags der Betroffenen. So erzwingt die Erkrankung häufig drastische Lebensstilveränderungen und nimmt demzufolge Einfluss auf die psychische und soziale Entwicklung des Patienten. Da Erkrankungen die individuelle Belastbarkeit sowie die Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit stark beanspruchen, können sowohl die schulischen und Ausbildungsmöglichkeiten als auch die sozialen Partizipationsmöglichkeiten beeinträchtigt werden. Ästhetische Spuren der Erkrankungen können mit einem reduzierten Selbstwertgefühl einhergehen. Die krankheitsbedingten Belastungen müssen zusätzlich zu normativen Entwicklungsaufgaben im Kindes- und Jugendalter bewältigt werden. Chronische körperliche Erkrankungen gelten als Risikofaktor für die Entwicklung psychischer Symptome wie von Ängsten und Depressivität, welche sich wiederum ungünstig auf den Verlauf der somatischen Erkrankung auswirken können (Pinquart 2013).

      Bei einer chronischen Erkrankung ist nicht nur das Kind selbst, sondern sein komplettes familiäres System betroffen. Sehr allgemein lässt sich festhalten, dass sich für einen Großteil der Betroffenen hohe Anpassungsanforderungen ergeben: Regelmäßige Arzttermine oder stationäre Aufenthalte bedeuten einen großen Zeitaufwand, der die Familie als Ganzes beansprucht (Erhart et al. 2011). Doch nicht nur Eltern sind von der Erkrankung mitbetroffen. Auch Geschwisterkinder müssen große Anpassungsleistungen vollbringen (Barlow a. Ellard 2006; Sharpe a. Rossiter 2002). Somit ist es wichtig, nicht nur das erkrankte Kind zu behandeln, sondern dessen Familie als komplettes System.

      Psychische Anpassungsstörungen und psychologische Komorbiditäten der Betroffenen müssen jedoch nicht zwangsläufig entstehen. Die Anpassung an die körperliche Erkrankung wird durch diverse Faktoren moderiert: Dauer,

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