Die Prometheus Initiative. T. K. Koeck
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Erinnerungen von Inge Viett
Auf einem kleinen Kutter nahe der Küste bei Eckernförde standen wir mit unseren Fahrrädern und schleckten Eis, das er eben für uns gekauft hatte. Wir waren in zwei Stunden von Arnis nach Eckernförde mit den Fahrrädern gefahren und hatten dann eine Gelegenheit mit dem Boot nach Kiel gefunden. Von dort aus würden wir zügig nach Schönberg kommen. Der Kapitän schloss auch nicht aus, für uns die Kieler Bucht zu kreuzen und auf der anderen Seite bei Laboe anzulegen, dann hätten wir nur noch einige Kilometer zu fahren. Ich war immer noch wie verzaubert.
„Was machst du denn so?“, frage ich. Bisher hatten wir nur über Alltägliches geredet, über die Landschaft oder über die Kindheit, nicht aber über ernstere oder tiefergehende Fragen. „Ik‘ bin Berliner und studiere an da Humboldt Uni, ne!“ schlackste Ralf. Ich lachte. „Ne wirklich jetzt, red‘ kein Stuss! Was machst du so?“ Wir sahen uns immer noch dauernd an, so dass mir laufend ganz heiß war, auch da, wo keine Sonne hinkam. „Ne wirklich, ik‘ studiere an der Uni in Berlin und werde wohl dem Staat in irgendeiner krassen Sache hölfen“. Bestätigte der in astreinem Berlinerisch. Er lächelte dazu sanft, ich dagegen nicht mehr. Das Kasperletheater funktionierte nicht mehr. Was für ein Spießer, rumorte es, naja, aber Berlin war cool. „Wau! Echt heftig. Hätte ich nicht erwartet. Bist aber trotzdem ein Netter!“, gestand ich Augen zwinkernd. Was er so tat war mir eigentlich egal.
„Ja ich bin ein Netter, ehrlich…“ gab er jetzt in normalem Hochdeutsch zur Antwort. „weißt du, meine Familie besteht auf viele Dinge. Man kann sich nicht allem entziehen. Mein Weg ist derzeit recht weit gezeichnet. Aber das macht mich nicht trübsinnig. Es gibt mir Sicherheit und Gelegenheit, Reisen wie diese zu machen. Und im Osten ist halt alles nicht so einfach. Aber wir arbeiten alle hart und werden es schaffen, dass wir wieder blühende Landschaften haben. Es lebe der echte Sozialismus!“
Ralf grinste, als er das sagte, und kommentierte: „Ne aber ohne Witz, ist mir wichtig. Das wird schon bei uns da drüben! Und ich mag es dort einfach, ich liebe meine Heimat! Von ganzem Herzen.“
Ich starrte ihn an. Er konnte reden und er war intelligent; Auch wenn er Stuss laberte. Und scheinbar war er nur ein halber Spießer. Eher ein Mini-Rocker, ich war sofort verknallt. Das verwunderte mich, weil Jungs eigentlich immer Arschlöcher waren und ich eigentlich bisher eher Sex mit Frauen hatte. Ein Thema, das für mich damals aber keins war. Es war eben so,.. und jetzt war es scheinbar anders. Er war zwei Köpfe größer als ich und da ich es jetzt ernst mit ihm meinte, blickte ich wie ein hilfsbedürftiges Mädchen von unten zu ihm herauf, denn ich wollte ihn. „Was starrst Du mich so an? Nicht einverstanden?“ Plötzlich beugte er sich etwas nach vorne und drückte mir einen dicken Schmatzer auf. Dann flüsterte er: „Das war jetzt nicht geplant!“ Mehr fiel ihm nicht ein? „Ist das alles?“ fragte ich.
„Ähhhh … darfst du das überhaupt schon?“ wollte er wissen.
So ein Arschloch! Ich wurde stinksauer und rief: „Jaaa! Und …“
Er unterbrach mich, in bester Manier, in dem er mich ganz fest an sich zog, leicht anhob und mich so richtig intensiv küsste. „Das kann er auch noch!“ dachte ich. Mir wurde ganz schwindlig. Das Boot schunkelte umher und in meinem Kopf begann sich alles zu drehen. Wie verderblich, eintönig und im Allerlei gefangen hatte der Tag, nein, mein Leben begonnen. Und wir herrlich hatte sich heute alles entwickelt!
Gleicher Tag - Erinnerungen von Ralf-Peter Devaux
Während wir eng umschlungen gemeinsam auf das offene und beruhigende Meer blickten, unterhielten wir uns über alles Mögliche. Als Kind einer ruhelosen Stadt schätzte ich das sehr. Zuhause war alles starr und konform. Ich war auf dem Weg, eine makellose, militärisch geprägte Diplomatenkarriere hinzulegen, so wie es meine Eltern von mir erwarteten und planten und hatte auch nicht wirklich etwas dagegen. Es war so, wie ich es Inge sagte: Es gab mir Freiheiten. Egal, in welche Schachtel man gesteckt wird, egal, welche Uniform man trägt, man kann im Geiste immer frei sein.
Und ich sah gar nicht ein, warum ich nicht frei sein sollte! Mein nach außen getragener Optimismus hinsichtlich der Zukunft meiner Heimat war allerdings zum großen Teil gespielt. Jeder, der etwas Einblick hatte, wusste, dass 1959 ein, mit Verlaub, miserables Jahr für die Deutsche Demokratische Republik war. Dennoch: Tief in meinem Innersten gab es einen gewissen Glauben an das, wofür wir lebten und arbeiteten. Dieser Glaube war aber nie frei von Zynismus,… und alles in allem war es natürlich der Glaube jener, die auf der Sonnenseite des Systems standen, wie ich selbst eben auch.
Ich hatte bereits die erweiterte Oberschule und den Militärdienst abgeschlossen; Das jetzt anstehende Studium würde mich noch einmal etwa drei Jahre beschäftigen. Danach wartete die Schule der Hauptverwaltung Aufklärung, Jackpot! Tatsächlich sah ich es auch nicht als ausgeschlossen an, im Kollektiv etwas Positives bewirken zu können. Was das System brauchte, waren frische Kräfte, Pragmatismus und mehr Flexibilität. Es sprach nichts gegen eine staatliche Planung, sofern sie Planauflage gut war. Fakt ist, die Leute klauen die Kartoffeln nicht, wenn es ihnen gut geht. Wenn es eine tolle Jahresendprämie gibt.
Doch die aktuelle Zukunft bereitete mir mehr sorgen:
Gerüchte von einem antifaschistischen Bollwerk, von einer Mauer, gingen um, die uns angeblich schützen sollte. Es gab ebenso Gerüchte darüber, dass die Russen Atombomben ins Land gebracht hätten.
Ich wurde in meinen Gedanken unterbrochen.
„Was denkst Du?“ fragte sie verträumt, weil sie gesehen hatte, wie stark ich abwesend gewesen war. Ich erzählte ihr nicht, was ich dachte. Die Kleine war süß, aber so viel Zucker hatte ich nicht erwartet. Als ich ihr begegnete, und auch danach, war sie »tough« gewesen, blies ordentlich ins Horn. Das hatte ich sofort bewundert und mich deswegen auch unmittelbar angezogen gefühlt. Aber schon nach einer Weile fühlte ich mich bereits wie in einer langjährigen Beziehung. Noch nie hatte ich im Leben jemanden aufgelesen. Wie, wann und woher auch? Es musste diese enorme Hitze gewesen sein. Anders war es nicht zu erklären. Ich fühlte mich nicht so souverän, erst recht nicht, wie ich es hätte sein können und wollen. „Weißt du Inge, die Zeit an der See ist doch immer die Schönste. Ich genieße das. Diese herrliche Luft, die kräftigen Farben und die Unbändigkeit der Natur. Und dann schaue ich gern verträumt zum Horizont und genieße den Moment … mit Dir!“ Ich lächelte sie an und wir küssten uns erneut. Sie bemerkte wohl nicht, dass ich sie gerade zum ersten Mal angelogen hatte.
Gleicher Tag - Erinnerungen Inge Viett
Wir waren an Land gegangen und nahmen die Route über Schönberg, trafen dort zwei von Ralfs Freunden. Sie waren ihm nicht unähnlich: Schlaksig, aber athletisch, hart, aber auch smart, umgänglich und in jedem Fall zu nett. Einerseits fand ich es schade, dass wir jetzt nicht mehr alleine waren, andererseits befand ich mich nun gleich in der Gesellschaft von drei Kerlen. Während wir südlich von Schönberg in Richtung Meer fuhren, quetschten Ralfs Freunde, sie hießen übrigens Rudi Dutschke und Harald Jäger, uns aus, wie es dazu kam, dass ich mit dabei war. Sie waren einigermaßen überrascht, freuten sich aber und waren zu allerlei Scherzen aufgelegt. Meine dunklen Gedanken verschwanden immer mehr. Seit sehr langer Zeit war ich nicht mehr so ausgelassen gewesen. Das Wetter war herrlich, mein neuer Geliebter küsste gut und ich war sehr begierig zu erfahren, was er sonst noch konnte. Er machte Lust darauf, es auszuprobieren, vielleicht würden wir die Nacht am Schönberger Strand verbringen.
Im Ort kauften wir auch zwei Flaschen Wein und etwas Bier. Und jeder trank direkt im Ort bereits eines der herrlich kühlen Bier. Ich war etwas angetrunken, auch weil es so heiß war und weil ich auch noch nichts gegessen hatte. Wir lachten und scherzten, während die Landschaft mit ihren weitläufigen Feldern an uns vorbeizog.
Gleicher Tag - Erinnerungen Matthias
Ich