Blutdorf. Rolf Eversheim
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»Heute bin ich mit der Kurzfassung zufrieden. Aber zu gegebener Zeit möchte ich viel mehr erfahren.«
»Okay«, sagte Jupp, »dann wollen wir mal. Aber erst noch eine Tasse von Kassiopeias unvergleichlichem Grünen Tee.« Er trank seine Tasse langsam und genussvoll leer, dann seufzte er und fing an: »Die Zeit in Bonn und die Zeit bei Tartarus war gut, doch ich sehnte mich nach Neuem. Ich wollte Grenzerfahrungen machen, mich den Grenzen der irdischen Existenz nähern … sie vielleicht sogar überschreiten und in andere Welten und anderes Wissen vordringen. Auf diesem Weg, auf dieser Suche verlieren sich viele junge Menschen in Drogen, doch nach einigen experimentellen Erfahrungen war mir klar: Drogen würden das Bewusstsein niemals in der von mir gesuchten Weise erweitern, sondern in kürzester Zeit Leib und Seele zerstören. Erinnerst du dich noch an unseren Bundesbruder Konrad Eiden, der Physik studierte und den wir deshalb Einstein nannten? Er kommt hier aus der Eifel. Seine Mutter wird oft als Heilerin gerufen. Die Eifel ist ja eine Hochburg der Gesundbeter. In fast jedem Dorf leben Menschen, von denen es heißt, sie könnten Blutungen stillen, Schmerzen lindern oder Verbrennungen heilen. So ist es wohl auch.«
»Das wusste ich gar nicht. Die Mutter unseres Bundesbruders eine Heilerin? Der Einstein war schon eine besondere Type. Der hat tatsächlich das schwere Physikstudium geschafft und rechnet jetzt für die Mobilfunkanbieter aus, wo die Masten stehen müssen und so einen Kram.«
»Er hätte Besseres verdient. Schade. Mit Einstein habe ich viele Nächte trinkend und vor allem diskutierend verbracht. Er erzählte mir von der neuen Physik und dass sich die Erfolge der sogenannten Geistheilung auf Quantenphänomene zurückführen lassen. Ich war wie elektrisiert, doch je mehr ich darüber las, desto mehr wuchs die Erkenntnis, dass ich in die ursprüngliche Welt der Schamanen und Heiler eintauchen müsste, wenn ich Antworten auf meine ganzen Fragen erhalten wollte.«
Mülenberk war sichtlich irritiert. »Geistheilung? Schamanen? Quantenphysik? Ich kann dir nicht wirklich folgen, Jupp.«
Kassiopeia sah Mülenberk aufmerksam an. Der konnte ihren Blick nicht einordnen, der ihm durch ihre grünen Augen noch viel rätselhafter erschien. Foppten sie ihn gerade beide? Bemitleideten sie ihn, weil er es nicht raffte? Oder war sie einfach milde und freundlich?
Jupp verzog keine Miene. »Wie heißt es schon in Schillers Wallenstein: Was ist der langen Rede kurzer Sinn? Fast drei Jahrzehnte verbrachte ich also an Orten und bei Kulturen auf der ganzen Welt, von denen ich mir Erkenntnisse erhoffte. Ich lebte bei den Jakuten in Sibirien, auf Malaysia, bei den Pueblo-Indianern in Arizona, bei den Sioux in Dakota und in einigen Ländern Afrikas, dem Kontinent der Medizinleute, Zauberer, Hexen und der Besessenheit.«
»Und wovon hast du die ganzen Jahre gelebt?« Mülenberk dachte gerne praktisch.
»Nun, ich brauche nicht viel. Ich bekam immer wieder kleinere Lehraufträge an Universitäten, die sich mit Schamanismus beschäftigen. Während meiner Aufenthalte an den Universitäten schrieb ich zwei Bücher zum Thema, die sich erstaunlich gut verkaufen. So bekomme ich heute zahlreiche Anfragen für Vorträge, die auskömmlich honoriert werden.«
»Dann sind wir ja schon zwei Lebenskünstler«, stellte Mülenberk erstaunt fest.
Kassiopeia lachte. »Wir sind zu dritt, Roman, drei Menschen, die die Kunst zu leben zu ihrem Alltag gemacht haben.«
»Und die besteht bei dir worin?«, wollte Mülenberk wissen.
»Ganz einfach: Die Kunst zu Leben besteht darin, zu lernen im Regen zu tanzen, anstatt auf die Sonne zu warten. Und bei dir, Roman?«
»Was soll ich sagen? Eigentlich ganz ähnlich. Die meisten Menschen meinen, ich sei ein Aussteiger, das war aber nicht meine ursprüngliche Motivation. Ich sehe mich als Einsteiger. – Einsteiger in ein Leben, das mir Freiräume und Möglichkeiten verschafft, die ich vor dem Einstieg nicht hatte.«
»Dann machst du alles richtig, Roman.« Jupp sah ihn freudig an. »Dann weiß ich jetzt auch definitiv, dass es richtig war, dich hierher zu bitten. Es gibt ein Thema, das Kassiopeia und mir auf der Seele liegt.«
»Stopp, Jupp, soweit sind wir noch nicht«, unterbrach ihn Mülenberk. »Mir liegt nämlich auch noch ein Thema auf der Seele. Was verbindet euch beide und wie habt ihr euch kennengelernt? Und wieso bist du hergekommen?«
Kassiopeia nahm Jupp die Antwort ab. »Das gehört ganz sicher in die Langfassung. Lass mich aber noch ein paar Sätze zur Spiritualität sagen: Die meisten Menschen sind der Meinung, dass spirituell arbeitende Menschen verhuscht, verschroben und in dieser Welt nicht zu Hause sind. Das ist natürlich Unfug. Wir sind ganz normale Leute, die ihren ganz normalen Alltag leben. Auch wenn wir uns energetisch verbinden können, nutzen wir soziale Netzwerke und moderne Kommunikationsformen. Menschen mit ähnlichen Werten und Zielen wollen einander finden, ihr Talent und ihr Lebensfeuer zusammenbringen und ihre Träume und Ideen in Projekte gießen. Ein solches Netzwerk ist Value-Space, auf Deutsch Werte-Raum. Es ist ein internetbasiertes soziales Netzwerk, das darauf ausgerichtet ist, Menschen, Ideen und Aktivitäten zusammenzuführen, deren Motivation einer inneren Wertegemeinschaft entstammt. Und da sind Jupp und ich uns begegnet.«
»Und wir haben gleich unsere Seelenverwandtschaft erkannt«, ergänzte Jupp.
»Seelenverwandtschaft?« Mülenberk hielt das für blanken Unfug. Sollte etwas Wahres dran sein, so konnte er es jedenfalls nicht nachvollziehen.
Jupp sah über seinen skeptischen Blick hinweg und fuhr unaufgeregt fort. »Wir beide sehen in einem Seelenpartner einen fehlenden Teil der eigenen Persönlichkeit. Findest du also den einen Menschen, mit dem du dich in der Seelenpartnerschaft vervollständigst, wirst du eine ganz neue Dimension der inneren Zufriedenheit erleben.«
»Und woher weiß ich, dass ich gerade meinem Seelenverwandten begegnet bin?«, spöttelte Mülenberk.
Kassiopeia übernahm. »Oft triffst du deinen Seelenverwandten auf außergewöhnliche Weise. Ob im Supermarkt, auf einer Gartenparty oder beim Hundespaziergang: Plötzlich bringst du einer Person uneingeschränktes Vertrauen entgegen, auch wenn sie dir fremd ist. Du verspürst dann eine überwältigende Anziehungskraft. Seelenverwandte fühlen sich zu Hause, Raum und Zeit scheinen keinerlei Bedeutung mehr zu haben.«
Ein Stich fuhr Mülenberk mitten durchs Herz. Genauso war es gewesen, als er Esther damals in Paris begegnet war.
»Wenn du deinen Seelenpartner triffst, kann dein Verstand das nicht erfassen, doch deine Seele erkennt ihn aus einem tiefen inneren Wissen heraus. Eine Seelenliebe in einer Paarbeziehung oder einer Freundschaft ist als geistige Verbindung bedingungslos. Sie ist an keine Erwartungen geknüpft und braucht keine Machtspiele«, schloss Kassiopeia ihre Erläuterung ab.
Mit leicht brüchiger Stimme fragte Mülenberk: »Und was geschieht, wenn mein Seelenpartner stirbt und nicht mehr verfügbar ist? Kann ich dann überhaupt noch glücklich sein?«
»Dein Seelenpartner ist dann nicht mehr in seinem Körper, aber seine Seele ist hier auf dem Planeten, lebendig und unversehrt und wird es auch für die vorhersehbare Zukunft sein! Wir reden davon, dass der Seelenpartner hier auf Erden gestorben ist, sozusagen seine körperliche Hülle abgeworfen hat, und dann noch mit uns kommuniziert und anwesend ist.«
»Du denkst an Esther, Roman?«, fragte Jupp. »Was ist geschehen?«
Mülenberks Augen füllten sich mit Tränen. »Das ist auch eine lange Geschichte. Heute möchte ich nur so viel sagen, dass sie sich für ein Leben mit einem anderen Mann entschieden hat und viel zu jung an