Blutdorf. Rolf Eversheim
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Blutdorf - Rolf Eversheim страница 6
»Wie könnte es auch anders sein, mein Freund«, sagte Jupp liebevoll.
Mülenberk konnte mit diesen geballten Emotionen und seinem Gefühlsausbruch nicht umgehen. Seit der Lektüre von Henning Mankells Wallander-Krimis hatte er sich den Satz angeeignet, mit dem der schwedische Kommissar Wallander, der an der Welt und sich selbst leidet, Sitzungen zusammenfasst: »Dann wissen wir das.« Wieso schoss ihm gerade jetzt durch den Kopf, was Mankell selbst über seine Figur Wallander geschrieben hatte? Ich bin mir nicht sicher, ob wir Freunde wären, wenn wir uns im richtigen Leben treffen würden. Wir sind ziemlich verschieden und ich mag ihn nicht besonders. Mülenberk schüttelte den Kopf. Dann wechselte er rasch das Thema. »Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehn! Warum sind wir hier?«
Jupp lachte. »Der Schüler Roman Mülenberk hat auch vier Jahrzehnte nach dem Besuch des Gymnasiums Goethes Faust noch nicht vergessen. Dann kommen wir zu des Pudels Kern … Du erinnerst dich?«
»Klar. Auf dem Spaziergang begibt sich ein schwarzer Pudel an Fausts Seite, der ihn bis in sein Studierzimmer begleitet. Vor seinen Augen verwandelt sich das Tier in Mephisto und Faust ruft erstaunt aus: Das also war des Pudels Kern. Und was ist es hier und heute?«
»Der Wolf ist zurück und nach allem, was Kassiopeia und ich an Botschaften erhalten, rollt mit ihm eine Welle von Angst und Gewalt auf das Dorf zu.«
»Woher wisst ihr, dass der Wolf zurück ist? Die hochempfindlichen Seismografen der Jägerschaft haben noch nichts verlauten lassen. Eine solche Nachricht würde sofort durch Hunderte Whatsapp-Gruppen gejagt werden.«
»Er hat ein Schaf der Wanderschäferin gerissen.«
»Das kann auch ein Hund gewesen sein.«
Kassiopeia schüttelte energisch den Kopf. »Glaub mir, Roman, wenn Julia Scheffer sagt, es war ein Wolf, dann war es ein Wolf.«
Mülenberk wiegelte ab: »Es wäre schon merkwürdig, dass niemand sonst davon wissen sollte. Ein Wolf in der Gegend wäre ein gigantisches Medienereignis.«
»Genau deshalb schweigt Julia. Ein medialer Hype würde die Leute hier völlig aufwühlen. Mit dem Wolf kommen auch so schon genug Probleme auf sie zu.«
»Ich verstehe nichts von dem, was ihr zu verstehen scheint. Und dieser Wolf soll an dem schuld sein, was eurer Meinung auf das Dorf zukommt?« Mülenberk blieb skeptisch.
»Nein, er ist nicht schuld. Aber er ist ein sicheres Indiz.« Jupp war so leise geworden, dass es sich bedrohlich anfühlte.
Mülenberk spürte, wie die Haare auf seinem Körper sich aufrichteten. Jetzt flüsterte auch er: »Ein sicheres Indiz für was?«
Über Kassiopeias Augen hatten sich dunkle Schatten gelegt. »Dass dieses Dorf ein Blutdorf werden wird.«
5. Kapitel
Die Schafe grasten friedlich am Ortsrand von Schalkenbach. Julia Scheffer mochte diesen Ort ganz in der Nähe eines nachgebauten Kohlenmeilers. Sie erinnerte sich daran, was ihr Großvater ihr über die Herstellung von Holzkohle erzählt hatte und welch große wirtschaftliche Bedeutung sie früher für die waldreiche Eifel hatte. Er hatte ihr auch erklärt, dass in der Region zwischen Vinxt- und Ahrtal bereits vor der Römerzeit an mehreren Stellen Eisenerz abgebaut wurde. Das originalgetreue Modell eines römischen Eisenverhüttungsofens neben dem Holzkohlenmeiler erinnerte an diese Zeit.
Großvater … Sie vermisste ihn so sehr. Sofort erschienen die Bilder vor ihrem geistigen Auge, wie der vom Wolf Getötete vor ihr lag. Ihre Hände umklammerten den Wanderstab – seinen Wanderstab – so fest, dass die Knöchel weiß wurden.
Julia wusste, dass die Schafe bei den Hütehunden gut aufgehoben waren, aber gegen den Wolf konnten sie die Herde und sich selber auch nicht schützen. Sie würde sich Herdenschutzhunde zulegen müssen. Ihre Hütehunde waren lediglich dazu ausgebildet, die Herde zu lenken und ihr bei der Arbeit zu helfen, Herdenschutzhunde hingegen wuchsen im Schafstall auf und waren deshalb komplett auf das Zusammenleben mit diesen Tieren sozialisiert. Sie lebten auf der Weide mit den Schafen und verteidigten diese und das entsprechende Gebiet vehement. Sie hatte sich bei den Kollegen erkundigt, die schon länger mit dem Wolf zu tun hatten, und sich für den Maremmen-Abruzzen-Schäferhund entschieden. Ein archaischer kräftiger Hund mit langem weißen Haar, dessen angeborene Verhaltensmuster stark ausgeprägt waren. Nach allem, was Julia in Erfahrung gebracht hatte, war diese Hunderasse sehr gelehrig und würde dennoch keinen unterwürfigen Gehorsam zeigen. Diese Hunde wurden jahrhundertelang daraufhin selektiert selbstständig, also ohne Anweisungen des Menschen zu arbeiten. Sie hatte selber beobachten können, wie die Hunde ihre Aufgabe, das Beschützen ihrer Herde, wahrnahmen. Sie hoffte, dass der Züchter aus Italien sich bald bei ihr melden würde.
Die Schafe alleine zu lassen bereitete ihr gemischte Gefühle, aber Julia wollte diesen Besuch jetzt unbedingt machen. Sie ging auf dem Köhler- und Loheweg, querte den Schalkenbach, marschierte weiter zum Waldgut Schirmau und erreichte schließlich den Aussichtsturm Weiselstein, der den höchsten Punkt in der Wacholderheide anzeigt. Mit schnellen Schritten bestieg sie den hölzernen Turm.
Der Blick war atemberaubend, aber deshalb war sie nicht hierhergekommen. Sie suchte ihn. Wie jedes Jahr im Sommerhalbjahr würde er hier leben. Auch wenn er sich nicht versteckte – schließlich hatte er nichts zu verbergen – wollte er doch nicht leicht gefunden werden. Ein ganz feines Rauchfähnchen, vom milden Westwind rasch weggetragen, zeigte ihr schließlich an, wo sie ihn finden würde.
Mingan hatte sich nicht verändert, seit sie ihn zum ersten Mal mit ihrem Großvater besucht hatte. Er war groß, das Gesicht hager und sie war heute genauso erstaunt wie damals, wie muskulös der Mann war. Das volle schulterlange Haar war mittlerweile weiß und er faszinierte sie wie eh und je. Wenn die Sonne noch nicht ihre volle Kraft entwickelt hatte, zog er über seinen nackten Oberkörper ein Hemd aus weichem Hirschleder, demselben Material, aus dem seine Hose gemacht war. An den Füßen trug er Mokassins, die ihm zusätzlich etwas Jugendliches verliehen.
Mit seinem harten festen Blick betrachtete er sie lange und schweigend. Dann wurden seine Gesichtszüge weich und er sagte freundlich: »Du warst sehr lange nicht mehr hier, Julia.«
»Das stimmt, Mingan. Ich war damals ein kleines Mädchen. Wie hast du mich erkannt?«
»Dein Großvater steht neben dir. Ich habe ihn erkannt. Wir saßen oft zusammen am Feuer und er erzählte mir von seiner großen Liebe zu seiner Enkelin Julia.«
»Ich kann meinen Großvater nicht sehen. Was siehst du, was ich nicht sehen kann?«
»Du kannst ihn nicht mit deinen Augen sehen, Julia, aber wenn du dein Herz weit öffnest, wirst du spüren, dass er da ist. Komm, setze dich zu mir ans Feuer.«
Schweigend saßen sie eine Weile nebeneinander. Julia war überrascht, wie Mingan es verstand, mit so wenig Rauch ein solch wärmendes Feuer am Leben zu halten. Dann hatte sie das Gefühl, als ob ihr Großvater sich neben sie setzen würde. Mingan sah sie an und nickte. Er sah ihn also dort sitzen. Unsichtbar für das menschliche Auge und doch mit ihnen vereint.
»Was ist damals passiert, Mingan?«
Traurig schaute er sie an. »Ich weiß es nicht. Ich weiß es wirklich nicht und kann es mir auch nicht erklären. Seit dem Tod deines Großvaters habe ich mir diese Frage immer und immer wieder gestellt. Er gibt mir keine Antwort und auch sonst bekomme ich kein Zeichen von den Ahnen. Es beunruhigt