Blutdorf. Rolf Eversheim
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Helena war ein Genie. Zuverlässig und diskret versorgte sie Fritz mit Informationen, an die sonst niemand herankam. Vollgepumpt mit Testosteron vergaßen ihre Kunden oft jede Vorsicht, wenn Helena sie umsorgte und ihnen Anerkennung und Bewunderung schenkte. Die meisten Männer bekamen zu Hause weder das eine noch das andere und Helena nutzte diese Marktlücke, wie sie es nannte, geschickt aus.
Die meisten anderen Probleme hätte Fritz Meier mehr oder weniger schonungslos aus der Welt schaffen können. Aber das Finanzamt nicht. Er brauchte mehr Informationen. »Können sie eine Verbindung zwischen uns finden? Denk genau nach, Marcel!«
»Was meinst du, was ich seit zwei Tagen tue? Ich sehe derzeit nichts, aber der Teufel ist ein Eichhörnchen.«
»Ich will umgehend über alles von dir informiert werden. Hast du mich verstanden?«
»Hör mal, ich bin nicht dein Dienstmädchen. So kannst du nicht mit mir reden«, ereiferte sich Leclerc.
»Und ob ich das kann. Meinst du, wegen deiner Dämlichkeit will ich im Knast landen? Oder wir alle womöglich? Weißt du nicht, wie sie Al Capone erwischt haben?«
»Kenne ich nicht. Ist das auch ein Belgier?«
Fritz verdrehte die Augen. Was für ein Schwachkopf. »Halte mich auf dem Laufenden, verstanden?«
»Ist ja schon gut«, gab Leclerc kleinlaut bei, »ist ja schon gut.« Dann beendete er grußlos das Gespräch.
Fritz hatte sich noch einen Gin nachgeschüttet, goss ihn aber genervt in den Abfluss und aktivierte stattdessen die Espressomaschine, die dampfend und fauchend loslegt. Er brauchte jetzt einen klaren Kopf. Der Belgier konnte sich ganz schnell zu einer Riesenbedrohung entwickeln. Ausgerechnet jetzt, wo alles so gut zu laufen schien. Wie oft hatte er versucht, ihm einzutrichtern, dass er auf dem Teppich bleiben sollte. Stattdessen fuhr er mit einer italienischen Luxuskarosse durch die Gegend, die jeden Zuhälter neidisch machte. So ein Vollpfosten! Kein Wunder, dass das Finanzamt sich das genauer anschauen wollte. Fritz schnaubte.
Den zweiten Espresso trank er mit noch mehr Zucker. Es war Ironie des Schicksals, dass ihm Marcel den Espresso aus Belgien mitgebracht hatte. Seit seine Mutter gestorben war, hatte der Belgier niemanden mehr, den er umsorgen konnte, daher versorgte er Helena und Fritz mit wallonischen Spezialitäten. Anfangs war es ihm auf die Nerven gegangen, aber zwischenzeitlich hatte er sich mit den Genüssen aus dem Nachbarland angefreundet, denn die Wallonie schien ein Universum perfekter Genüsse zu sein: traditionell hergestellte Schokoladen und Pralinen, Ardenner Schinken, geräuchert mit Buchenholz aus den Ardennen und mit Wacholderbeeren … Was hatte Marcel ihnen nicht alles für Spezialitäten nahegebracht, zum Beispiel den Lütticher Sirup aus Apfel- und Birnenkraut aus der Region von Aubel der, wie Marcel sich schwärmerisch ausdrückte, eine köstliche Affäre mit Käse eingeht. Er schwor dabei auf den intensiv duftenden Herver-Käse, der ebenfalls aus der Region um Lüttich kam. Und dann diese legendären Reisfladen aus Verviers. »Niemals zum Sattessen, aber immer zum Vergnügen«, kommentierte Marcel stets mit halb vollem Mund. Nur in einem Punkt konnte und vor allem wollte Fritz Marcel nicht beipflichten: Das belgische Bier war nicht besser als sein Bitburger – obwohl Fritz im Stillen zugeben musste, dass es in der Wallonie schon charaktervolle Biere gab, denen das Bitburger im wahrsten Sinne des Wortes nicht das Wasser reichen konnte. Die Wallonie war mit ihren Quellwassern privilegiert, die Trappistenbiere Chimay, Rochefort und Orval zeugten davon. Die drei konnten ganze Nächte mit dem Verkosten der Spezial- und Abteibiere in den Varianten hell, doppelt oder dreifach verbringen, die sich je nach Rezept, Gärung und Malzgehalt voneinander unterschieden, Helena stand dabei den Männern in puncto Alkohol in nichts nach. Bei diesen Gelagen planten sie ihre Coups – Kreuzzüge, wie Marcel sie nannte. Und urplötzlich war dieser wunderbare und liebenswerte Marcel ein Problemfall geworden.
Fritz spürte, wie sich eine Schlinge um sein Herz zog, wenn er daran dachte, was zu tun war, wenn das Problem weiter eskalierte.
8. Kapitel
Die frische Abendluft half Mülenberk, sich an den Fakten zu orientieren. Auf seinem Weg zum Auto fasst er die Erkenntnisse aus dem Treffen im Haus von Kassiopeia zusammen: Er hatte nach über dreißig Jahren seinen alten Freund und Bundesbruder Jupp Boergaard wiedergesehen – und nicht nur das: Es schien so, als ob die Jahre ihrer Freundschaft zwar Patina verliehen hatten, sie aber darunter strahlte wie früher. Mit der Einschätzung von Kassiopeia tat er sich viel schwerer, hielt sie gar für unmöglich, jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt. Ihre mystische Aura und dieselben grünen Augen wie Esthers zogen ihn einerseits auf eine ihm bisher nicht bekannte Art und Weise an, aber andererseits verunsicherte, ja erschreckten ihn ihre offensichtlichen Gaben und Befähigungen. Sie fanden noch keinen Platz in seinem Weltbild, das durch die naturwissenschaftliche Ausrichtung seines Studiums geprägt war.
Deshalb konnte er die Geschichte mit dem Wolf auch nicht nachvollziehen. Klar war der Wolf ein Thema in der Region; nicht nur unter Jägern. Es gab viele Fragen um seine Existenzberechtigung in der dicht besiedelten Kulturlandschaft, die hoch emotional und kontrovers diskutiert wurden. Aber ihm Hinweise auf ein Blutdorf zuzuschreiben, was auch immer sich auch hinter diesem martialischen Begriff verbergen mochte, erschien Mülenberk alles andere als seriös. Okay, das Dorf war ihm immer schon merkwürdig vorgekommen und die Bemerkungen seines Jagdfreundes Karsten Schober, der die dörfliche Jagd seit fast neun Jahren gepachtet hatte, konnte er jetzt besser verstehen, nachdem er das Dorf zu Fuß erkundet hatte: Das Dorf und seine Bewohner waren aus einem anderen Holz geschnitzt als die anderen in der Eifel.
Er tat das, was er immer tat, wenn die Lage unübersichtlich war: Fakten zusammentragen und dann auswerten. Angeblich hatte ein Wolf ein Schaf dieser Wanderschäferin gerissen. Als Erstes würde er mit ihr reden. Er hatte bei der Fahrt eine Schafherde direkt bei Königsfeld gesehen. Da würde die Schäferin ja nicht weit entfernt sein. Danach würde er Karsten Schober anrufen.
9. Kapitel
In Julia Scheffel zog sich alles zusammen, als sie ihre Hütehunde bellen hörte. Das Weideland war abgegrast und sie hatten begonnen, die Schafe auf eine nahe gelegene verwilderte Fläche zwischen Königsfeld und dem Wochenendhausgebiet Im Strohdell zu treiben, um sie im Auftrag der Gemeinde durch kontrollierte Beweidung wieder nutzbar zu machen. Die Bedeutung der Schafe für die Landschaftspflege wuchs. Bis eben also ein ganz normaler Arbeitstag. – Bis die Hunde bellten.
Nein, es war nicht der vertraute Klang, mit dem sie die Herde leiteten und verlorene Schafe zurückführten. Dieses Bellen hatte sie zuletzt als Kind gehört, damals, als Oskar und Anton Großvaters Herde hüteten. Damals, als der Großvater sagte, der Wolf sei in der Nähe, er und die Hunde würden es spüren.
Sie umklammerte Großvaters Hütestab fester. Respekt vor dem Wolf zu haben, war klug, aber Julia hatte Angst. Angst, ihre traumatischen Kindheitserlebnisse erneut durchmachen zu müssen. Zum Glück hatte sie der italienische Hundezüchter heute früh angerufen. Die Ausbildung der Herdenschutzhunde war abgeschlossen. Schon bald würden sie und die Hütehunde Verstärkung bekommen.
Die Hütehunde hatten aufgehört, die Herde zu treiben, und blieben, unruhig bellend, vor einem Verhau aus Brombeeren und Schwarzdorn stehen. Panik kam in Julia auf. So schnell sie konnte, eilte sie zu den Hunden, die sich gar nicht beruhigen wollten. Hatten sie einen Wolf in dem Verhau ausgemacht?
Als sie das undurchdringliche Dickicht erreicht hatte, konnte sie nichts sehen. Entschlossen schlug sie ein paar Mal mit dem Hütestab auf das Strauchwerk – schlagartig war der ganze Verhau belebt. Es krachte, rumpelte und schnaufte. Julia stockte der Atem. Doch gleich darauf entspannte sie sich ein wenig: Eine Rotte Wildschweine räumte fluchtartig