Blutdorf. Rolf Eversheim
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Mit scharfem Ruf befahl Julia den Hunden, am Platz zu bleiben. Sie gehorchten ihr widerstrebend, allerdings nicht lange. Winselnd schlichen sie sich zum Dornenverhau.
»Verdammt noch mal, was soll das? Spinnt ihr?« Julias Nerven lagen blank. Was machten ihre Hunde? Die Sauen waren keine Gefahr für die Herde. Die Hunde wussten das. Trotzdem rückten sie nicht von der Hecke ab. Ob der Wolf doch eines der Schafe geholt hatte und die Sauen den Kadaver auf der Suche nach tierischem Eiweiß gefunden hatten?
Sie ging in die Knie, um wenigstens ein kleines Stück in den Verhau schauen zu können. Die Hunde wichen ihr nicht von der Seite, wagten sich allerdings auch nicht in die Dornen hinein. Julia wollte gerade schon wieder aufstehen, als sie einen Schuh in den Dornen sah. Es war ein grober Männerschuh. Solche Schuhe hatte doch … Sie verwarf den Gedanken sofort wieder. – Nein, das konnte nicht sein! Obwohl … dieses Brandzeichen im Leder hatte nur einer.
Sie holte tief Luft und zwängte sich ein kurzes Stück in die Dornen hinein, um den Schuh herauszuziehen, doch er hing fest. Sie zog kräftiger, bis ihr schlagartig bewusst wurde, dass der Schuh nicht festhing, sondern sein Besitzer noch in ihm steckte. Sie kroch zurück, stand auf und übergab sich. Dann nestelte sie ihr Handy aus der Tasche und wählte mit zitternden Fingern den Notruf.
10. Kapitel
Wie immer morgens, wenn die Kinder in den Schulen und die Berufstätigen ausgeschwärmt waren, umgab das Dorf eine beklemmende Stille. Heute wollten noch nicht einmal die Vögel diese Stille durchbrechen. Sie hatte etwas Unheimliches, Bedrohliches. Kassiopeia pflegte die Blumen auf ihrer Fensterbank, als ihr gesamter Körper plötzlich anfing zu zittern und auch ohne die Martinshörner von Polizei und Rettungsfahrzeugen hören zu können, war ihr sofort klar: Es würde ein Blutdorf geben. Das erste Opfer war offensichtlich schneller da, als sie befürchtet hatte.
11. Kapitel
Auf dem Weg zur Wanderschäferin geriet Mülenberk in eine Armada von Blaulichtfahrzeugen. Er fuhr sofort rechts ran und ließ sie passieren, um sich nach ihnen in den jetzt wieder spärlichen Autoverkehr einzufädeln. Sie hatten dieselbe Richtung.
Als Mülenberk Königsfeld erreichte, rückte gerade die Feuerwehr aus. Die Eifel fühlte sich nun alles andere als beschaulich und idyllisch an.
Er umfuhr Königsfeld auf der L83 Richtung Bad Neuenahr. Auf der Anhöhe stoppte er. Die Blaulichtfahrzeuge standen aufgeregt blinkend nicht weit weg von der Wochenendhaussiedlung um ein größeres Gebüsch versammelt. Rauch war keiner auszumachen.
Er nahm sein Fernglas aus dem Wagen und konnte erkennen, wie Männer der Feuerwehr mit der Motorsäge eine Schneise in das Dornengeflecht frästen, immer wieder unterbrochen von Anweisungen eines uniformierten Polizisten, der offensichtlich die Regie über das Szenario übernommen hatte. Nach kaum drei Metern schienen die Polizisten zufrieden zu sein. Einer von ihnen schlug sich nun in den Busch und bückte sich, um wenige Augenblicke später herauszuhasten und sich zu übergeben. Da schien sich ihm kein angenehmer Anblick geboten zu haben.
Die Feuerwehrleute standen in der Nähe und hatten die Köpfe zusammengesteckt, als sie aufgefordert wurden, wieder abzurücken. Der Regisseur bedankte sich bei jedem mit einem kurzen Handschlag, dann fuhren sie zurück ins Feuerwehrhaus. Auch wenn es noch früh am Tag war, würden sie vermutlich versuchen, das Erlebte mithilfe von ein oder zwei stärkenden Schnäpsen zu verarbeiten.
Der Regie-Polizist telefonierte kurz, dann besprach er sich mit dem Fahrer des Rettungswagens, der allem Anschein nach ebenfalls nicht mehr gebraucht wurde und den Einsatzort ohne Ladung verließ.
Plötzlich erkannte Mülenberk mitten im Geschehen die Wanderschäferin mit ihren beiden Hunden. Der Polizist sprach kurz mit ihr, machte sich einige Notizen und verabschiedete auch sie mit einem Handschlag vom Einsatzort. Mit den Hunden, die sie kaum beruhigen konnte, ging sie zurück zu ihrer Herde.
Mülenberk wusste nicht, was er tun sollte: Hier warten oder zur Schäferin fahren? Es schien ja so, als ob zwischen Brombeeren und Schwarzdorn etwas Fürchterliches zum Vorschein gekommen war, was einer kriminaltechnischen Untersuchung bedurfte. Das konnte dauern, weshalb er sich Richtung Schafherde auf den Weg machte.
Wenn er gewusst hätte, wie schnell die Spurensicherung am Fundort sein würde, hätte Mülenberk vermutlich gewartet, und mit Sicherheit hätte er seinen Platz nicht verlassen, wenn er auch nur ansatzweise geahnt hätte, wer die Ermittlungen führte.
12. Kapitel
Sie waren gemeinsam von Bonn angereist. Hauptkommissar Marius Fröhlich war alles andere als begeistert, als er von Oberstaatsanwalt Dr. Westenhoff den Marschbefehl nach Preußisch Sibirien bekommen hatte.
»Mensch, Herr Westenhoff, wieso ziehen Sie uns diesen Fall an Land? Der gehört in erster Zuständigkeit den Rheinland-Pfälzern. Wir haben in Bonn wahrlich genug Arbeit.«
»Mein lieber Fröhlich, nun beruhigen Sie sich doch. Das Opfer war mit seinem ersten Wohnsitz in Bonn gemeldet. Na jedenfalls wenn sich herausstellt, dass das Opfer tatsächlich mit der Person auf dem Personalausweis identisch ist, den die Kollegen gefunden haben. Es ist schön und idyllisch in der Eifel. Machen wir uns einfach eine gute Zeit.«
»Das wird man ja wohl auf den ersten Blick erkennen können, ob die gefundene Person mit der auf dem Personalausweis identisch ist!«, erwiderte Fröhlich säuerlich.
»Nicht, wenn eine Rotte Wildschweine sich darüber hergemacht hat.«
Westenhoffs knochentrockene Art konnte nicht jeder gut ab, Fröhlich jedoch schätzte sie. »Sie sind ja vielleicht drauf, Herr Oberstaatsanwalt. Und dann haben Sie mit den Koblenzern vereinbart, dass wir uns kümmern?«
»Genau so.«
»Die lachen sich doch jetzt einen Ast ab. Die sind einen Sau-Fall los und wir haben ihn an den Hacken. Herzlichen Glühstrumpf.«
»Nun fahren Sie sich mal wieder runter, Fröhlich. Ein bisschen frische Luft wird uns beiden ganz guttun. Schauen wir uns die Sache doch erst mal genauer an.« Der Oberstaatsanwalt war noch ganz optimistisch.
»Polizeihauptkommissar Gerhard Teufel von der Polizeiinspektion Bad Neuenahr«, stellte sich der dienstranghöchste Polizist vor, der bisher vor Ort alles geregelt hatte.
»Ich dachte, hier wäre die Polizeiinspektion Remagen zuständig«, wunderte sich Fröhlich, nachdem er und Westenhoff sich vorgestellt hatten.
»Und ich dachte, die Staatsanwaltschaft Koblenz wäre hier zuständig«, lachte Teufel. »Nein, im Ernst, wir sind natürlich informiert, dass Bonn den Fall übernimmt, wenn der Tote dort den ersten Wohnsitz hat. In Königsfeld sind wir aus Neuenahr zuständig. Die Kollegen aus Remagen sind für das Brohltal ohne die Ortsgemeinden Schalkenbach, Königsfeld, Spessart, Kempenich, Weibern und Hohenleimbach zuständig. Die können jedenfalls froh sein, dass sie sich den Fundort dieser Leiche nicht aus nächster Nähe anschauen müssen. Überzeugen Sie sich selbst.«
Westenhoff und Fröhlich folgten der fragwürdigen Einladung widerstrebend, Fröhlich mit verdrehten Augen.
Da die Spurensicherung nichts mehr ausrichten konnte, war der Tote mittlerweile mit einem Tuch bedeckt. Westenhoff bückte sich und zog es beiseite. Der Anblick ließ ihm das